Junge Lehrerin sitzt am mobilen Computer im TUMO Center Berlin
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Digitales Lernzentrum für kreative Köpfe

Mitten im deutschen Soft-Lockdown hatte Ende 2020 in Berlin das erste digitale Lernzentrum TUMO eröffnet. Seit diesem Zeitpunkt können 12- bis 18-Jährige im Online-Betrieb lernen, wie kreatives Programmieren funktioniert. Das einzigartige Bildungsprojekt nach armenischem Vorbild ist bei den Jugendlichen ein Hit und soll so bald wie möglich Schule in Deutschland machen.

Ein Mittwochnachmittag im Dezember, kalt und grau, einer dieser Tage, an denen es die Sonne nicht durch die Wolken schafft, und auch sonst ist es zurzeit eher trübe für den Schüler Ferdinand. Sein Hockeytraining findet wegen Corona nicht statt, der Gitarrenunterricht nicht, und auch in der Schule ist es durch die vielen uninspirierten digitalen Unterrichtsangebote gerade mühsam, „weil die Schule dafür technisch überhaupt nicht ausgestattet ist.“ So drückt er es aus, Ferdinand, zwölf Jahre, Siebtklässler an einem Gymnasium in Berlin.

Doch heute hat er noch etwas vor. Vielleicht wird er einen Song schreiben oder einen Roboter so programmieren, dass er Tic-Tac-Toe spielen kann, oder einen Kopf aus einer Kugel modellieren, „alles Sachen, die es an der Schule nicht gibt, und ich bin jemand, der gerne mit dem Computer arbeitet“. Doch im TUMO-Lernzentrum gibt es diese Sachen. Im Gegensatz zu seiner jetzigen Schule, an der digitaler Unterricht im Prinzip ein Fremdwort ist. Bis vor einem Jahr ist Ferdinand einmal in der Woche zu seiner alten Grundschule gegangen, an der nachmittags ein Computerkurs angeboten wird, aber dafür ist er inzwischen zu alt. Vor zwei Monaten zeigte ihm seine Mutter eine Website, „TUMO“, ihre Freundin hatte die Anzeige auf Instagram gesehen, „und ich fand das cool“.

Bildung made in Armenia

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Die vier TUMO-Bildungszentren in Armenien, unser Foto zeigt das Bildungszentrum in Eriwan, waren Vorbild für das neue TUMO Center in Berlin.

Wenn man Ferdinand fragt, was TUMO ist, antwortet er: „Kostenloser Computerunterricht mit lauter tollen Themen. Ein Wahnsinnszentrum mit Computern bis zum Geht nich tmehr und modernster Technik. Bisher können wir zwar nur online teilnehmen, aber das funktioniert auch von zu Hause aus.“ Formeller ausgedrückt ist TUMO ein einzigartiges Bildungsprojekt, eine Idee des armenisch-amerikanischen Unternehmerpaares Sam und Sylva Simonian, das ursprünglich digitale Bildung in Armenien stärker voranbringen wollte. Dafür haben sie ein komplett eigenes Lernkonzept für 12- bis 18-Jährige mit zehn Kernbereichen entwickelt, von Grafikdesign, Fotografie, Animation über Musikproduktion bis zu Programmieren und Robotik. Die passende Ausstattung wurde zum Teil eigens entworfen, zum Beispiel der fahrbare Schreibtisch TUMObile, der entfernt an einen Autoscooter erinnert. Herzstück des Angebots ist die Software namens TUMO World. Erarbeiten müssen sich die Schüler die Inhalte selbst. Dahinter steht die Überzeugung, durch Spaß an der Sache den Ehrgeiz der Schüler zu wecken, sie lernbegierig zu machen und Eigenverantwortung zu fördern.

Coaches stehen zur Beantwortung von Fragen bereit. Haben die Schüler die Orientierungsphase durchlaufen und alle zehn Kernbereiche kennengelernt, können sie sich auf drei Bereiche spezialisieren und werden dann in Workshops von Experten unterrichtet, die eine zusätzliche TUMO-Schulung erhalten haben.

