Klasse statt Masse – „Die Brotpuristen“ backen Brot aus Leidenschaft
Gründen

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Aus Liebe zum Brot

Zehn Jahre arbeitet ein Betriebswirt bei einem kommunalen Energieversorger – dann entspringt aus seiner Leidenschaft für gutes Brot eine außergewöhnliche Geschäftsidee. Für sein Start-up „Die Brotpuristen“ kürte die Jury des KfW Awards Gründen 2018 den 35-jährigen Sebastian Däuwel zum Landessieger Rheinland-Pfalz.

Brot pur

Sebastian Däuwel erläutert seine Philosophie des puristischen Backens (KfW Bankengruppe/n-tv).

Montags Ruhetag! Eigentlich bleiben die Pforten der Bäckerei „Die Brotpuristen“ direkt am Speyrer Hauptbahnhof zu Wochenbeginn stets geschlossen. „Den Montag nutzen wir zur Vorbereitung auf die neue Backwoche“, erklärt Sebastian Däuwel. Doch dieser Tage kennt der Gründer und Inhaber der Brotpuristen auch am verkaufsfreien Montag kaum Muße. Wann immer es die Zeit zulässt, pendelt Däuwel zwischen seiner Backstube und seinem künftigen Firmenstandort in einem Gewerbehof in Rheinnähe. Noch vor Jahresfrist will er dort das neue Domizil der Brotpuristen beziehen.

Der Umzug ist unausweichlich. „Heute schon an morgen denken“, zitiert Däuwel einen alten Werbeslogan und zeigt auf seine Verkaufsräume, in denen die Kunden regelmäßig an der einzigen Kasse geduldig Schlange stehen: „Mit 200 Broten pro Tag hatte ich beim Start kalkuliert. Heute sind es am verkaufsstarken Freitag schon bis zu 800.“ Der Pfälzer weiß: Seine Bäckerei auf 150 Quadratmetern in der Bahnhofsstraße kann mit der Welle des Erfolgs, die in den ersten zwei Jahren nach Gründung über die Brotpuristen hereingeschwappt ist, nicht mehr Schritt halten. Mit neuen Backöfen und Kühlgeräten, einer zweiten Kasse und größerer Verkaufsfläche will der Jungunternehmer künftig dem Kundenansturm gerecht werden.

Klasse statt Masse – „Die Brotpuristen“ backen Brot aus Leidenschaft
Weniger ist mehr

Die Brotpuristen öffnen nachmittags und haben jeden Tag nur vier Brotsorten im Angebot.

Dabei wirkt Däuwels Erfolgsgeschichte eigentlich wie aus der Zeit gefallen. Denn der Branchentrend spricht eine andere Sprache. Handwerk hat goldenen Boden – das alte deutsche Sprichwort hat für viele Bäckermeister längst seinen Glanz verloren. Die Zahl der Meisterbetriebe im Bäckereihandwerk sinkt seit Jahren kontinuierlich. Allein zwischen Ende 2010 und Ende 2017 schrumpfte der Bestand an Betrieben laut Zentralverband des Deutschen Bäckerhandwerks von 14.594 auf 11.347. Der harte Preiswettbewerb der Discounter setzt gerade den kleinen Bäckern arg zu. Auch lassen sich kaum geeignete Nachfolger finden, wenn der Inhaber altersbedingt ausscheidet. Viele kleinere Betriebe haben deshalb in den letzten Jahren aufgegeben. „Wir haben fast keine Neugründungen, höchstens Übernahmen innerhalb der Familie“, hat auch Däuwel beobachtet.

Ausgerechnet in diesem wirtschaftlich schwierigen Umfeld gründet der Quereinsteiger und Autodidakt 2016 in der Domstadt sein Start-up „Die Brotpuristen“. „Mit einer Ausnahmegenehmigung der Handwerkskammer Kaiserslautern“, fügt Däuwel an – schließlich hat der Betriebswirt keinen Meisterbrief in der Tasche. Die Brotpuristen: Das ist eine Bäckerei, die nur an vier Tagen nachmittags öffnet und am Tag gerade mal vier Brotsorten im Angebot führt. Die Brotpuristen backen nicht in der Nacht, sondern morgens früh, denn, so Däuwels Erfahrung, die meisten Kunden kommen ohnehin nach der Arbeit zum Brotkauf.

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Wahre Leidenschaft

Däuwel ist Quereinsteiger. Was ihm noch an Know-how fehlt, gleicht er mit einer wichtigen Zutat aus: seiner Liebe zum Brot.

Klasse statt Masse – die anfänglichen Zweifel der Bäckerkollegen ob seines außergewöhnlichen Konzepts haben den Speyrer nicht von seinem Weg abgebracht. Dazu glaubt er zu beharrlich an die Qualität seines Brots und daran, dass sich viele Kunden, wie er selbst, nach einer Alternative zu den Fertigmischungen der Großbäckereien sehnen.

Da verrichtet der Domstädter noch als fest angestellter Controller beim Energieunternehmen Pfalzwerke AG sein Tagwerk und rollt und knetet nur in seiner Freizeit den eigenen Brotteig. Däuwel kultiviert einen eigenen Roggensauerteig, tüftelt an der richtigen Mischung, probiert sich mit großer Begeisterung an Profiequipment aus und hospitiert für eine Woche in einer französischen Bäckerei in Lyon, um die Kunst des Baguettebackens zu erlernen.

