Mann mit mobilem Vermessungsgerät in Lagerhalle mit Booten
Zukunftstechnologien

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Google Maps für Bauwerke

Das Münchner Unternehmen NavVis erstellt digitale Kopien von Gebäuden. CEO Felix Reinshagen über digitale Zwillinge, neue Märkte – und die Herausforderung, aus einer Grundlagenforschung ein funktionierendes Unternehmen zu entwickeln.

NavVis in Kürze
Ein Mann in einer Produktionshalle richtet ein mobiles Vermessungsgerät aus.

1. Gründung: 2013 in München

2. Standorte: Hauptsitz in München, Tochtergesellschaften in New York und Schanghai

3. Mitarbeiter: weltweit circa 220

4. Gründer: Dr. Felix Reinshagen, Dr. Georg Schroth, Robert Huitl, Sebastian Hilsenbeck

5. Führungsteam: Dr. Felix Reinshagen (CEO), Dr. Georg Schroth (CTO), Finn Boysen (CRO), Jeno Schadrack (CFO)

Herr Reinshagen, NavVis haben Sie 2013 in München mitgegründet. Sie haben ein Positionierungssystem entwickelt, das mit einer zentimetergenauen 3D-Navigation durch Innenräume führt. Heute arbeiten 220 Mitarbeiter für NavVis, es gibt Niederlassungen in New York und Schanghai. Was treibt Sie an?

Felix Reinshagen: Unsere Vision. Outdoor sind bereits alle Flächen digitalisiert und beispielsweise in Google Maps verfügbar. Dieser digitale Zwilling unserer Städte dient nicht nur zur Orientierung, sondern war auch Grundlage für ganz neue Geschäftsmodelle. Fahrdienste wie von Uber, Carsharing, Lieferdienste oder autonomes Fahren wären ohne digitale Karten und GPS nicht möglich gewesen – die Technik hat gigantische neue Märkte eröffnet. Unser Ziel: Wir wollen eine mit Google Maps vergleichbare Plattform für Gebäude schaffen.

Was heißt das genau?

Das, was Google Maps und Google Street View machen, machen wir für Bauwerke. Wir erstellen digitale Zwillinge von Büros, Firmen und Fabriken. Für die Innenräume dieser Gebäude gibt es kaum Daten. Dort wollen wir ansetzen. Wir haben neue Technologien für die schnelle Digitalisierung von Gebäuden und die einfache Nutzung dieser Daten entwickelt. Damit können Dienstleister und Unternehmen fotorealistische Nachbildungen ihrer Gebäude und Innenräume erstellen und gemeinsam nutzen. Zum Beispiel eine digitale Fabrik: Sie ermöglicht bessere betriebliche Entscheidungen, die Produktivität steigern, Geschäftsprozesse optimieren und die Wirtschaftlichkeit verbessern.

Kurzbiografie Felix Reinshagen
Felix Reinshagen Portrait

Dr. Felix Reinshagen ist der CEO und einer der Gründer von NavVis. Zuvor arbeitete er bei McKinsey & Company und lebte dafür bereits in New York, Palo Alto, Hamburg und München. Davor arbeitete er als Software-Ingenieur und IT-Architekt. Reinshagen sitzt im Vorstand von Air up, einem der am schnellsten wachsenden Food-Tech-Unternehmen der Welt, und ist Mitglied des Bayerischen KI-Rats. Neben Abschlüssen in Informatik und Wirtschaftswissenschaften vom Karlsruher Institut für Technologie (KIT) besitzt er einen Doktortitel in Wirtschaftswissenschaften von der schweizerischen Universität St. Gallen

Zu Ihren Kunden zählen führende Industrieunternehmen wie Siemens oder Autokonzerne wie VW, Daimler, BMW. Was fangen die mit den digitalen Zwillingen an?

In der Automobilindustrie haben die Produktionshallen teilweise riesige Flächen, die ständig verändert werden, weil die Produktionslinien fortlaufend optimiert werden. Man hat dort ein riesiges Komplexitätsproblem zu managen – dabei helfen wir unseren Kunden. Wenn ein Autohersteller ein Werk irgendwo auf der Welt umrüsten will, müssen sich die internen Experten eigentlich vor Ort alles genau anschauen. Mit unserer Lösung können sie die Planungen von ihrem Büro aus angehen. Außerdem wird manche Geschäftsreise überflüssig, das hat uns während der Corona-Krise noch einmal einen Schub gegeben. Viele Manager haben jetzt gemerkt, dass es total praktisch ist, eine digitale Version der Fabrik zu haben – in Zeiten, in denen man nicht mehr so einfach von A nach B fliegen kann.

