Zwei Bauarbeiter stehen im Rohbau eines Gebäudes

Interview mit Prof. Dr. Natalie Eßig, Expertin für nachhaltiges Bauen

    Nachhaltig heißt nicht gleich teurer

    Während Sanierungen langsam wieder günstiger werden, stagnieren die Baukosten derzeit auf hohem Niveau. Ein Neubau sollte deshalb von Anfang an ressourcen- und energie­effizient geplant werden. Die Architektin und Professorin Natalie Eßig zertifiziert nachhaltige Gebäude und weiß, wie das gelingen kann.

    Was genau versteht man unter einem nach­haltigen Gebäude?

    Professorin Natalie Eßig
    Natalie Eßig, Architektin und Professorin

    Um sagen zu können, wie nach­haltig ein Gebäude ist, muss ich seine gesamte Lebens­dauer betrachten, also von der Planung über die Errichtung und den Betrieb bis zum Rück­bau oder Abriss. Beim nach­haltigen Bauen richtet man den Fokus auf die ökologische, ökonomische und sozio­kulturelle Qualität des Gebäudes. Das sind die drei Säulen der Nach­haltigkeit.

    Und das bedeutet in der Praxis?

    Ich schaue zum Beispiel auf die Energie­effizienz. Aber eben nicht nur, wie energie­effizient das Gebäude im Betrieb ist. Ich muss genauso daran denken: Wie viel graue Energie steckt schon in den Materialien, wie ist das Treibhaus­potenzial, wie viel Energie ver­braucht der Rückbau? Die soziale Komponente berück­sichtigt Aspekte wie Behaglichkeit, Komfort, Barriere­freiheit, Sicher­heit, aber auch das Design und die Architektur. Und für die Bewertung der ökonomischen Qualität muss ich wieder den ganzen Lebens­zyklus betrachten, also die Kosten im Bau, für die Her­stellung, den Betrieb und den Rückbau.

    Gibt es dabei Aspekte, die wichtiger sind als andere?

    Eigentlich nicht. Jeder Aspekt ist gleich­berechtigt. Aber bei fast jedem Bau­vorhaben gibt es Schwer­punkte. Ein Bauherr sagt zum Beispiel: Ich will ökologisch bauen. Ich setze nur Materialien ein, die aus nach­wachsenden Roh­stoffen sind, die ich wieder komplett zurück­bauen kann, die dann recycelt werden können. Einem anderen Bau­herrn ist vielleicht die Energie­effizienz besonders wichtig. Der entscheidet sich für die Photovoltaik­anlage auf dem Dach, der braucht einen Batterie­speicher und strebt ein Null- oder Plus-Energiehaus an, das also prinzipiell ohne Energie­zufuhr von außen auskommt oder sogar mehr grüne Energie liefert, als es verbraucht. Das ist sehr unter­schiedlich. Aber generell kann man alles in einem Gebäude kombinieren.

    Zur Person

    Professor Dr.-Ing. Natalie Eßig ist Expertin im Bereich nach­haltiges Bauen. Die Architektin lehrt und forscht an der Hoch­schule München im Fach­gebiet Bau­klimatik und Bau­konstruktion, begleitet und zertifiziert aber auch nach­haltige Bau­projekte mit ihrem Büro Essig­plan in Bamberg und dem ebenfalls von ihr gegründeten Bau-Institut für Ressourcen­effizientes und Nachhaltiges Bauen (BiRN), einer akkreditierten Zertifizierungs­stelle für Effizienz­gebäude der NH-Klasse.

    Auf welcher Grundlage wird schließlich ent­schieden, ob das Gebäude nach­haltig ist oder nicht?

    Anhand eines Kriterien­katalogs. Das Gebäude muss dabei in jedem Bereich die Mindest­anforderungen über­steigen.

    Wenn ein Bauvorhaben die Kriterien erfüllt kann es zusätzlich das Qualitäts­siegel Nachhaltiges Gebäude (QNG) erhalten. Wozu dient das QNG?

    Das QNG wurde vom Bau­ministerium eingeführt. Damit soll ein einheitliches Verständnis von Nach­haltigkeit in der Bau­branche gefördert werden. Außerdem ist es eine rechts­sichere Grundlage für die Vergabe von Förderungen.

    Sie spielen auf das zum März 2023 gestartete Förder­programm „Klimafreundlicher Neubau“ (KFN) an.

