Mehr als 30 Jahre nach der Wende steht die brandenburgische Lausitz erneut vor einem gewaltigen Strukturwandel: Noch dominieren der Abbau und die Verstromung von Braunkohle die Region. Doch spätestens 2038 soll damit Schluss sein. Die Transformation ist bereits in vollem Gange.
Auch für Kühltürme gibt es schöne Worte. „Unsere Wolkenmaschine“ nennen die Menschen in dem Örtchen Peitz im Lausitzer Kohlerevier die dampfenden Kolosse, die hinter dem Gartenzaun in den Himmel ragen, vom Dorf nur durch ein paar Teiche getrennt – kaum einen Kilometer entfernt in Jänschwalde. Damit sind die Peitzer neben der Poesie vor allem pragmatisch: So lässt sich dem Fremdenverkehr der permanente Wolkenzug über ihren Dächern im Dorf schmackhafter machen.
Die neun Türme – jeder höher als 110 Meter – produzieren rund 15 Kilometer nordöstlich von Cottbus Wasserdampf beinahe rund um die Uhr. Er stammt aus der Verstromung von Braunkohle, die der Bergbau-und Energiekonzern LEAG gleich hinter dem Kraftwerk in einem riesigen Tagebaugebiet gewinnt. Das Kraftwerk ist mit einer installierten Leistung von drei Gigawatt (GW) eines der größten in Deutschland. Insgesamt unterhält die LEAG in Brandenburg und Sachsen Braunkohle-Kraftwerke mit einer Leistung von rund acht GW und liefert rund acht Prozent des deutschen Stroms.
Doch um seine Klimaziele zu erreichen, hat Deutschland das Ende der Kohleverstromung terminiert. Spätestens Ende 2038 ist Schluss, das schreibt das Kohleausstiegsgesetz von 2020 vor. Deshalb wird in der Region Lausitz mit Volldampf an der Weiterentwicklung der erneuerbaren Energien gearbeitet. Das Unternehmen sieht laut Vorstandsvorsitzendem Thorsten Kramer das Potenzial, auf unternehmenseigenen Flächen langfristig eine installierte Kapazität an Solar-und Windenergiekraftwerken von mehr als zehn GW aufzubauen.
Erneuerbare Energien und grüne Fantasien
„Schwarze Pumpe“ ist eines der LEAG-Kraftwerke, rund eine Dreiviertelstunde Autofahrt von den „Wolkenmaschinen“ in Jänschwalde entfernt. Von einem Konferenzraum in 150 Metern Höhe geht der Blick von LEAG-Kommunikationschef Wolfgang Rolland weit über das Land, das neben Bergbau und Industrie von Wiesen, Wäldern und gefluteten Tagebauseen geprägt ist. „Aktuell hat die LEAG erst erneuerbare Energien-Anlagen von wenigen Megawatt im Portfolio“, sagt er. „Doch das wird sich ändern. Wir haben derzeit bereits Projekte in einem Umfang von zwei Gigawatt in der Planung. Und langfristig haben wir das Potenzial, auf unseren Flächen regenerative Kraftwerke von über zehn Gigawatt zu installieren.“ Zum Vergleich: Das wäre mehr als die derzeit existenten Kohlekapazitäten.
Dass die Pläne nicht nur eine grüne Fantasie bleiben, dafür werde die Industrie sorgen, sagt Rolland: Denn die frage immer stärker nach nachhaltiger Energie, um ihre CO2-Emissionen zu reduzieren. Dem Beispiel von Tesla oder Intel, im Osten Deutschlands neue moderne Fabriken aufzubauen, würden weitere folgen. „Dafür brauchen sie grünen Strom. Wir haben die Fläche und werden den liefern“, so Rolland.
Stabile Versorgung bis zum geordneten Ausstieg
Bis dahin wird mit Hochdruck aus Braunkohle Strom gemacht – auch um angesichts drohender Gasboykotte aus Russland die Versorgung mit Energie zu sichern. „Im letzten Winter haben wir am Anschlag gefördert“, sagt Daniela Rapp, verantwortlich für die Standortkommunikation, und blickt auf den Kohleflöz in 30 Meter Tiefe, über dem die Abraumförderbrücke den Sand abträgt. Der 10.000-Tonnen-Koloss wirkt wie ein Rieseninsekt von einem anderen Stern. Die Menschen, die auf der Maschine stehen, sind nur kleine Punkte.
