3-D-Ultraschallsensoren von Toposens
Sensorik

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Wenn Autos wie Fledermäuse navigieren

Die Gründer von MEYSENS (früher Toposens) aus München entwickeln 3D-Ultraschallsensoren, die Maschinen und Roboter mit der Fähigkeit der Echoortung ausstatten. Diese Technologie wird auch für autonomes Fahren wichtig sein .

In einem Münchner Hinterhofbüro lässt sich Ungewöhnliches beobachten: Alexander Rudoy steht vor einem Laptop und verfolgt die Bewegungen auf dem Bildschirm. Vor einem schwarzen Hintergrund sieht man ein leuchtend grünes Koordinatensystem, das an den Geometrieunterricht in der Schule erinnert: Drei Achsen eröffnen einen dreidimensionalen Raum. Darin bewegen sich die drei Gegenstände als verschieden große grüne Flecke.

Was sich gerade im Flur des Start-ups MEYSENS abspielt, soll in Zukunft Maschinen, Gebäuden und Robotern das „Sehen“ ermöglichen. Die Gründer testen, wie gut Hardware und Software zusammenarbeiten. „Den Bildschirm kann man sich als Sichtfeld eines Autos vorstellen, die beiden Flaschen als andere Autos auf der Straße und das Rohr als Mensch am Fahrbahnrand“, erklärt der Erfinder Alexander Rudoy. Die Technologie, die dahintersteckt, befindet sich in einer Box, etwa so groß wie zwei aufeinanderliegende kleine Smartphones. Seither wurde weiter getüftelt. Im Juni 2018 kam der Sensor viel kleiner auf den Markt – etwa 20 Gramm schwer und in der Größe einer Streichholzschachtel – und konnte auch in größeren Stückzahlen geliefert werden.

Wie das Echolot einer Fledermaus

3-D-Ultraschallsensoren von Toposens

Was in WG-Zimmern begann, hat es inzwischen ins eigene Büro auf 150 Quadratmetern geschafft.

Die entwickelten 3D-Ultraschallsensoren funktionieren wie das Echolot einer Fledermaus: Sie senden Signale aus, berechnen das empfangene Echo und können präzise und in Echtzeit erkennen, wo sich Menschen, Tiere oder Gegenstände im Raum befinden. In Autos verbaut kann die Sensorik selbstständiges Fahren, Einparken oder das automatische Öffnen von Türen ermöglichen. In Wohnhäusern oder Industrieanlagen kann man damit Energie sparen, indem nur belebte Räume beheizt werden. Bei einem Brand erfährt die Feuerwehr dank der Sensoren, in welchen Zimmern sich Personen aufhalten.

Verglichen mit existierenden eindimensionalen Ultraschallsensoren hat die innovative Sensorik von MEYSENS einen wesentlichen Vorteil: Sie nimmt die Umgebung dreidimensional wahr. Zudem erfasst die MEYSENS-Technologie keine persönlichen Daten, ein wichtiger Punkt in Sachen Datenschutz. Stattdessen werden anonyme Bewegungsdaten aufgezeichnet.

Traum vom Roboterfisch führt zur Geschäftsidee

3-D-Ultraschallsensoren von Toposens

In den Räumlichkeiten des Münchner Start-ups wird nicht nur gebrainstormt, sondern auch gebastelt.

Alexander Rudoy war es, der vor Jahren schon angefangen hatte, mit Ultraschall zu experimentieren. Der gelernte Informationselektroniker studierte damals an der Hochschule München Mechatronik/Feinwerktechnik und träumte von einem eigenen Roboter, einer Mischung aus Spielzeug und Haustier. „Ich hatte die Idee, einen Roboterfisch zu bauen, der über elektromagnetische Felder gesteuert wird“, erzählt Rudoy. Lebendig sollte er aussehen, sich wie ein Goldfisch im Wasser bewegen, aber weder Futter noch frisches Wasser benötigen. „Es gab keine passende Sensorik dafür, also habe ich angefangen, selbst einen Algorithmus zu entwickeln.“ Drei Jahre lang schrieb er an einer Simulation, programmierte in jedem freien Moment an seinem Laptop. Den Roboterfisch hat Rudoy zwar nie fertig gebaut, aber dafür eine Geschäftsidee entwickelt: Sein Algorithmus wurde zur Kerntechnologie von MEYSENS.

