Gruppenbild mit den Beteiligten des Pariser Klimaabkommens.
Klimaabkommen

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„Paris war der Wendepunkt“

Dr. Karsten Sach leitet seit mehr als zwanzig Jahren die deutsche Verhandlungsdelegation bei den internationalen Klimaverhandlungen. Fünf Jahre nach Verabschiedung des Pariser Abkommens zieht er Bilanz im Gespräch mit KfW Stories. Er erläutert, was seither erreicht wurde und warum sich der Wandel jetzt beschleunigen muss.

Zur Person
Porträt von Dr. Karsten Sach

Dr. Karsten Sach ist studierter Jurist und Abteilungsleiter im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit. Er gilt als „Kopf und Gesicht“ der internationalen Klimapolitik und als einer der erfahrensten Unterhändler weltweit. Sach hat über die Jahre alle Höhen und Tiefen im Ringen um den globalen Klimaschutz erlebt und auch das Abkommen von Paris maßgeblich mit verhandelt.

Vor genau fünf Jahren wurde das Pariser Klimaabkommen verabschiedet. Wie sehen Sie die Übereinkunft im Rückblick?

Dr. Karsten Sach: Paris war ein großartiger Erfolg, ein Durchbruch. Wir haben uns dort als Staatengemeinschaft verpflichtet, in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts klimaneutral zu werden. Das heißt, die Emissionen, die wir ausstoßen, dürfen nicht größer sein, als das Maß an Treibhausgasen, die Senken aufnehmen können. Diese Verpflichtung, auch wenn sie nicht an eine feste Jahreszahl gebunden ist, verstehen Staaten, Unternehmen, Kommunen, Bürgerinnen und Bürger. Das war eine klare Botschaft, die einleuchtet, und die ist zum neuen Normal geworden. Darin liegt der Charme von Paris.

Diese Sicht teilen aber nicht alle Beobachter. Kritiker beklagen, dass es im Pariser Vertrag keine verbindlichen Minderungsquoten gibt. Was entgegnen Sie denen?

Das sehe ich in der Tat nicht so. Es ist richtig, wir haben keine solchen Quoten, keine Vorabfestlegungen, wie sie das Kyotoprotokoll noch vorsah. Aber das Ziel ist klar formuliert und das Verfahren dorthin verbindlich vereinbart: Alle Mitgliedsstaaten haben sich zu national festgelegten Minderungszielen verpflichtet und dazu, diese kontinuierlich zu steigern. Das Pariser Abkommen ist verbindliches Völkerrecht.

Reden Sie sich das Ergebnis nicht schöner, als es ist?

Nein. Wir haben viel erreicht in Paris. Für mich ist das der Wendepunkt in den internationalen Klimaverhandlungen. Das vorherige System hatte nicht mehr funktioniert – ich erinnere an die schwierigen Verhandlungen von Kopenhagen –, das Kyotoprotokoll war ausgelaufen. Wir brauchten eine Nachfolgeregelung. Vorher mussten sich am Klimaschutz nur einige Industrieländer beteiligen. Das sollte sich ändern, damit die ganze Welt beteiligt ist. Jetzt haben wir einen universellen Vertrag.

Thomas Koch, DEG

Ein wichtigerer Bestandeil der Energie­wende in Deutschland ist der Einsatz von erneuerbaren Energien und von Energieeffizienzmaßnahmen bei Wohnhäusern.

Dass es überhaupt eine Einigung gab, war nach den Jahren des Stillstands bei den internationalen Klimaverhandlungen sicher ein Erfolg. Aber ist der Vertrag selbst ambitioniert genug?

Wir haben mit dem Pariser Übereinkommen ein Modell gefunden, das global als gerecht empfunden wird. Es erkennt an, dass Staaten eine Geschichte haben und einen unterschiedlichen Entwicklungsstatus. Dem tragen die sogenannten „Nationally Determined Contributions“, die nationalen Klimaschutzbeiträge, Rechnung. Alle Länder haben sich damit verpflichtet, Emissionen zu reduzieren, wenn auch in unterschiedlicher Größenordnung. Ergänzend dazu gibt es klare Berichtspflichten und gemeinsame Regeln, wie diese Fortschritte transparent gemacht werden können. Und schließlich haben wir vereinbart, dass die nationalen Ziele alle fünf Jahre nachgeschärft und ambitionierter werden. Das heißt, man hat mit Paris einen sehr intelligenten Ordnungsrahmen geschaffen, der nicht ganz strikt ist, aber in dem sich alle Staaten wiederfinden können. Das hat eine große Dynamik ausgelöst.

Ausgerechnet die wichtige Fünf-Jahres-Überprüfungskonferenz, die eigentlich dieses Jahr stattfinden sollte, ist wegen der Corona-Pandemie auf kommenden Herbst verschoben worden. Bremst das die Dynamik, von der Sie gerade sprachen?

