Lieferketten resilient gestalten

Ob in der Industrie, der Medizin oder dem Einzel­handel – in der jüngsten Vergangen­heit sahen sich viele mittel­ständische Unter­nehmen mit Störungen der eigenen Liefer­ketten konfrontiert. Welche Möglich­keiten haben Betriebe, um solchen Beeinträchtigungen vorzubeugen?

Nicht nur große, sondern auch viele mittel­ständische Unternehmen klagten in den vergangenen Jahren immer wieder über Liefer­engpässe. Einer Studie der KfW zufolge sahen sich im Frühjahr 2022 rund 42 % der kleinen und mittleren Unternehmen in Deutschland von einer Material­knappheit betroffen. In einigen Branchen, wie dem verarbeitenden Gewerbe oder dem Bau, lag dieser Anteil mit 78 % noch deutlich höher.

Die Folgen: 24 % der Mittel­ständler mussten ihre Preise für Produkte oder Dienst­leistungen erhöhen. 23 % berichteten von erhöhten Aufwänden in der Beschaffung und 22 % hielten die eigene Produktion beziehungs­weise eigene Dienst­leistungen für beeinträchtigt. Fast jedes zehnte Unternehmen sah sich gar gezwungen, Aufträge abzulehnen. Bleibt die Lage weiter angespannt?

Störungen bleiben nicht aus

Aseem Kinra bei einem Vortrag
Prof. Dr. Aseem Kinra leitet die Professur für Global Supply Chain Management an der Universität Bremen.

„Die globalen Lieferketten bleiben auch auf absehbare Zeit anfällig für Störungen“, sagt Aseem Kinra, Professor für Global Supply Chain Management an der Universität Bremen. Laut dem Experten sind die Beeinträchtigungen seit der Finanz­krise 2008 nicht nur häufiger geworden, sondern dauern mitunter mehrere Monate an.

Die den Lieferengpässen zugrunde liegenden Ursachen können vielfältig sein. Sie reichen von einer deutlichen Steigerung der Nachfrage nach bestimmten Roh­stoffen oder Produkten über Ver­zögerungen in der Produktion und Unter­brechungen von Transport­wegen bis hin zur Veränderung regulatorischer Vorgaben. Strukturelle Effekte verstärken die Auswirkungen solcher Störungen zusätzlich. Gerade der deutsche Mittel­stand ist laut Kinra aufgrund der Vielzahl an Zwischen­händlern und langen Liefer­strecken häufig von derartigen Effekten betroffen.

Transparenz als erster wichtiger Schritt

Logistik-Experte Kinra zufolge ist die Transparenz der eigenen Liefer­ketten der erste und ent­scheidende Schritt, um Eng­pässen vorzubeugen: „Ein Betrieb muss wissen, wer die eigenen Lieferanten und auch wer die Lieferanten der Lieferanten sind – angefangen bei den Roh­materialien bis hin zum fertigen Produkt.“ Je nach Komplexität der Liefer­ketten reichen Stift und Papier oder einfache Software-Lösungen aus, um die wesentlichen Zusammen­hänge zu skizzieren. Nur in wenigen Fällen ist ein kosten­intensives Tool notwendig.

Die so entstehende Abbildung der Liefer­ketten, im englischen Supply Chain Map genannt, können Unter­nehmen nutzen, um erste Abhängig­keiten und Störungs­potenziale entlang der Wertschöpfungs­kette zu identifizieren.

Kultur des Informationsaustauschs etablieren

Kartons in einer Lagerhalle
Störungen der globalen Lieferketten führten in den vergangenen Jahren immer wieder zu Lieferengpässen.