Inzwischen gibt es vier TUMO-Zentren in Armenien – das Zentrum in der Hauptstadt Jerewan befindet sich übrigens in einem Park, der den Namen des armenischen Nationaldichters Hovhannes Tumanjan trägt, Spitzname Tumo, den Namen übernahmen die dortigen Schüler auch für das Lernzentrum –, zwei weitere sind im Aufbau. International expandiert TUMO ebenfalls. 2018 öffneten Zentren in Paris und Beirut ihre Türen, in diesem Jahr folgten Moskau und Tirana und Mitte November Berlin. Wegen Corona gibt es hier bis auf Weiteres nur digitalen Unterricht.

Dagegen wirken Klassenzimmer vorsintflutlich

Pawel Mordel, der Leiter des TUMO Centers in Berlin, steht in einem der Unterrichtsräume des Bildungszentraums

Pawel Mordel leitet das hochmodern ausgestattete TUMO Center in Berlin.

Wer das Zentrum bereits gesehen hat, der ist überwältigt von der Coolness. Es liegt in der Wilmersdorfer Straße, einer beliebten Einkaufsstraße mitten in der Stadt und erstreckt sich über vier Stockwerke. Es gibt bodentiefe Fenster, auch nach innen zum offenen Atrium, versiegelte Betonböden und -wände, eine Tribüne und Sitzsäcke, die TUMObiles und ein Musikstudio, einen Beamer, 100 iMacs, 50 MacBooks. Eine typische deutsche Schule wirkt dagegen vorsintflutlich. „Crazy cybermäßig“, sagt eine Mitarbeiterin, als sie zum ersten Mal hier ist.

150 Schüler sind momentan angemeldet, fast genauso viele Mädchen wie Jungen, und werden in Gruppen von sechs Coaches vier Stunden pro Gruppe und Woche unterrichtet. Alle zwei Monate sollen weitere 150 Schüler hinzukommen, die Obergrenze liegt bei 1.050. Sie melden sich an wie in einem Verein, und wie beim Fußballtraining wird Anwesenheit erwartet. Wer länger unentschuldigt fehlt, fliegt raus. „Aber das ist ja auch logisch bei den Kosten, die die haben“, sagt Ferdinand.

Wenn der Lockdown endet, können sich Schüler und Coaches auch vor Ort treffen und das Zentrum endlich hautnah kennenlernen. Auf diesen Moment freut sich Robin Hertz besonders. Er ist als KfW-Projektleiter zuständig für TUMO. Die KfW finanziert das Projekt erst mal für fünf Jahre. „Das ist auch für uns ein innovatives Projekt“, sagt Hertz, „normalerweise fördert die KfW mit Krediten und Zuschüssen. Das gilt auch für die Bildungsfinanzierung im Inland sowie in Ländern der finanziellen Zusammenarbeit.“ In diesem Fall holt die KfW mit TUMO das Projekt eines Partnerlandes nach Deutschland.

Das kam zustande, nachdem 2018 Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einem Besuch in Jerewan von Marie Lou Papazian, der Geschäftsführerin, durch das Zentrum geführt wurde und begeistert war. Papazian hingegen war zunächst überrascht vom deutschen Interesse an TUMO. Wenn man Robin Hertz fragt, wie er Papazian das deutsche Interesse erklärt, antwortet er: „Ein vergleichbares außerschulisches Angebot dieser Größenordnung und mit dieser Vielfalt an Themen im Bereich der digitalen und kreativen Bildung ist in Deutschland derzeit schlichtweg nicht vorhanden. TUMO ist kein MINT-Zentrum, sondern ein Zentrum für kreative Technologien. Das bedeutet, dass Kinder kommen, die vielleicht Filme oder Musik machen wollen, dann im TUMO-Zentrum aber mit Robotik oder Programmieren in Kontakt kommen und diese für sich entdecken.“