Der Braunkohlestrom sorgt in unsicheren Zeiten für stabile Versorgung. Schon 2021 war der Verbrauch von heimischer Braunkohle in Deutschland nach Auskunft der AG Energiebilanzen um 18 Prozent gegenüber 2020 angestiegen. Doch zugleich haben steigende Strompreise die heimischen Erzeuger in große Schwierigkeiten gebracht: Sie müssen finanzielle Sicherheiten hinterlegen, die dem Strompreis und dem von ihnen produzierten Volumen entsprechen. Als sich die Preise für die Elektrizität an der Börse Anfang 2022 innerhalb kürzester Zeit mehr als verdoppelten, konnten Teile der stromerzeugenden Wirtschaft in Deutschland diese Liquidität nicht mehr erbringen. Der Bund sprang ein: Im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums unterstützt die KfW die LEAG mit einem der höchsten Kredite ihrer Geschichte und leistet so einen wichtigen Beitrag zur Versorgungssicherheit.
Dadurch wird der geordnete Ausstieg aus der Kohle gesichert – ein Plan, der in der Lausitz mittlerweile weithin akzeptiert ist. „Die Menschen hier können damit leben, dass der Kohleausstieg kommt“, sagt Kommunikationsfrau Rapp, die in dritter Generation im Tagebau Welzow arbeitet. „Wichtig ist aber, dass sie sich dabei auf den Zeitplan verlassen können. Wir müssen das ordentlich zu Ende machen“, sagt die Betriebswirtin. Denn sonst drohten ökologische Folgeschäden – wie das Abrutschen ganzer Hänge. „Das ist nach dem Ende der DDR dort passiert, wo man Tagebaubetriebe Hals über Kopf abbrach.“
Solarstrom aus dem Cottbuser Ostsee
In der Lausitz soll die Transformation geordnet ablaufen. Das wohl ambitionierteste ökologische Zukunftsprojekt in der Lausitz ist der Cottbuser Ostsee, der im Zuge der Renaturierung eines stillgelegten Tagebaus der LEAG-Gruppe angelegt wird. Bereits in zwei Jahren soll dort im größten künstlichen Binnensee in Europa die größte schwimmende Solaranlage Deutschlands entstehen. Ingenieurin Franziska Uhlig-May ist bei der LEAG verantwortlich für Geotechnik, in ihren Aufgabenbereich fällt die Entwicklung des Gebiets. „Wir kennen die Geologie so gut wie niemand anders“, sagt Uhlig-May über die Fläche, auf der die LEAG und ihre Vorgänger über Jahrzehnte Braunkohle abgetragen haben – bis 2015. „Das ist wichtig, um das Gelände so gestalten zu können, dass die Ufer des künftigen Sees stabil bleiben.“
Nun flutet hauptsächlich Spreewasser das Gelände, insgesamt werden es 256 Millionen Kubikmeter Wasser sein. Damit entsteht auf einer Fläche von 1.900 Hektar eine Blaupause für die noch aktiven Braunkohleförderstätten der LEAG. Mitte der 2020er soll der Cottbuser Ostsee fertig sein, der Naherholung und der nachhaltigen Stromproduktion dienen. Geplant sind zwei Häfen, die mit grünem Strom versorgt werden. Dazu soll künftig auch ein schwimmendes Solarfeld beitragen. Mit geplanten 21 Megawatt (MW) wäre es Stand heute eines der größten seiner Art in Europa – das rein rechnerisch 5.700 Haushalte mit Strom versorgen könnte. Die Installation ist technisch anspruchsvoll: Die Anlage soll schwimmen, ohne aber ihre Lage zu verändern. Das funktioniert mit sogenannten Dalben, die im Untergrund verankert werden, der vorher in 30 Meter Tiefe aufwendig aufbereitet werden muss.
Solar, Wind und Wasserstoff aus Schipkau
Und das ist nicht das einzige Solarprojekt. Auch die 6.700 Einwohner zählende Gemeinde Schipkau spielt oben mit. Auf der Hochkippe eines Tagebaus, der bis zur Wiedervereinigung Braunkohle lieferte, baut die ehemalige Bergbaukommune in Kooperation mit dem Projektentwickler GP Joule neben einen existierenden Windpark einen 300 MW starken Solarpark.