„Eines der Hauptprobleme von Unter­nehmen ist es, dass mögliche Engpässe in den Liefer­ketten viel zu spät erkannt werden“, erläutert Kinra. Eine wesentliche Ursache dafür sieht er im mangelnden Informations­fluss zwischen verschiedenen Abteilungen. So kann es zum Beispiel passieren, dass der Vertrieb Anzeichen für eine starke Absatz­steigerung registriert, die Beschaffung jedoch gleichzeitig Hinweise auf eine angespannte Personal­situation bei einem wichtigen Zulieferungs­betrieb erhält. Werden Informationen wie diese nicht transparent kommuniziert, kann sich eine angespannte Liefer­situation schnell zuspitzen.

„Um solchen Problemen entgegen­zuwirken, muss es eine Kommunikations­kultur geben, die den Fluss der relevanten Informationen ermöglicht“, sagt Kinra. Dafür ist es entscheidend, Silos innerhalb des eigenen Unter­nehmens aufzulösen und gleichzeitig die Beziehung zu den Lieferanten zu intensivieren. Über den engen Austausch ist es möglich, nicht nur den Zulieferer selbst, sondern auch dessen Umfelder – seien sie politischer oder wirtschaftlicher Natur – besser kennen und einschätzen zu lernen. So lassen sich Risiken möglichst frühzeitig ausmachen und Gegen­maßnahmen wie die Suche nach ergänzenden Lieferanten einleiten.

Technologische Potenziale nutzen

Neben diesen Maßnahmen können – gerade bei komplexen oder besonders störungs­anfälligen Liefer­ketten – digitale Technologien dabei unter­stützen, den Status quo fes­tzustellen, kontinuierlich zu überwachen und dynamische Änderungen in der Liefer­kette proaktiv zu identifizieren. Einige technologische Lösungen ermöglichen nicht nur die Abbildung des Ist-Zustands, sondern auch die Prognose zukünftiger Entwicklungen.

Mithilfe von Big-Data-Analysen lässt sich beispielsweise vorher­sagen, wie sich der Bedarf nach einer bestimmten Ressource wahr­scheinlich entwickeln wird. Über einen digitalen Zwilling der Liefer­kette können nicht nur aktuelle Entwicklungen der Waren­ströme nach­verfolgt, sondern auch Szenarien wie der Ausfall eines Lagers simuliert werden. „Digitale Tools können für das Management der Liefer­ketten sehr nützlich sein“, sagt Kinra. „Dennoch ist es wichtig, dass Unter­nehmen sich zuerst mit der Struktur ihrer Liefer­ketten vertraut machen – sonst hilft auch die beste technische Unter­stützung nichts.“

Wertschöpfungsketten resilient gestalten

Um die Anfälligkeit des eignen Unter­nehmens zu reduzieren, kann es sinnvoll sein, den Waren­bestand in den Lagern aufzustocken, Beschaffungs­wege stärker zu diversifizieren und wenn möglich zu verkürzen. „Unter­nehmen können zum Beispiel häufiger auf lokale Lieferanten setzen oder mit 3D-Druck Vor­produkte selbst herstellen. Diese Schritte erlauben es Betrieben zudem, ihre CO2-Emissionen zu reduzieren“, erläutert Kinra. Gleich­zeitig warnt der Experte jedoch vor zu hohen Erwartungen. Viele dieser Maßnahme tragen zwar zu resilienteren Liefer­ketten bei, gehen jedoch mit erhöhten Kosten einher.

Ein weiterer Ansatz­punkt ist es, den Bedarf an Ressourcen – grund­sätzlich oder partiell – zu reduzieren. Vielerorts lässt sich die Produktion so optimieren, dass weniger Ausschuss anfällt und entsprechend weniger Bedarf an Roh­waren entsteht. Auch die Erhöhung der Recycling­quote von Zwischen- oder End­produkten kann dazu beitragen, Liefer­ketten zu entlasten. „Die letzten Jahre haben gezeigt, wie strapaziert und komplex die globalen Liefer­ketten geworden sind“, sagt Kinra. „Aber wir haben auch gelernt, dass sich diese Unsicherheit bewältigen lassen. Das funktioniert jedoch nur dann, wenn sich alle Glieder der Wertschöpfungs­kette als Partner verstehen und zusammen­arbeiten.“

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