Nach der Aufgabe eines alten Bauernhofes in Oberbayern sollte das Areal zunächst mit konventionellen Einzel- und Doppelhäusern bebaut werden. Doch nun finden 24 Haushalte unter zwei großen Dächern Platz – in einer Mischung aus Reihenhäusern und Wohnungen. Die Initiative gewann den ersten Preis in der Kategorie „Neubau“ beim KfW Award Bauen 2021.
„Wie groß ist der alte Pallaufhof?“, fragte Manfred Brennecke in die Runde im Münsinger Gemeinderat. Nur er selbst, der Architekt, wusste es: Mit 60 Metern Länge und 14 Metern Breite prägte der marode und später abgerissene Einfirsthof das Ortsbild fast ebenso wie die Kirche mit ihrem Zwiebelturm nebendran. „Dächer sind unheimlich wichtig in der Region“, bekräftigt Brennecke. Große, ruhige Dachflächen von Scheunen und Gehöften formten früher die alten Ortsränder, ehe Neubaugebiete sich wuchernd davorlegten.
Das müsste sich doch auf heutige Nutzungen übertragen lassen, dachte Brennecke. Er entwickelte ein Konzept, das anstelle vieler Einzelhäuser nur zwei große, niedrige vorsah. Darunter würde alles Mögliche Platz finden, Häuser und Wohnungen, kleine wie geräumigere. Ein einheitliches Kleid aus Holz mit der typischen horizontalen Gliederung alter Bauernhäuser sollte für gestalterische Ruhe sorgen. Leben würde dann von selbst einziehen. So das Konzept. Nach 15 Sitzungen zum Thema zog der Gemeinderat mit. Auch dort wollte man schließlich ein harmonisches Ortsbild und keinen Siedlungsbrei.
Rücksicht auf Landschaft und Ortsbild
(Quelle: KfW/ntv)
Die kleine Gemeinde Münsing östlich vom Starnberger See – ihr Hauptort zählt gerade mal 1.600 Seelen – hatte Brennecke als Fachmann für ländliches Siedeln hinzugezogen, denn die geplante Bebauung der prominenten Brache direkt neben Kirche und Rathaus spaltete die Gemeinde. Engagierte Bürger protestierten gegen die nach ihrer Meinung planlose Vergabe des Filetstücks an Bauwillige und forderten stattdessen ein Konzept, das Rücksicht auf Landschaft und Ortsbild nimmt und zugleich mehr und unterschiedliche Interessenten teilhaben lässt. Eine Befragung der Bürgerschaft ergab, dass eine klare Mehrheit der Bürger Brenneckes Vorschlag einer solchen kompakten, gemischten Nachbarschaft bevorzugte.
Beispiele, wie ein solches Beteiligungsmodell funktionieren kann, hatte ein Einheimischer parat: Theo Peter, Architektur-Fan und vielfach preisgekrönter Moderator von Baugemeinschaften. Er übernahm die Regie bei Brenneckes Projekt. Die Gemeinde gab ihnen ein Jahr Zeit, um Bauherren zu finden, die bereit waren, mitzumachen. Tatsächlich waren schon nach einem halben Jahr genügend Parteien gefunden, um die Baugruppe zu gründen. Am Ende waren darunter weit mehr Einheimische als von der Gemeinde gefordert, nämlich 78 Prozent.
Da sich in den Beratungsgesprächen herausstellte, dass die Nachfrage nach Wohnungen besonders groß war, verlängerte man die zwei Zeilen sogar kurzerhand um ein Stück. Auch dann stimmten die Maße immer noch fast mit dem alten Pallaufhof überein.
Erster Preis in der Kategorie „Neubau“
Der prämierte Neubau entstand nach den Plänen von Arc Architekten - eine stabile, lebendige Nachbarschaft für 55 Menschen zwischen 30 und 70 Jahren, vom Schreiner bis zum Juristen.
Gemeinsam gegen Spekulanten
Das Voralpenland südlich von München, durch die Autobahn bestens erschlossen, steht unter extrem hohem Druck durch wohlhabende Zuzügler, was es zu einer der teuersten Wohnlagen der Republik macht. Um Spekulation und Zweitwohnsitze auszuschließen, regelten Gemeinde und Baugemeinschaft vertraglich, dass die Häuser auf gewisse Zeit weder verkauft noch vermietet werden dürfen. Auch die einheitliche Architektur darf nicht wesentlich verändert werden.
So entstand nach den Plänen von Brenneckes Büro Arc Architekten, moderiert von Theo Peter, eine stabile, lebendige Nachbarschaft für 55 ganz unterschiedliche Menschen zwischen 30 und 70 Jahren, vom Schreiner bis zum Juristen. 18 Kinder gibt es derzeit, die im fast 7.000 Quadratmeter großen Gelände herumstreifen dürfen, das dank der kompakten Bauweise frei gehalten wurde. Im Zentrum blieb der alte Baumanger erhalten, dessen riesige Eschen die Anlage unter ihre Fittiche nehmen. Neue Streuobstwiesen sind auf den Rückseiten der Häuser geplant. Die Häuser haben kleine, von Hecken abgeschirmte Gärten vor und hinter dem Haus; ansonsten steht das Areal allen offen. Einen Gemeinschaftsraum gibt es am Ende der einen Zeile. Sehr positiv für das Wohngefühl: Die meisten Autos bleiben außerhalb in einem großen Carport an der Zufahrt. Geheizt wird in einer zentralen Hackschnitzel-Anlage; Solarkollektoren unterstützen das Nahwärme-Konzept.
