Gruppenbild der Eigentümer im Innenhof vor Ruine
Bauen

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Romantik statt Ruinen

Eine Gruppe von Leipzigern nahm sich einen maroden Altbau-Komplex vor, legte alte Qualitäten frei und fügte neue hinzu. Heraus kam ein eigenwilliges Wohnhaus mit Industriecharakter – der zweite Platz beim KfW Award Bauen 2017.

Sinn fürs Abenteuer

Eine starke Truppe aus 20 Bauherren lebt ihren Traum in diesem Gründerzeithaus (KfW Bankengruppe/n-tv).

Der „Aufbau Ost“ ist in Leipzig weit gediehen; jetzt kam der „Aufbau West“ dran. Dieser Projektname ist natürlich Ironie: Leipzigs westlicher Stadtteil Plagwitz war früher eher verrufen, eine wilde Mischung aus schmuddeliger Industriegegend und alten Wohnhäusern mit feuchten Wänden, Außentoiletten und rußigen Fassaden. Heute ist Plagwitz der Stadtteil der Lofts, Ateliers, der sensibel sanierten Altbauten und der neu belebten Brachen. Der„Aufbau West“ bedeutet Stuck und Parkett, gewerblich genutzte Riesen-Salons und ein paar noch unsanierte Nebenhäuser, die aber heute Romantik und nicht mehr Elend, Schmutz und Verfall ausstrahlen.

Angestoßen haben das alles die Konzertpädagogin Julia Deutsch und der Filmproduzent Holm Taddiken. Sie suchten nach einem passenden Objekt für ein Gemeinschaftsprojekt und sahen irgendwann im Internet das Angebot in der Naumburger Straße: ein Vorderhaus zum Wohnen mit schmuddeliger und schadhafter, aber in der Substanz schöner Gelbklinker-Fassade und ein Hinterhaus mit großen, stützenfreien Gewerberäumen, mit durch Holz-Glas-Wände geteilten Büros und sehr hohen Decken. „Hier möchte ich wohnen“, dachte Julia Deutsch spontan.

Die KfW fördert

Die Bauarbeiten in der Naumburger Straße 40 in Leipzig wurden mit Mitteln zur Förderung von Bestandsimmobilien finanziert.

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Das Haus war an die Arbeiterwohlfahrt vererbt worden, diese hatte keine Verwendung dafür und suchte Käufer mit sozialen Absichten. Deutsch und Taddiken kauften es genau am 12.12.2012 und suchten Mitstreiter. Doch manche Interessenten wichen schon in der Toreinfahrt zurück, denn Häuser und Höfe waren voll Schrott und Müll, Nebengebäude Ruinen. Und ein Energie-Gutachter stellte aufgrund der spaltenreichen Fassaden und der kaputten Fenster fest: „Das Gebäude ist im Istzustand praktisch nicht beheizbar.“

Blick aus der Ruine durchs Fenster auf den Innenhof und die Rückseite des Hinterhauses
Ruinenlust

Im Hinterhof steht die Wand einer Ruine – Erinnerung an den Verfall, der im Vorderhaus und im größten Hofgebäude gestoppt wurde.

Aber einige Besucher waren fasziniert von den Spuren der Geschichte, die das Haus noch heute zeigt: Erbaut hatte es 1898 ein offenbar sehr erfolgreicher Tischlermeister, der selbst vorne einzog und hinten arbeitete.

In den 1930er Jahren kam ein Metallbetrieb hinein und in der DDR der VEB Schwermaschinenbau Kirow – ein sozialistischer Großbetrieb, der Großkräne produzierte. In der Naumburger Straße 40 wurden offenbar Ersatzteile gelagert und vielleicht auch hergestellt – die Baugruppenleute entdeckten jedenfalls noch 200 dickleibige Kataloge dafür.

Jetzt hat die Gruppe im Vorderhaus feinfühlig die klassischen Altbauqualitäten reaktiviert, vom Bodenparkett bis zum Deckenstuck. Neu ist die Nachhaltigkeit – Dämmung, Heizung, Solarthermie. Neu ist auch der Komfort, von geräumigen Dachterrassen bis zum Fahrstuhl, dessen Schacht an der Stelle der früheren Treppenhaus-Toiletten liegt.

