Die Gewinner des KfW Awards Bauen 2017 haben scheinbar Unvereinbares vereinbart: ein Denkmal bewahrt und neue Wohnungen geschaffen, die energieeffizient und barrierearm sind. Und das in ländlicher Lage, aber nur wenige S-Bahn-Minuten von Berlin-Friedrichshain entfernt.
Zu Gast bei Gewinnern
Architektin und Bauherren öffnen die Türen zu ihrem preisgekrönten Kaulsdorfer Kastanienhof (KfW Bankengruppe/n-tv).
Auf der einen Seite ein Dorfanger mit 700-jährigem Kirchlein und ländlichem Schulhäuschen, auf der anderen weite Wiesen, das Tal des Flüsschens Wuhle und ein grüner Hügel namens Biesdorfer Höhe. Und dazwischen eine frühere Scheune, die ländlich und zugleich urban wirkt – mit fast quadratischen bodentiefen Fenstern auf drei Etagen, großen Terrassen davor und einem sehr kantigen, aber ansehnlichen Neubau dicht daneben.
Das ist der Kaulsdorfer Kastanienhof. Zehn Familien und Paare vereinen hier das scheinbar Unvereinbare: Sie wohnen ländlich und zugleich metropolitan in Berlin – vom nahen S-Bahnhof sind es nur zwölf Minuten zur Szeneviertel Friedrichshain. Sie haben ein bäuerliches Denkmal bewahrt, aber darin neue Wohnungen untergebracht, die hell, geräumig, schön gestaltet, energieeffizient und barrierearm sind. Dank so vielen Qualitäten in einem einzigen Projekt haben sie den KfW Award Bauen 2017 gewonnen.
In den Anger von Kaulsdorf hatte sich Ursula Steinhilber schon vor über 20 Jahren verliebt. Die Stuttgarter Architektin und Professorin lehrt und plant auch in Berlin, vorzugsweise mit Baugemeinschaften. Sie entwarf damals für Kaulsdorf Wohnungen und richtete für sich und ihre Studenten in einem alten Stall ein Seminarhaus mit Sälen, Büros und Schlafräumen ein.
Ein paar Schritte weiter verfiel derweil der frühere Bauernhof in der Dorfstraße 29, mit dem die damaligen Eigentümer nichts anzufangen wussten. „Es drohte sogar schon Abriss und ein völliger Neubau, obwohl der Hof auf der Denkmalliste stand“, erzählt Steinhilber.
Dann aber tat sie sich mit Freunden zusammen und erwarb das Ensemble: die fast 30 Meter lange Scheune, ein bäuerliches Wohnhaus und eine Remise – und das Ganze auf einem Riesengrundstück von 8.472 Quadratmetern, ein Großteil davon Landschaftsschutzgebiet.
Steinhilber und ihre Freunde stellten den traditionellen märkischen Vierseithof wieder her: Sie sanierten und modernisierten die große Scheune und das Wohnhaus gegenüber, errichteten nebendran einen Neubau mit drei Wohnungen und ließen auf der vierten Seite die alte Remise für Wagen und Geräte erstmal, wie sie war. Zugleich suchten sie Mitstreiter, die Wohnungen übernehmen würden. Diese kamen von nah und fern: eine Familie aus Chile und dem Ruhrgebiet, weitere vom Prenzlauer Berg oder aus Schwaben wie Steinhilber, drei aber auch aus der nächsten Umgebung: Annet Schröder, Marko und Ines Krause wohnten schon in der Gegend und haben das Wuhletal und den stimmungsvollen Alt-Kaulsdorfer Weihnachtsmarkt häufig besucht.
Jetzt fasziniert sie alle drei einer der weitesten Grünblicke, die Berlin zu bieten hat. „Man sieht hier Rehe, Füchse und Bussarde“, sagt Annet Schröder, die im Neubau wohnt, der außen mit grau gestrichenen Holzlatten verschalt ist. Mit den Tieren hat Ines Krause nur ein Problem: „Die Rehe kommen bis auf die Terrasse und fressen die blühenden Tulpen weg.“
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Der Neubau
Stilmix
Der Eingang zum neu gebauten rechten Flügel des Kaulsdorfer Kastanienhofes, im Hintergrund die restaurierte Scheune von 1870.