Überraschenderweise nicht. Dafür ist die Dringlichkeit des Klimaschutzes – zum Glück – mittlerweile zu sehr in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Ein ganz wesentlicher Grund dafür ist auch der Green New Deal der Europäischen Union, mit dem wir festgeschrieben haben, dass die EU bis zur Mitte des Jahrhunderts klimaneutral sein muss. Die EU wäre dann der erste klimaneutrale Kontinent auf der Welt. Im Moment werden die Zwischenschritte bis 2030 und 2040 dafür festgelegt. Aber auch eine ganze Reihe anderer Staaten hat sich zu diesem Ziel bekannt. Dazu gehören zum Beispiel Kanada, Südkorea, Neuseeland oder Japan. China hat sich 2060 als Zieljahr gesetzt. Zusammen steht diese Staatengruppe für rund zwei Drittel der weltweiten Emissionen und für drei Viertel der globalen Wirtschaftsleistung. Das ist ein riesiger Fortschritt.

Der künftige amerikanische Präsident Biden hat Klima neben dem Wiederaufbau der Wirtschaft nach Corona zu einer seiner vier Prioritäten erklärt. Erwarten Sie sich dadurch zusätzliche Bewegung in Sachen Klimaschutz?

Auf jeden Fall. Wir haben in den letzten vier Jahren erlebt, was es heißt, wenn eine Führungsmacht ausfällt. Dann verstecken sich nämlich auch andere Nationen hinter dieser ablehnenden Haltung. Das ändert sich zum Glück wieder. Und mit John Kerry als Klimabeauftragtem haben wir dann auch eine Ikone des Klimaschutzes als Ansprechpartner. Das ist ein klares Zeichen für den Führungsanspruch, den die USA jetzt wieder erheben, und gibt Hoffnung, dass wir noch mehr erreichen können. Allerdings ist auch klar: Biden wird es nicht leicht haben, seine Agenda durchzukriegen, mit einem wahrscheinlich republikanisch-dominierten Senat.

Solarkraftwerk Ouarzazate

In Marokko ist in den letzten Jahren der größte Solarpark der Welt entstanden. Die Oberfläche der Parabolspiegel summiert sich auf 1,4 Millionen Quadratmeter. Sie produzieren Energie für 1,3 Millionen Menschen.

Noch sind die Emissionen aber auf hohem Niveau. Die Wissenschaft drängt zu mehr, die Jugend ist ungeduldig. Wie begegnen Sie diesen Forderungen?

Ich bin mit denen einig, dass wir massiv beschleunigen müssen. Wir können dabei nicht nur fortschrittsgläubig auf neue Technologien bauen. Es geht um einen fundamentalen Wandel, der gesamte Gesellschaften trifft, ihr Wirtschaftssystem, ihre Art zu leben. Dafür muss man Menschen mitnehmen. Deshalb nützt es nichts, unrealistische Forderungen aufzustellen. Sondern wir brauchen die richtige Geschwindigkeit, bei der alle mitkommen. Sie können nicht, um mal ein Beispiel aus dem Sport zu bemühen, von jetzt auf gleich in ein Usain-Bolt-Tempo kommen, sondern müssen einen vernünftigen und zugleich ambitionierten Trainingsaufbau leisten. Das heißt, wir müssen schrittweise leistungsfähiger werden, und dies schnell. Und genau das tun wir, indem wir zum Beispiel in Europa den Strukturwandel hin zu einem klimaneutralen Kontinent mit festen Zwischenschritten rechtsverbindlich organisieren.

Kohlekraftwerk in China

China baut noch immer die meisten Kohlekraftwerke.

Wer ist bei diesem Umbau Ihrer Ansicht nach weiter Europa oder China?

Die Klimapolitik Chinas hat sich in den letzten zehn Jahren zum Positiven gewandelt: Ich nenne den Aufbau erneuerbarer Energien, moderne Batterieproduktion, da ist China sogar Weltmarktführer. Auf der anderen Seite bauen die Chinesen immer noch die meisten Kohlekraftwerke im In- und Ausland. Und sie haben neben hochmodernen nachhaltigen Tendenzen auch Provinzen und Sektoren, die weiterhin sehr stark von klimaschädlichen Produktionsweisen abhängig sind. Alles in allem würde ich sagen: Europa ist weiter, nicht zuletzt wegen des gesellschaftlichen Diskurses, mit dem wir diesen Strukturwandel begleiten.

Welche Auswirkungen hat Corona, bremst es den Umbau der Gesellschaften?

Das glaube ich nicht. Corona hat zunächst einmal, und das ist ganz verständlich, die tagespolitischen Prioritäten neu sortiert. Es geht jetzt stärker um Gesundheit und um das unmittelbare Aufrechterhalten der Wirtschaft. Aber Corona hat auch gezeigt, dass sich Gesellschaften in Krisenzeiten schnell ändern können, und zwar sogar schneller, als wir vorher dachten.

Was schließen Sie daraus für die Begrenzung der Erderwärmung?

Dass wir auch beim Klimaschutz noch schneller vorankommen können, denn die Klimakrise gefährdet ebenfalls die Grundlagen unserer Gesellschaft und stellt unser Wohlstandsmodell infrage.