Innenaufnahme eines Lofts mit Esstisch und Sperrholz-Block-Raumteiler im Hintergrund
Grossraum

Teil einer Loft-Etage mit eingestelltem Sperrholz-Block (hinten links).

Ein Restaurator gab Tipps für die Bewahrung der Pinsel-Ornamente im Treppenhaus. Die Bewohner wollten selbst machen, was immer sie konnten. Holm Taddiken erinnert sich lebhaft an „jede Menge Arbeitseinsätze“. Müll und Trümmer in Riesenmengen waren zu entfernen, im Hof wurden historisches Pflaster und Erde freigelegt, die Fenster in Eigenarbeit saniert.

Im Hinterhaus war der Wandel noch gründlicher. Dort bilden jetzt rund 100 Quadratmeter große Säle die Zentren der Wohnungen. Und während viele andere über die Enge in der Wohnung klagen, überlegte Julia Deutsch: „Wir kriegen wir nur diese Riesenräume in den Griff?“

Die Lösung sind Blöcke, die einfach mitten in den Raum gestellt wurden. Auf ihnen ist sogar noch für eine Dachterrasse Platz, auf der die Kinder spielen und das Geschehen unten im Raum beobachten.

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Preisverleihung 2017

Eindrücke von dem Gala-Abend in Berlin, auf dem die KfW Awards Bauen 2017 vor prominenten Gästen verliehen wurden (KfW Bankengruppe/n-tv).

14 Familien wohnen jetzt in dem Haus. Die Kinder haben die Höfe in Beschlag genommen; die Erwachsenen sehen noch jede Menge Arbeit vor sich. Immer ist irgendetwas aufzuräumen, zu reparieren oder zu verschönern. Zwar ist der Komplex inzwischen in Eigentumswohnungen aufgeteilt, aber die Gemeinschaft ist so eng wie eh und je.

Man nutzt die Höfe gemeinsam, und sollte mal jemand ausziehen, dann kann er seine Wohnung nicht einfach einem Fremden überlassen. Die Gemeinschaft hat dann das Recht, das Objekt zum gleichen Preis zu kaufen und passende Neumitglieder aufzunehmen. Sicher ist: Die wären für dieses Milieu heute leicht zu finden.

Quelle
Cover des Print-Magazins BAUEN & WOHNEN 2017

Das Preisträger-Porträt ist erschienen in bauen + wohnen 2017.

Zur Ausgabe

Das Projekt in Stichworten

Projekt: Sanierung und Modernisierung eines stark beschädigten Wohn- und Industriebaus
Lage: Leipzig-Plagwitz, Naumburger Str. 40
Baujahr: 1898, Sanierung 2012 bis 2014
Bauherren: Gemeinschaft von 20 Eigentümern
Architekt: Hauke Herberg (quartier vier)
Energieberater: Thomas Posanski (RPP Planungsbüro)

Fläche: 1.920 Quadratmeter Grundstück, 1.800 Quadratmeter Wohnfläche
Baukosten/Quadratmeter: 1.125 Euro

Qualitäten für die Bewohner: Atmosphärisch starke, geräumige und preisgünstige Altbau- und Loftwohnungen im Szeneviertel, Gemeinschaftsleben
Qualitäten für die Gesellschaft: Sanierung und Neubelebung eines Denkmals und des Quartiers, neuer Wohnraum im Baubestand

Energiesparen: Dämmung, neue Türen, Fenster und Heizungen, Solarthermie
Barrierearmut: Barrierearmer Zugang, Garten, Fahrstuhl im Vorderhaus

Veröffentlicht auf KfW Stories am: Freitag, 19. Mai 2017

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Alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen verabschiedeten im Jahr 2015 die Agenda 2030. Ihr Herzstück ist ein Katalog mit 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung, den Sustainable Development Goals (SDGs). Unsere Welt soll sich in einen Ort verwandeln, an dem Menschen ökologisch verträglich, sozial gerecht und wirtschaftlich leistungsfähig in Frieden miteinander leben können.