„Es geht uns nicht nur um die regenerative Stromerzeugung“, erzählt Gemeinderatsvorsitzende Petra Quittel bei einem Ortsbesuch. „Wir wollen auch grünen Wasserstoff produzieren und bauen noch ein neuartiges Höhenwindkraftrad dazu.“ Das soll die regenerative Stromerzeugung verstetigen und mehr Wertschöpfung und Arbeitsplätze in den früheren Tagebau bringen. Die Ansiedlung eines Datenzentrums ist bereits geplant. „Auch eine Batteriefertigung hat angefragt“, freut sich Bürgermeister Klaus Prietzel. Für die Kommune lohnt sich das finanziell: „50 Prozent unserer Gewerbeeinnahmen stammen aus erneuerbaren Energien. Wir können viel in unsere Gemeinden investieren“, so Prietzel. In der Tat ist Schipkau eine Art Bilderbuchgemeinde, mit sanierten Straßen, sauberen Plätzen und finanziellen Anreizen für ihre Bürger. „Jeder Bürger erhält auf Antrag alle zwei Jahre eine Ausschüttung von 80 Euro aus den Bürgerenergieparks“, sagt Prietzel. Ganz ohne eigene Investition. Seit einigen Jahren wächst die Einwohnerzahl des ehemaligen Bergbauortes wieder.
Start-ups am Flugplatz Cottbus
Damit die Transformation am Ende auch erfolgreich sein kann, sieht das Strukturstärkungsgesetz von 2020 für die brandenburgische Lausitz bis 2038 rund zehn Milliarden Euro Fördergelder aus Bund und Ländern vor. Außerdem siedeln sich Behörden und Institute an. Wie etwa zwei neu gegründete Institute der Fraunhofer-Gesellschaften und des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR), die sich mit der Elektromobilität in der Luftfahrt beschäftigen.
Passender könnte ihr Standort kaum sein: der alte Cottbuser Flughafen am Nordrand der Stadt. Noch steckt das Gelände im Dornröschenschlaf – nur dass das ehemalige Rollfeld nicht von Dornenbüschen, sondern von Gras überwuchert ist. Von dem 1921 gegründeten Flughafen ist seit 2003 keine Maschine mehr abgeflogen. Dafür wird es künftig manchem Start-up eine Chance geben. Denn das 180 Hektar große Areal wird Teil des neuen Lausitz Science Parks. „Der Flughafen soll sich zu einem Zentrum des emissionsarmen Flugverkehrs entwickeln“, sagt Cottbus’ Wirtschaftsdezernent Stefan Korb. Themen seien die Entwicklung neuer Antriebe, Dekarbonisierung und Sensorik. Dabei soll es eine Kooperation mit der ortsnahen Technischen Universität Cottbus-Senftenberg geben.
„Von einer Fläche wie dem Lausitz Science Park als Nukleus der Stadtentwicklung können viele Impulse ausgehen, die weit über die Grenzen der Stadt hinausstrahlen“, sagt auch Doreen Mohaupt, die oberste Stadtplanerin von Cottbus. Fehler wie in westdeutschen Metropolen wie Hamburg und Berlin, wo jedes Fleckchen Stadtraum höchstbietend in Wert gesetzt wird – worunter Kultur und Stadtidentität leiden –, will sie vermeiden. Dass mit dem Kohleausstieg so viel Kapital in die Lausitz fließen werde, sei „ein Glücksfall für die Stadt und die Region. Dadurch können wir Perspektiven nicht nur entwickeln, sondern auch umsetzen“, zeigt sich die Stadtplanerin überzeugt.
Auf KfW Stories veröffentlicht am 9. März 2023
Zu diesen Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen leistet das dargestellte Projekt einen Beitrag
Ziel 9: Widerstandsfähige Infrastruktur und nachhaltige Industrialisierung
Eine nicht vorhandene oder marode Infrastruktur hemmt die Wirtschaftlichkeit und fördert so die Armut. Beim Aufbau der Infrastruktur sollte der Aspekt der Nachhaltigkeit im Vordergrund stehen, zum Beispiel mit der Förderung von umweltfreundlichen Verkehrsmitteln. Auch Fabriken und Industriestätten sollten nach ökologischen Gesichtspunkten nachhaltig produzieren, um eine unnötige Umweltbelastung zu vermeiden. Quelle: www.17ziele.de
Alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen verabschiedeten im Jahr 2015 die Agenda 2030. Ihr Herzstück ist ein Katalog mit 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung, den Sustainable Development Goals (SDGs). Unsere Welt soll sich in einen Ort verwandeln, an dem Menschen ökologisch verträglich, sozial gerecht und wirtschaftlich leistungsfähig in Frieden miteinander leben können.
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