Der Bergsportausrüster Vaude ist Deutschlands nachhaltigste Marke 2015. Für Geschäftsführerin Antje von Dewitz ist diese Auszeichnung ein wichtiges Etappenziel – aber noch lange nicht das Ende des Weges.
Frau von Dewitz, Wandern galt früher als Sport für Rentner in beigefarbenen Allwetterjacken. Heute wandern auch die Jungen. Woran liegt das?
Unser Leben wird immer stressiger und komplexer. Da wächst das Bedürfnis nach Auszeiten, und der Wunsch, gesünder zu leben, wird größer. Wandern hat einen meditativen Charakter und steigert das Bewusstsein für den eigenen Körper. Kurzum: Es tut Seele und Körper gut.
Europakrise, Flüchtlingskrise – glauben Sie, dass angesichts der instabilen politischen Großwetterlage immer mehr Deutsche ihren inneren Frieden beim Wandern suchen?
Schwer zu sagen. Wir beobachten allerdings seit Jahren, dass Outdoorsport in Wirtschaftskrisen boomt. Ich glaube, die Menschen konzentrieren sich in unsicheren Zeiten mehr auf ihre Familie, auf die Natur vor ihrer Haustür oder in ihrem näheren Umfeld. Während nach 2008 die meisten Unternehmen unter der Wirtschaftskrise litten, erfuhr die Outdoorbranche zunächst einen Aufschwung.
Nehmen Sie privat auch Auszeiten zum Wandern?
Als Mutter von vier Kindern bleibt mir an den Wochenenden neben zahlreichen Fußballturnieren leider kaum Zeit fürs Wandern – außerdem muss ich meine Kinder jedes Mal aufs Neue motivieren. Das funktioniert besser, wenn das Wandern mehrere Tage dauert und so einen Urlaubscharakter erhält. Der beste Urlaub heißt für mich deshalb Wandern mit Rucksack – zusammen mit der Familie. Mein Motto dabei: Der Weg ist das Ziel. Und ich wandere keine Strecke zweimal.
Welche Wanderung wird Ihnen noch lange im Gedächtnis bleiben?
Die schönste und zugleich abenteuerlichste Wanderung war auf der Schwäbischen Alb. Wir haben uns verlaufen und sind in die Dunkelheit geraten. Ein gelbes Augenpaar folgte uns – seitdem bin ich überzeugt, dass es auch auf der Schwäbischen Alb Wölfe oder Luchse gibt (lacht). Ob abenteuerlich oder nicht, für mich ist jede Wanderung eine reiche und sinnliche Erfahrung. Wer draußen in der Natur unterwegs ist, ihre Schönheit sieht, spürt auch, was es zu bewahren gilt. Das ist der Grund, warum wir bei Vaude durch und durch nachhaltig sein wollen. Unsere Lage mitten auf der grünen Wiese erinnert uns tagtäglich daran, worum es geht – nämlich darum, diese Natur zu erhalten.
Der Weg ist das Ziel: Gilt das auch für Ihre Nachhaltigkeitsstrategie?
Zu einem nachhaltigen Unternehmen mit nachhaltigen Produkten werden – das geht nicht von heute auf morgen. Vaude ist im vergangenen Jahr mit dem Preis als nachhaltigste Marke Deutschlands ausgezeichnet worden. Damit haben wir noch lange nicht den Gipfel erreicht. Der Weg geht weiter: Wir wollen international Standards in Sachen Nachhaltigkeit setzen und in der Textilbranche durch den Effekt „Aha, es geht doch!“ Impulse geben. Und die Auszeichnung bedeutet nicht, dass wir keine Baustellen mehr haben: Bis 2020 wollen wir zum Beispiel ganz auf Fluorcarbone, sogenannte PFC, verzichten – auf die chemischen Verbindungen, die dafür sorgen, dass das Wasser vom Stoff abperlt. Schon seit fünf Jahren sind wir dabei, PFC Stück für Stück aus unserer Herstellung zu verbannen. Wir arbeiten mit 60 Produzenten zusammen und jeder von ihnen muss den Prozess umstellen – das dauert.
Welche Etappenziele haben Sie bereits erreicht?
Wir haben unser eigenes Öko-Siegel entwickelt: Green Shape. Das garantiert dem Käufer ein grünes Produkt – also ein Produkt, das ökologisch und sozial verträglich hergestellt wird. Dafür arbeiten wir unter anderem nach dem Bluesign-Standard, dem weltweit strengsten Umweltstandard für Textilien. Das Prinzip ist vergleichbar mit dem Reinheitsgebot beim Bier. Zugelassen sind nur Materialien, die Mensch und Umwelt am wenigsten belasten. Vom Farbstoff über das Garn bis zur Maschine: Nicht nur das Produkt selbst, sondern der gesamte Produktionsprozess ist nachhaltig – ebenso wie unser Umgang mit den Mitarbeitern im In- und Ausland.