    Das QNG gibt es schon länger, es wurde bereits 2021 im Rahmen der Bundes­förderung für effiziente Gebäude (BEG) eingeführt. Für die Förderung “Klima­freundlicher Neubau” wurde das Siegel weiter­entwickelt – auch für die Sanierung. Es ist geplant, dies zukünftig auch für weitere Gebäude­arten zu verleihen.

    Wo sehen Sie beim Bau das größte Entwicklungspotenzial?

    Ich halte das zirkuläre Bauen für besonders wichtig. Die Bau­materialien müssen öko­logisch unbedenklich sein, nach­wachsend und regional, sodass ich sie einfach wieder in den Ressourcen­kreislauf einführen kann.

    Gibt es diesen Ressourcen­kreislauf bisher nicht nur in der Theorie?

    Für viele Materialien stimmt das. Bau­materialien, die beschichtet wurden oder nicht sorten­rein sind, wie beispielsweise Zement- oder Putzreste, kann ich aktuell noch nicht recyceln. Diese müssen laut unserer aktuellen Gesetzgebung auf die Deponie. Dabei gäbe es ja Möglichkeiten, auf die Beschichtungen zu verzichten oder so baukonstruktiv zu bauen, dass sich die Materialien einfach trennen lassen.

    Wie hoch ist heute der Anteil der Bau­stoffe, die wirklich recycelt werden können?

    Wir haben dazu das Forschungs­projekt „Rural Mining“ gestartet. Dafür bauen wir Holz­häuser zurück. Von einem Quadrat­meter einer klassischen Holz­wand – also Holzträger­werk, Gips­karton, Dämmung und Beplankung – werden höchstens 10 % wieder­verwendet oder recycelt. Wir könnten den Anteil aber aktuell schon auf mindestens 50 % hoch­fahren.

    Und wie?

    Da müssen sich die Prozesse ändern. Aktuell landet fast alles im Müllheiz­kraftwerk oder irgendwo im In- und Ausland auf der Deponie. Wenn ich ein Gebäude abreiße oder saniere, brauche ich verantwortungs­volle, geschulte Architekten und Hand­werker, die das Material schon auf der Baustelle sorten­rein trennen. Und Anlagen, wo ich das Material abgeben kann, sodass aus Beton Recycling­beton wird und aus dem Styropor-Dämmsystem ein recyceltes Styropor-Dämmsystem.

    Für das Klima ist es nicht nur wichtig, Gebäude energetisch zu sanieren und alte Heizungen auszu­tauschen, sondern auch, umwelt­schonendes Bau­material einzusetzen. Denn während beim Betrieb von Gebäuden der CO2-Ausstoß derzeit sinkt, steigt er beim Bau von Gebäuden. Zusammen machen der Gebäude- und der Bausektor mittler­weile 40 % der welt­weiten CO2-Emissionen aus.

    Das Ziel wäre also ein ressourceneffizienter Stoffkreislauf für Baumaterial.

    Das wäre super. Und bei manchen Bau­stoffen tut sich auch schon was. Nehmen Sie zum Beispiel Gipskarton­platten: Bislang haben deren Hersteller den Gips gratis von Kohlekraft­werken bekommen, weil er dort als Abfall­produkt anfällt. Mit dem Kohle­ausstieg gibt es nun auch immer weniger Gips. Und die ersten Hersteller beginnen damit, Gipskarton­platten zurück­zunehmen und daraus neue Platten zu machen. Immer wenn eine Ressource knapp wird, kommen Lösungen nach. Aber eben leider meistens erst, wenn die Ressource knapp wird.

    Wie ließe sich das denn nach­haltiger steuern?

    Durch besseres Marketing. Wir brauchen kein Greenwashing, aber Marketing für die Nach­haltigkeit! Und Weiter­bildung, Weiter­bildung, Weiter­bildung – deshalb bin ich auch Professorin geworden. Wir müssen es einfach den jungen, angehenden Architektinnen und Architekten näher­bringen – und allen anderen, die am Bau beteiligt sind. Die müssen es bei den Baustoff­firmen abfragen. Nur so können sich diese Abläufe ändern.

    Wie viel teurer ist es eigentlich, ein Gebäude nach­haltig zu bauen?

    Nachhaltig heißt nicht gleich teurer. Im Gegen­teil. Über den kompletten Lebens­zyklus betrachtet, also etwa über 50 Jahre bis zum Abriss, ist ein nach­haltiges Gebäude wesentlich günstiger, weil – und wenn! – ich alles wieder in den Kreis­lauf hinein­bringen kann.

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