Es gibt neben NavVis noch eine Reihe weiterer Unternehmen, die solche Positionierungssysteme anbieten. Die US-Start-ups Matterport und Holobuilder setzen dabei auf 360-Grad-Kameras. Welche Vorteile haben die zusätzlichen Laser-Sensoren von NavVis?

In den vergangenen Jahren haben wir stark an der Miniaturisierung gearbeitet. 2020 haben wir ein tragbares Gerät auf den Markt gebracht, das Kunden auf die Schulter setzen und einfach durchs Gebäude laufen. Damit messen sie bis auf bis zu 6 Millimeter genau. Wir sind schneller und präziser als die Konkurrenz. Und vor allem sehr viel günstiger: In der Industrie zählen vor allem die Kosten pro Quadratmeter – und hier können wir mit unserer mobilen Scan-Technik die Arbeits- und Kapitalkosten auf zehnmal mehr Quadratmeter umlegen.

Wie funktioniert Ihr Geschäftsmodell?

Wir verkaufen unsere Software, aber auch unsere Hardware-Lösungen zum Erstellen der Scans an Kunden in 35 Ländern in den Bereichen Ingenieurwesen, Vermessungstechnik, Bau und Industrie. Zusätzlich unterstützen wir unsere Kunden mit allen Dienstleistungen rund um den Digitalen Zwilling: von der Datenerfassung bis zur Schulung der Mitarbeiter.

Weltweit gibt es ungefähr vier Milliarden Gebäude. Was ist Ihre Vision für die Zukunft?

Dass jedes Gebäude irgendwann so selbstverständlich eine digitale Kopie hat wie heute bereits jede Stadt. In zehn Jahren wollen wir den Großteil zumindest aller kommerziell genutzten Gebäude der Welt digitalisiert haben. Die digitalen Gebäude-Karten sollen dabei nur der Anfang sein. Ich glaube, es wird noch spannend zu sehen sein, was auf Grundlage unserer Daten entstehen wird. Wie Apple auch nicht jede App selbst entwickelt, wollen wir möglichst vielen die Gelegenheit geben, ihre eigenen Ideen auszuprobieren.

Sie sind als ehemaliger McKinsey-Berater einer der Gründer und jetzt CEO. Wie haben Sie die Arbeit im Führungsteam intern aufgeteilt?

Während meine Mitgründer vor allem die Technik hinter NavVis erfunden und zu Produkten entwickelt haben, liegt mein Beitrag im Fundraising und dem Aufbau der Organisation sowie der Gewinnung der ersten Kunden.

Mann mit mobilem Vermessungsgerät in einem Maschinenraum.
Mobile Vermessung

NavVis-Mitarbeiter mit mobilem Vermessungsgerät in einem Maschinenraum.

KfW Capital

Navvis ist durch die Yttrium GmbH (früher Digital + Partners) finanziert, in dem neben anderen Kapitalgebern auch KfW Capital, die 100-%ige Beteiligungstochter der KfW, investiert ist. KfW Capital investiert mit Unterstützung des ERP-Sondervermögens und des Zukunftsfonds in europäische Venture-Capital-Fonds, die innovative Technologieunternehmen in Deutschland finanzieren.

Sie sind unter anderem durch den Münchner Wachstumskapital-Fonds Yttrium (früher Digital+ Partners) finanziert, in den neben anderen Kapitalgeber auch KfW Capital investiert ist. Wie haben Sie davon profitieren können?

Ohne unsere Finanzierungen hätte NavVis niemals so schnell wachsen können.

NavVis ist aus einem Forschungsprojekt der TU München heraus entstanden. Wie hat sich daraus Ihr Unternehmen entwickelt?

Die ersten Prototypen und das Corporate Design wurden noch in Zusammenarbeit mit dem Lehrstuhl für Industriedesign erstellt. Die größte Herausforderung war es, für die Grundlagentechnologie aus der universitären Forschung einen passenden Markt zu finden. Um so letztendlich die Produkte zu entwickeln, die einen nachhaltigen Mehrwert für unsere Kunden schaffen.

Was war auf diesem Weg die bislang wichtigste Entscheidung, die Sie als Gründer getroffen haben?

Ganz simpel: Dass wir uns getraut haben, zu gründen. Obwohl wir alle sehr attraktive andere Optionen hatten. Und obwohl wir alle wussten, dass es sehr schwierig würde, aus einer Grundlagentechnologie ein erfolgreiches Unternehmen zu machen.

Auf KfW Stories veröffentlicht am: 12. Juli 2021, aktualisiert am 7. Juli 2023.