Die Krauses leben im Prachtstück des Ensembles, dem liebevoll und aufwendig restaurierten Scheunen- und Stallgebäude. Hier musste Ursula Steinhilber „sämtliche Balken erneuern – sie waren alle an den Enden abgefault, ein wahrer Albtraum“. Die Klinkerfassade war an drei Seiten beschädigt und an der vierten völlig zerstört. Und natürlich fehlte in dem früheren Agrarspeicher jedwede Ausstattung, die fürs Wohnen nötig ist.
Jetzt ist alles da, inklusive schonender Dämmtechnik: Die Außenwand sollte sichtbar bleiben, aber auch innen nicht luft- und feuchtedicht abgeschlossen werden. Also kam auf die Innenseite an die historischen Ziegel eine Dämmschicht aus Mörtel und eine weitere Ziegelwand. „Wir haben damit quasi ein Haus im Haus“, resümiert Steinhilber.
Das marode Holztor wurde durch eine Glaswand ersetzt – und damit diese nicht zu fremd und groß wirkt, sind senkrechte Holzlamellen davor angebracht. Von der Hausdiele kommt man schnell in die Wohnung der Krauses, dem früheren Kuhstall mit direktem Wiesenkontakt.
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Das Scheunen- und Stallgebäude
Stattlich
Der fast 30 Meter lange ehemalige Agrarspeicher war baufällig, aber denkmalgeschützt. Eine Herausforderung für Architektin Ursula Steinhilber.
Preisverleihung 2017
Eindrücke von dem Gala-Abend in Berlin, auf dem die KfW Awards Bauen 2017 vor prominenten Gästen verliehen wurden (KfW Bankengruppe/n-tv).
Ursula Steinhilber hat es sich in der Etage darüber heimisch gemacht. Ihre Wohnung erreicht sie über eine eigenwillige, rustikale Stahltreppe – oder über einen kleinen Aufzug, der vor allem Vorsorge für das Wohnen im Alter ist.
Oben unterm Dach strahlen ihre Räume weiß. Vom Bett und – nach dem Wegschieben einer Wand – sogar von der Badewanne aus kann sie weit ins Wuhletal schauen. Durch Dachfenster blinken nachts die Sterne. „Ja, wir haben uns hier ein paar Träume verwirklicht“, sagt Steinhilber lächelnd. Träume mit historischer Verankerung: „Der alte Bestand hat uns vorgegeben, wie wir mit diesem Haus umgehen. Im Grunde haben wir nichts weiter getan, als das Denkmal weiter zu entwickeln.“
Quelle
Das Preisträger-Porträt ist erschienen in bauen + wohnen 2017.
Zur AusgabeDas Projekt in Stichworten
Projekt: Sanierung und Modernisierung eines denkmalgeschützten Hofensembles
Lage:
Berlin-Kaulsdorf, Dorfstr. 29
Baujahr: 1870 sowie 2014 bis 2016
Bauherren: Zehn Familien, Paare und Personen
Architektin:
Ursula Steinhilber
Energieberater: Hans-Jürgen Braun
Fläche: 8.472 Quadratmeter Grundstück, 590 Quadratmeter Wohnfläche (nur Scheune)
Baukosten/Quadratmeter: 2.760 Euro
Qualitäten für die Bewohner: Zentrumsnahes Wohnen zwischen Dorfanger und Landschaftsschutzgebiet
Qualitäten für die Gesellschaft: Erhalt, Weiterentwicklung und Belebung des Hof- und Dorfensembles
Energiesparen: Umfassende Dämmung, Heizung u. a. mit Biomasse
Barrierearmut: Vermeidung von Schwellen, Aufzug, barrierearme Bäder
Veröffentlicht auf KfW Stories am: Mitwoch, 17. Mai 2017
Zu diesen Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen leistet das dargestellte Projekt einen Beitrag
Ziel 7: Nachhaltige und moderne Energie für alle
Knapp 80 Prozent der weltweit erzeugten Energie stammt immer noch aus fossilen Energieträgern. Aus der Verbrennung fossiler Energieträger entstehen unter anderem Kosten für das Gesundheitssystem aufgrund der Luftbelastung und Kosten wegen Klimaschäden, die der Allgemeinheit und nicht nur den Verursachern schaden. Quelle: www.17ziele.de
Alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen verabschiedeten im Jahr 2015 die Agenda 2030. Ihr Herzstück ist ein Katalog mit 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung, den Sustainable Development Goals (SDGs). Unsere Welt soll sich in einen Ort verwandeln, an dem Menschen ökologisch verträglich, sozial gerecht und wirtschaftlich leistungsfähig in Frieden miteinander leben können.
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