Der nächste Schritt: Der Brotliebhaber richtet sich im Vereinsheim seines Tennisclubs eine kleine Backstube ein. Nun kommen auch Freunde und Arbeitskollegen, die er regelmäßig über seine Backtermine auf dem Laufenden hält, in den Genuss seiner puren Brote ohne Zusatzstoffe. Als er eine Woche lang in einem Pop-up-Store in der Innenstadt das Selbstgebackene auch Kunden außerhalb des eigenen Bekanntenkreises anbietet, wird Däuwel von der Nachfrage überrannt. „Die Kunden riefen mich selbst bei der Arbeit an und fragten, wann ich wieder Brot backe. Sie haben geradezu auf mich eingeredet, weiterzumachen“, erinnert sich der Pfälzer.

KfW Award Gründen

Der KfW Award Gründen zeichnet in jedem Jahr 16 Landessieger und einen Bundessieger für ihre Geschäftsideen aus.

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Mit der großen Resonanz reift der Entschluss, sich mit einer Ausnahmegenehmigung als Bäcker in die Handwerksrolle eintragen zu lassen und fortan auch ohne Meisterbrief gewerblich Brot zu backen. Wie so oft hört Däuwel auf sein Bauchgefühl und gibt seinen sicheren Job bei den Pfalzwerken zugunsten seiner neuen Leidenschaft auf. Die Brotpuristen sind geboren.

Fortan gibt es in Speyer reines Brot – denn Däuwel und seine mittlerweile acht Mitstreiter backen ohne Zusätze und mit selbst gezüchteten Sauerteigen. Der Brotteig reift naturgemäß länger oder in Däuwels Worten: „Der Teig braucht so lange, wie er braucht. Aber der längere Reifeprozess fördert auch die Bekömmlichkeit und die Aromabildung.“ Die meisten Großbäckereien greifen stattdessen auf einen Sauerteig mit einer Kultur aus dem Labor zurück. „Daher ähneln sich viele Brote auch im Geschmack.“

Auch Enzyme, Guarkernmehl als Verdickungsmittel und Emulgatoren bleiben bei Däuwel außen vor: Enzyme aus dem Labor halten das Brot künstlich frisch oder unterstützen die Krustenbildung, Emulgatoren machen den Teig voluminöser. Die Brotpuristen hingegen setzen auf das Prinzip der Entschleunigung statt auf Turbobrote. Auf der Zutatenliste stehen klassisch Mehl, Wasser, Salz, hier und da einige Gewürze. Für das so gebackene und individuell geformte pure Brot aus Speyer reisen Kunden denn auch schon mal mehr als 30 Kilometer aus Heidelberg oder Karlsruhe an. „Die kaufen dann oft zehn Brote und frieren sie ein, damit sich der weite Weg lohnt“, weiß Däuwel.

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Aufs Wesentliche reduziert

Die Rezepte der Brotpuristen sind in ihrer Schlichtheit genial.

Und er selbst bringt das Brot auch zu den Kunden. Ein alter Brottruck fährt einmal die Woche ins pfälzische Landau. Typisch Däuwel: Statt in einem modernen Verkaufswagen tuckern die Brotpuristen mit einem umgebauten Pakettransporter aus den 1990er-Jahren ins 30 Kilometer entfernte Landau. „Retro ist in“, sagt der Jungunternehmer – zum puristischen Brot gesellt sich nun ein auffälliges Gefährt, das den Kunden ein zusätzliches Gefühl von Ursprünglichkeit vermittelt.

Ohnehin weiß Däuwel, dass seine Start-up-Story die Menschen fasziniert. Er findet Erwähnung in einem Report über gutes Brot im Magazin „DER SPIEGEL“ ebenso wie in TV-Beiträgen des SWR oder von Pro7. Auch die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer, machte bereits Station in Speyer und kostete im Blitzlichtgewitter der Kameras Däuwels handwerklich gefertigtes Brot. Dazu pflegt der Speyrer seinen Auftritt in den sozialen Medien, sein Newsletter erreicht regelmäßig mehr als 3.000 User. Und das kommt nicht von ungefähr: Däuwel weiß sich als Teil einer Bewegung. „Die Zahl der Hobbybäcker hat sich in den letzten Jahren vervielfacht“, beobachtet er im Internet eine neue Liebe für das wichtigste Grundnahrungsmittel der Deutschen.

Dass viele dieser Hobbybäcker es ihm mit eigenen Geschäftsideen gleichtun werden, glaubt Däuwel aber nicht. „Dem steht anders als etwa bei trendigen Kaffeeröstern oder Craft-Bier-Brauern der Meisterzwang des Bäckerhandwerks entgegen.“ Das, so ärgert sich Däuwel, sei eine vertane Chance für die Branche. „Wir hätten sonst viel mehr innovative Bäckereigründungen“, glaubt er. So begeistert weiterhin die außergewöhnliche Geschichte der Brotpuristen die Menschen – so wie auch Däuwels Brot.

Auf KfW Stories veröffentlicht am: Dienstag, 6. November 2018