Kurz vor Studienende 2014 ließ sich Rudoy im Gründerzentrum der Hochschule beraten. Dort begegnete er zufällig seinem Mitstudenten Rinaldo Persichini, den alle Aldo nennen. Aldo hatte auch eine Idee. „Aber die von Alex war besser“, sagt er. „Ich habe meine aufgegeben und wir haben zusammen seine weiterentwickelt.“ Wochenlang bastelten die beiden Ingenieure in einer WG an ersten Prototypen herum. Ihnen wurde klar, dass sie kaufmännischen Verstand brauchten, wenn sie eine richtige Firma aufbauen wollten. Also stellten sie sich bei einer Veranstaltung für Gründer auf die Bühne, erzählten von ihrer Vision und ihrer Suche nach einem Betriebswirt. Tobias Bahnemann saß im Publikum und war sofort überzeugt: „Industrie 4.0 ist ein echtes Zukunftsthema.“ Bahnemann war gerade mit seiner Freundin von Münster nach München gezogen und auf der Suche nach einem Job nach seinem BWL-Studium. Er sprach die beiden Ingenieure an – und dann ging alles ganz schnell.

2015 gründeten die Berufsanfänger ihr ursprüngliches Start-up Toposens und bekamen das EXIST-Gründerstipendium des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz sowie des Europäischen Sozialfonds. Erst arbeiteten sie von zu Hause aus und stimmten sich via Skype ab, dann zogen sie gemeinsam in einen kleinen Raum im Inkubator-Gebäude des Gründerzentrums.

Dort sieht es genauso aus, wie man sich ein Start-up vorstellt: Im Eingangsbereich und Flur gibt es eine Sitzecke, eine Küchenzeile, einen Tresen und oft auch einen Versuchsaufbau, wie den mit Flaschen und Rohren, um die Technologie zu testen. Im Entwickler-Büro geradeaus sind Tische zu einer Insel zusammengeschoben, neben den Monitoren und Tastaturen stapeln sich Berge aus Kabeln und Werkzeugen.

Co-Gründer Alexander Rudoy: „Mein Ziel war es immer, ein Unternehmen zu gründen.“ So war die Rollenverteilung von Anfang an klar. Während Rudoy die Kerntechnologie weiterentwickelt, kümmert sich Bahnemann um die Betriebsabläufe, die beiden sind die Geschäftsführer.

Neben dem Entwickler-Büro befindet sich ein kleines Testlabor. An der hinteren Wand hängt das Vorderteil eines Autos, Stoßstange und Karosserie sind verkabelt. Davor stehen unterschiedlich hohe Stangen, an deren Enden Köpfe aus Styropor stecken, die hin und her bewegt werden können, so wie die Flaschen und das Rohr im Flur. „Damit simulieren die Ingenieure Situationen, ohne ständig Statisten zu brauchen“, erläutert Bahnemann und lacht. Was genau hier gerade entwickelt wird, darf er nicht verraten, nur so viel: „Es geht um Vorentwicklungen für autonomes Fahren und die Frage, wie ein Auto seine Umgebung wahrnimmt.“ Zu den Kunden zählen BMW, Daimler und Porsche. „Unsere Vision ist es, weltweit der führende Anbieter für 3D-Sensorik zu werden“, sagt Alexander Rudoy. „Und eines Tages soll der Roboterfisch in unserer Lobby schwimmen.“

Nachtrag

MEYSENS hatte seine Kerntechnologie in den letzten Jahren weiterentwickelt. Der Fokus lag ausschließlich auf Robotik und Automotive. Die Anwendung in Wohnhäusern und Industrieanlagen wurde nicht weiterverfolgt. Neu hinzugekommen ist ein Tracking-System. Dieses basiert auf dem Ultraschallsensor und ermöglicht die Bestimmung eines Objektes im dreidimensionalen Raum. Diese Funktion ermöglicht es etwa Robotern, die Ladestation wiederzufinden.

Im Jahr 2023 übernahm Mey Industry, die Beteilungstocher des WEBASTO-Hauptgesellschafters Gerhard Mey, den Geschäftsbetrieb und die Toposens-Mitarbeitenden. Die neu gegründete MEYSENS GmbH wird seitdem von Alexander Rudoy, Mitgründer und ursprünglich CTO, geleitet. Der andere Mitgründer und ehemalige CEO, Tobias Bahnemann, steht als Berater weiter zur Verfügung.

Auf KfW Stories veröffentlicht am 11. September 2018, zuletzt aktualisiert am 26. Juli 2023.

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Alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen verabschiedeten im Jahr 2015 die Agenda 2030. Ihr Herzstück ist ein Katalog mit 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung, den Sustainable Development Goals (SDGs). Unsere Welt soll sich in einen Ort verwandeln, an dem Menschen ökologisch verträglich, sozial gerecht und wirtschaftlich leistungsfähig in Frieden miteinander leben können.