Vielfalt hinter einheitlichen Pergolen aus Lärche
Die zwei Gebäude wirken auf den ersten Blick homogen, wie ländliche Nutzbauten. Erst bei näherem Hinsehen und beim Blick auf die Grundrisse ist erkennbar, dass hinter dem einheitlichen Schirm aus Latten und Rankgerüsten aus wetterbeständigem Lärchenholz, unter der breiten Dachkrempe, Wohneinheiten von 72 bis 184 Quadratmetern Platz fanden. Festgelegt waren lediglich die Hausbreite, die Lage der Installationsschächte, ein barrierefreies Erdgeschoss sowie gerade Treppenläufe in der Mittelzone, unter einem durchlaufenden Oberlichtband. Ansonsten konnten die einzelnen Bauherren mitgestalten. Die Wohnungen liegen verteilt an drei hellen Treppenhäusern, jeweils zwei Einheiten pro Etage. Der Mix – Manfred Brennecke benutzt das Bild eines Setzkastens – ermöglicht das Mehrgenerationenwohnen: Eine Familie konnte so die Großeltern nebenan unterbringen.
Wer wohin zog, entschied das Los: Damit wurde festgelegt, wer zuerst auswählen durfte. In einem solchen Planungsprozess merkt man ja schnell, wen man gern in der Nähe haben möchte. Das ist ein Riesenvorteil partizipativer Projekte: Die Nachbarschaften funktionieren von Anfang an, weil die Leute einander schon beschnuppern konnten.
Hohe Zufriedenheit
„Wir haben eine unglaublich hohe Zufriedenheit in der Bewohnerschaft, aber auch in der Bevölkerung“, berichtet der 77-jährige Brennecke, der schon viel in ländlichen Gemeinden geplant hat. Seinem Bauherrnvertreter Theo Peter gelinge es einfach immer wieder, die Leute für gute Architektur zu begeistern. Peter, auch schon 73 Jahre alt, blickt ebenfalls mit Genugtuung auf die Gemeinschaftsleistung. Die Geduld und auch die Finanzkraft der Gruppe wurden nur strapaziert, als in der Baugrube eine Reihe keltischer Hügelgräber auftauchte. Die herbeigerufenen Archäologen waren begeistert – und stoppten den Weiterbau über Monate. Heute erläutert eine Tafel am Rand des Geländes die Funde.
Und die Gemeindevertreter? Sie registrieren stolz, dass plötzlich viele Kollegen aus anderen Kommunen um Rat fragen, wie sich denn so ein tolles Projekt bewerkstelligen lässt. Presseartikel, mehrere Architekturpreise und nun noch der erste Preis beim KfW Award – die Freude vor Ort ist groß.
Derzeit baut die Gemeinde auf dem restlichen Areal des Pallaufhofes ein Bürgerzentrum mit Rathaus, Ergebnis eines Architektur-Wettbewerbs. Der Siegerentwurf sieht fast aus wie eine Fortsetzung der Wohnbebauung: Er hat filigrane hölzerne Fassaden – und ein großes, langes Dach.
Das Projekt in Stichworten
Projekt: Neubau zweier Hausgruppen mit 24 Wohneinheiten
Lage: 82541 Münsing
Baujahr: 2017
Bauherrn: Baugemeinschaft Pallaufhof Münsing GbR, vertreten durch Bauzeit-Netzwerk, Theo Peter, Münsing
Architekt: Arc Architekten, Bad Birnbach
Energieberater: NHZ Ingenieurbüro, Ortenburg, Josef Hajek
Wohnfläche: 2.930 Quadratmeter
Grundstück: 6.915 Quadratmeter
Qualitäten für die Bewohner: integriertes, kostengünstiges Wohnen am Ortszentrum
Qualitäten für die Gesellschaft: Vermeidung von Flächenverbrauch, harmonisches Ortsbild
Energiesparen: Ressourceneinsparung durch Holzbau und regeneratives Nahwärmenetz
Auf KfW Stories veröffentlicht am 21. Oktober 2021.
Zu diesen Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen leistet das dargestellte Projekt einen Beitrag
Ziel 11: Nachhaltige Städte und Siedlungen
Schon heute lebt mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten. Doch Städte heizen die Erderwärmung an. Sie sind für jeweils rund 70 Prozent des Energieverbrauchs und der energiebezogenen Treibhausgasemissionen verantwortlich. Dichter Verkehr, intensive Bautätigkeit bei gleichzeitig starker Zersiedelung, hoher Energiebedarf und enorme Mengen an Müll und Abwässern: In den Städten trifft alles aufeinander. Ihre große Dichte macht Städte aber auch zum idealen Ansatzpunkt beim Kampf gegen den Klimawandel. Denn sie können in großem Maßstab Ressourcen schonen und Nachhaltigkeit vorleben, etwa dank flächensparender und kompakter Stadtstrukturen, emissionsarmer Verkehrssysteme, energieeffizienter Gebäude und einer geregelten Abfallentsorgung. Quelle: www.17ziele.de
Alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen verabschiedeten im Jahr 2015 die Agenda 2030. Ihr Herzstück ist ein Katalog mit 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung, den Sustainable Development Goals (SDGs). Unsere Welt soll sich in einen Ort verwandeln, an dem Menschen ökologisch verträglich, sozial gerecht und wirtschaftlich leistungsfähig in Frieden miteinander leben können.
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