Keine Angst vorm Programmieren

London Lee, 20, studiert Volkswirtschaft, fährt „vor allem Skateboard“ und arbeitet als Coach bei TUMO. Er bestätigt diesen Bedarf. „Ich weiß aus meinem Umfeld, dass man heute nur noch in wenigen Studiengängen an Datenverarbeitungssystemen vorbeikommt. Ich finde es super, dass man den Kindern hier die Angst vor Mathe und vorm Programmieren nimmt. Das ist gut fürs Studium und eröffnet mehr Optionen für die berufliche Zukunft.“ Lee hat auch viele Mädchen in seinen Kursen, was er besonders wichtig findet, weil sie sich normalerweise leichter vom Programmieren abschrecken ließen. „Doch ich habe eine, die programmiert seit sieben Jahren. Für sie ist es toll, dass sie nun andere interessierte Mädchen kennenlernen kann.“

Eins dieser Mädchen ist Kea, 18, aus Aachen. Sie hat in diesem Jahr Abitur gemacht und macht jetzt Gap Year. Sie hat von TUMO durch ihre Freundin Tabea, 17, erfahren, die wiederum bei einem Besuch in Berlin ein Werbeplakat in der U-Bahn gesehen hatte. Sie sind beide kunstinteressiert und finden es spannend, „dass man bei TUMO in ganz viele dieser Bereiche reingucken kann“. Weil der Unterricht digital gestartet ist, war für sie auch die Teilnahme aus Nordrhein-Westfalen möglich. Im Januar werden sie für mehrere Monate nach Berlin ziehen, wegen TUMO.

An ihrer Schule gab es keine digitale Bildung. Es habe zwar einige Computer und auch ein paar Laptops gegeben, erzählt Tabea, aber die wurden nur von den jüngeren Lehrern benutzt. „Die meisten Lehrer verwenden immer noch Overheadprojektoren, auf die man achtmal schlagen muss, damit sie funktionieren, selbst im Abitur“, sagt Kea. Bei Freunden an anderen Schulen sei das nicht anders gewesen. Anfang Dezember hat Angela Merkel auf dem Digitalgipfel der Bundesregierung auf schnellere Digitalisierung gedrängt. Wenn man sich Keas und Tabeas Erfahrungen anhört, scheint der Nachholbedarf an den Schulen noch groß zu sein.

TUMO soll Schule machen

TUMO ist zwar ein außerschulisches Lernprojekt, doch es soll in der deutschen Bildungslandschaft verankert werden. „Wir haben schon sehr konstruktive Gespräche auf Bezirksebene in Berlin geführt“, sagt Robin Hertz. „Wir wollen vormittags auch Schulen ins Zentrum holen, damit sie dort Workshops veranstalten können, zum Beispiel im Rahmen einer Projektwoche. Im Bereich der digitalen Bildung hat Deutschland noch einen weiten Weg vor sich. Es ist uns als KfW wichtig, diesen Weg mitzugestalten und dort zu helfen, wo es uns als Förderbank des Bundes und der Länder möglich ist.“

Freunde von Ferdinand, die von TUMO hören, sind erstaunt, dass das Angebot kostenlos ist. „Ich kann zehn spannende Themen so lernen, dass ich sie später im Beruf nutzen kann, hoffe ich.“ Wenn man mit zwölf beginnt, etwas zu lernen, dann ist man mit 18, wenn man mit der Schule fertig ist, richtig gut. Die Aussichten für Ferdinand sind also bestens.

Auf KfW Stories veröffentlicht am 14. Dezember 2020, aktualisiert am 9. August 2023.

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Alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen verabschiedeten im Jahr 2015 die Agenda 2030. Ihr Herzstück ist ein Katalog mit 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung, den Sustainable Development Goals (SDGs). Unsere Welt soll sich in einen Ort verwandeln, an dem Menschen ökologisch verträglich, sozial gerecht und wirtschaftlich leistungsfähig in Frieden miteinander leben können.