Windpark Ponoma in Argentinien

In Entwicklungs- und Schwellenländern wird zunehmend auf erneuerbare Energien gesetzt. In Argentinien etwa stehen Windparks im Fokus, wie dieser in Pomona in der Provinz Rio Negro, der im Juli 2019 in Betrieb genommen wurde.

Helfen dabei die Konjunkturprogramme, die überall aufgelegt sind? Oder schaden sie eher?

Die Konjunkturprogramme sind, soweit ich das überblicken kann, unterschiedlich gut. In Europa haben wir festgelegt, dass 37 Prozent des Wiederaufbaufonds und 30 Prozent des Gesamtbudgets Klimamittel sein müssen, der Rest darf nicht im Widerspruch zum Klimaschutz stehen. Weltweit sehen wir bisher ein gemischtes Bild, aber die Debatte darüber ist in vollem Gange – und das ist gut.

Kommen wir zu den Entwicklungsländern. Die nationalen Selbstverpflichtungen bilden den Kern des Pariser Abkommens, aber viele Entwicklungsländer tun sich schwer damit, warum ist das so?

Auch hier bietet sich ein gemischtes Bild. Es gibt Champions wie Costa Rica und Chile, die auf erneuerbare Energien setzen, ihre Grundstoffindustrie komplett umbauen und diese als grüne Produkte auf dem Weltmarkt anbieten. Länder wie Marokko gehen ebenfalls voran. Südafrika will bis 2050 klimaneutral werden, obwohl das Land bislang sehr auf Kohle angewiesen ist. Aber insgesamt weisen die meisten Entwicklungsländer – wie auch die Industrieländer – eine gemischte Erfolgsbilanz auf. Sie kommen in einigen Sektoren gut voran, in anderen nicht. Positiv ist allerdings, dass die Mehrzahl dabei ist, flächendeckende Strategien für das Umsteuern zu entwickeln.

Was können Entwicklungsbanken tun, um diesen Prozess zu unterstützen?

Die Entwicklungsbanken haben eine enorme Bedeutung. Mit einer Politik, die klar auf die Umsetzung des Pariser Übereinkommens und der Nachhaltigkeitsziele ausgerichtet ist, können sie dabei helfen, Finanzströme umzulenken, zum Beispiel weg von fossilen Energien hin zu erneuerbaren. Mit gezielten Investitionen können sie gute Vorbilder schaffen und dadurch auch den Weg für die Privatwirtschaft ebnen, deren Investitionen unverzichtbar sind, wenn die Erderwärmung auf ein erträgliches Maß begrenzt bleiben soll. Und schließlich sollten Entwicklungsbanken ihre Kontakte in Planungs- und Finanzministerien nutzen, um die Paris-Agenda über alle Ministerien hinweg kohärent umzusetzen. Ihre Rolle halte ich daher für zentral.

Solarpark Montecristi

In der Dominikanischen Republik liefert ein Solarkraftwerk genug Strom für 55.000 Haushalte. Es ist der größte Solarpark der Karibik und brachte dem Inselstaat eine alternative Energieform: Sonnenenergie statt Schweröl.

Vor Kurzem haben sich 450 Entwicklungsbanken verbündet, damit sie mit geballter Kraft noch mehr in Sachen Nachhaltigkeit erreichen können. Was halten Sie von der Initiative?

Das sehen wir positiv. Denn in der Tat geht es jetzt darum, Kräfte zu bündeln und Investitionen rasch in grüne Bahnen zu lenken. Dafür braucht es Regeln und Standards, die sich die Banken durch diesen Zusammenschluss gemeinsam geben können. Noch sind wir nicht dort; das waren erst einmal gute, aber eher allgemeine Ziele, die weiter ausbuchstabiert werden müssen. Im nächsten Jahr will man sich wieder treffen und das Ganze weiter voranbringen. Meine Erwartung an Entwicklungsbanken wäre, dass sie ihr Portfolio Paris-kompatibel machen. Das heißt, sie sollen mit Steuergeldern nur noch Zwecke fördern, die dem Ziel der Klimaneutralität entsprechen. Da haben die meisten Banken noch Nachholbedarf.

Sie beschäftigen sich seit 1994 mit den Klimaverhandlungen, inzwischen schon viele Jahre als Verhandlungsleiter. Verzweifeln Sie nie daran, dass das alles nicht schneller vorangeht?

Gesellschaften so fundamental zu ändern, wie wir das angesichts des Klimawandels tun müssen, ist nichts für Leute, die den schnellen Erfolg suchen. Wir bohren hier ein sehr dickes Brett, und ich wusste von Anfang an, dass man dafür einen langen Atem braucht.

Was möchten Sie in Ihrer Zeit auf dem Posten noch erreichen?

Wenn alles so kommt, wie vorgesehen, werde ich noch fünf Klimakonferenzen, COPs, miterleben. Bis dahin würde ich mir wünschen, dass alle Staaten robuste Klimaschutzpläne verabschiedet und sich auf Klimaneutralität festgelegt haben.

Auf KfW Stories veröffentlicht am 10. Dezember 2020.