Wer garantiert dem Käufer, dass er nicht nur ein grünes, sondern auch ein fair hergestelltes Produkt erhält?
Als Unternehmen haben wir auch soziale Verantwortung: Wir sind nicht nur für unseren Produktionsstandort in Deutschland und damit für unsere eigenen Beschäftigten verantwortlich, sondern auch für unsere Zulieferer in Asien. In China und Vietnam werden immerhin 80 Prozent unserer Produkte hergestellt. Wir suchen unsere Produktionsbetriebe persönlich aus und arbeiten viele Jahre mit ihnen als Partner zusammen. Dennoch brauchen auch wir Unterstützung, um wirklich sicherzustellen, dass die Arbeitsbedingungen bei unseren Zulieferern durchgängig fair und sozial sind. Deshalb sind wir Mitglied der Fair Wear Foundation, einer unabhängigen Organisation, die regelmäßig vor Ort die Produktionsbedingungen in der Textilindustrie auditiert und – wo nötig – Verbesserungen konsequent einfordert und auch überwacht.
Mit Blick auf die Firmenzentrale in Deutschland: Wie gelingt es Ihnen hierzulande, sich als attraktiver und sozialer Arbeitgeber zu positionieren?
Schon seit Jahrzehnten arbeiten bei uns etwa 60 Prozent Frauen. Früher kamen die meisten nach der Mutterpause nicht mehr an ihren Arbeitsplatz zurück oder erst viele Jahre später – weil sie Beruf und Familie nicht vereinbaren konnten. Damit haben wir uns auseinandergesetzt und Lösungen geschaffen: Heute arbeitet die Hälfte unserer 500 Mitarbeiter in Tettnang in individuell vereinbarter Teilzeit. Homeoffice, Sport- und Entspannungskurse, ein Kinderhaus und eine Bio-Kantine gehören bei uns jetzt ebenfalls zu einer nachhaltigen und modernen Personalpolitik.
Nicht alle zusätzlich anfallenden Kosten für Umweltschutz und soziale Verantwortung können an die Kunden weitergegeben werden ...
Nachhaltigkeit hat ihren Preis: Der Weg dorthin kostet oft mehr und zahlt sich nicht gleich aus. Deshalb können wir auch keine kurzfristig orientierten Investoren gebrauchen. Die KfW gewährt uns aus dem ERP-Innovationsprogramm einen Kredit über zehn Jahre und lässt uns damit den nötigen Raum, zu wachsen und Früchte zu tragen. Durch die klare Positionierung auf Nachhaltigkeit und die Werte, für die wir stehen, spüren wir trotz der großen Konkurrenz, die sich auf dem Markt tummelt, keine Einbußen.
Wie schaffen Sie es, Ihre nachhaltige Positionierung publik zu machen?
Das ist eine echte Herausforderung, die wir mit den Möglichkeiten eines Mittelständlers annehmen. Wir umgarnen die Konsumenten nicht mit internationalen TV-Kampagnen, sondern bieten ihnen umfassende Fakten: Wo kommt die Kleidung her? Ist das Material recyclingfähig? Diese Fragen beantworten wir durch das Produkt selbst, über geschultes Personal, in Videos auf unseren Social-Media-Kanälen oder auf unserer Nachhaltigkeitswebsite. Auch das Design unserer Produkte spielt eine entscheidende Rolle: Wir streben Schritt für Schritt eine Designsprache an, die Vaude-Produkte auf den ersten Blick als solche kenntlich macht – der Käufer soll dem Produkt gleich ansehen, dass es ökologisch hergestellt ist.
Auf KfW Stories veröffentlicht am: Freitag, 3. März 2017
Zu diesen Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen leistet das dargestellte Projekt einen Beitrag
Ziel 8: Nachhaltiges Wirtschaftswachstum und menschenwürdige Arbeit für alle
Das Wirtschaftswachstum vergangener Jahrzehnte vollzog sich auf Kosten natürlicher Ressourcen und des Weltklimas und stößt längst an ökologische Grenzen. Es bräuchte mehrere Planeten Erde, um allen Menschen ein Leben zu ermöglichen, wie es heute in Deutschland selbstverständlich ist. Eine nachhaltige Wirtschaftsentwicklung bringt soziale, ökologische und wirtschaftliche Entwicklungsziele in Einklang. Quelle: www.17ziele.de
Alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen verabschiedeten im Jahr 2015 die Agenda 2030. Ihr Herzstück ist ein Katalog mit 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung, den Sustainable Development Goals (SDGs). Unsere Welt soll sich in einen Ort verwandeln, an dem Menschen ökologisch verträglich, sozial gerecht und wirtschaftlich leistungsfähig in Frieden miteinander leben können.
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