Teamfoto mit Blick in die Werkstatt. Stitch by Stitch Werkstatt (3 Etagen mit 250 qm) in Frankfurt Bornheim
Corona-Masken

Corona-Masken

Schöner Schutz

In der Frankfurter Manufaktur Stitch by Stitch fertigen geflüchtete Frauen hochwertige Mode. Normalerweise. Aktuell sind kreativ designte Corona-Masken der Renner.

Blick in ein Werkstattzimmer. Stitch by Stitch Werkstatt (3 Etagen mit 250 qm) in Frankfurt Bornheim

Blick hinter die Kulissen: In einem der Atelierräume werden die Masken zugeschnitten.

Die Maskenpflicht hat sich unerwartet als Segen für Stitch by Stitch entpuppt. Das Frankfurter Sozialunternehmen entwarf und nähte verschiedene Modelle des Mund- und Nasenschutzes und verkaufte sie in so großer Zahl, dass Nicole von Alvensleben bilanzieren kann: „Wir sind ökonomisch gut durch die Krise gekommen.“

Die Marketing- und Kommunikationsexpertin hat gemeinsam mit der Modedesignerin und Schneiderin Claudia Frick die Schneiderwerkstatt 2016 aus der Taufe gehoben. Die KfW Stiftung vergab damals im Rahmen der Flüchtlingshilfe einen Preis ihres „Ankommer“-Projekts an die beiden Gründerinnen für ihre Idee, Migrantinnen, die bereits gute Fähigkeiten im Schneiderhandwerk mitgebracht haben, zu Maßschneiderinnen mit Gesellenbrief auszubilden und ihnen damit eine berufliche und finanzielle Perspektive zu geben. Mit zwei Flüchtlingen begann Stitch by Stitch vor vier Jahren, heute arbeiten 15 Frauen in dem Unternehmen. Von den zehn Schneiderinnen aus Syrien, Afghanistan, dem Iran, Madagaskar und Äthiopien haben fünf mittlerweile ihre Gesellinnenprüfung bestanden.

Zunächst ging es der Werkstatt wie vielen Betrieben zu Beginn der Covid-19-Pandemie: Die Aufträge brachen weg. Von ihrem eigentlichen Geschäft, der Produktion von Kollektionen und Mustermodellen für Modefirmen, war kaum noch was übrig geblieben.

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Vorbildliches Engagement

Die Gründerinnen Claudia Frick und Nicole von Alvensleben verbinden mit ihrer Geschäftsidee die Lösungen zweier Probleme. Zum einen geben sie Geflüchteten die Möglichkeit, aus ihrer Warteposition herauszukommen, zum anderen wirken sie dem Schneiderinnenmangel in Deutschland entgegen. Denn Werkstätten, die Entwürfe von Start-up-Modelabels zu Kleinserien verarbeiten, sind rar.

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Von Alvensleben hatte sich im März schon mit der Thematik Kurzarbeit vertraut gemacht, als eine andere Manufaktur Stitch by Stitch mit der Produktion von Masken beauftragte. Danach ging es Schlag auf Schlag. Die Schneiderinnen entwarfen eine eigene Mund- und Nasenschutz-Kollektion. „Design ist schließlich unsere Expertise“, sagt Claudia Frick. Und sie konnten durch den Einsatz von Textiletiketten oder Siebdruck auf Wunsch auch kundenspezifische Masken in größerer Auflage liefern. Immer mehr Bestellungen liefen ein. Privatkunden orderten, aber auch Vereine, Verbände, Parteien, Pflegeheime, Arztpraxen, Banken, Unternehmensberater, Museen und die Stadt Frankfurt. Die Kommune hatte das Unternehmen 2017 mit ihrem Gründerpreis ausgezeichnet und fördert es finanziell als Ausbildungsbetrieb. Es sollte sich auszahlen, dass Stitch by Stitch über ein früheres Crowdfunding viele Kontakte aufgebaut hat und gut vernetzt ist. Und dass es seine Produkte auch über den eigenen Online-Shop vermarkten kann. Ein Dutzend Modelle umfasst die Maskenkollektion inzwischen, mehr als 40.000 Stück sind allein in den ersten vier Krisenmonaten verkauft worden.

Das normale Geschäft, das zum Höhepunkt der Krise fast zum Erliegen gekommen war, ist im Sommer wieder angelaufen. „Die Kunden kommen zurück“, berichtet von Alvensleben. Sie beobachtet überdies ein Umdenken in Teilen der Modewelt: „Kleine Labels produzieren in europä­ischen Ländern und verwenden nachhaltige Materialien.“ Das hat sich auch Stitch by Stitch auf die Fahne geschrieben und verarbeitet für sein eigenes, 2018 gegründetes Label ausschließlich zertifizierte Biobaumwolle und einen Stoff, den eine deutsche Firma aus recycelten PET-Flaschen herstellt. Die Schneiderinnen von Stitch by Stitch werden weiter Mund- und Nasenbedeckungen nähen, schließlich wird es in Deutschland noch lange vorgeschrieben sein oder empfohlen werden, in bestimmten Umgebungen zum Schutz vor dem Virus eine Maske zu tragen. Die Krise trug Stitch by Stitch jedoch nicht nur eine unverhoffte vorübergehende Sonderkonjunktur ein. „Sie hat uns auch neue Wege geöffnet“, sagt von Alvensleben. Aus der Erfahrung heraus, dass die Pflichtmaske sich zu einem modisch gestalteten Accessoire entwickelt hat, wird Stitch by Stitch ein weiteres Standbein aufbauen. „Individualisierte Textilprodukte für Kunden“, die diese an Geschäftspartner oder Mitarbeiter weitergeben, so beschreibt Claudia Frick das neue Geschäftsfeld. Zudem enthält die neue Eigenkollektion des Sommers 2020 Homewear und Loungewear als Antwort auf die Fragen: Was trage ich eigentlich im Homeoffice? Und womit kann ich mich bei einer Videokonferenz sehen lassen?

Zu den Fügungen dieses Jahres gehört schließlich, dass das Start-up seine Produkte künftig einem größeren Publikum in heimischer Umgebung präsentieren kann: Die Fashion Week wechselt von Berlin nach Frankfurt. Bei der ersten „Neonyt“ am neuen Standort – die Messe für nachhaltige Mode gibt im Sommer 2021 ihr Debüt am Main – will Stitch by Stitch in jedem Fall dabei sein.

Bei allen Veränderungen verlieren die Stitch-by-Stitch-Gründerinnen Frick und von Alvensleben nicht aus dem Blick, worum es ihnen im Kern geht: Migrantinnen den Weg ins hiesige Leben zu ebnen. Sie werden auf Prüfungen vorbereitet, bekommen Nachhilfe in Deutsch und Mathematik von einer von Stitch by Stitch beschäftigten Lehrerin, die wöchentlich zwölf Stunden in den Räumlichkeiten des Sozialunternehmens unterrichtet.

„Die Frauen bekommen bei uns das Handwerkszeug, um für den Fall, dass sie sich selbstständig machen wollen, gerüstet zu sein“, sagt von Alvensleben. Die Perspektive reicht über das rein Berufliche hinaus: „Sie sollen auch Unabhängigkeit gewinnen.“ Und das ist in einer Krisenzeit wie dieser wichtiger denn je.

Auf KfW Stories veröffentlicht am 4. November 2020.