Mitten im thüringischen Arnstadt rettete ein Ehepaar mit großem Engagement einen uralten Dreiseithof. Sie wohnen in der Scheune, die sie aber auch immer wieder für die Bürgerschaft der Kleinstadt öffnen. Für die Neugestaltung bekamen sie den ersten Preis in der Kategorie „Bestand“ beim KfW Award Bauen 2021.
(Quelle: KfW/ntv)
Das Anwesen am Arnstädter Pfarrhof in Thüringen stammt im Kern aus dem 13. Jahrhundert. Ende des 16. Jahrhunderts wurde daraus ein Speicher für die Waidpflanze – der daraus gewonnenen blauen Farbe verdankte die Region damals ihren Reichtum. Im Barock war es das Brauhaus „Zur weißen Gans auf dreyen Rosen“, später dann ein Bauernhaus. Zu DDR-Zeiten brummte hier ein metallverarbeitender Betrieb, der große Teile des Hofes mit Werkstätten überbaute.
Ab 1994 stand die mächtige Scheune gegenüber der Oberkirche leer und wurde nur notdürftig gesichert. Einem Investor erschien die Instandsetzung des einsturzgefährdeten Baudenkmals dann doch zu abenteuerlich. Selbst die Denkmalpfleger rechneten schon mit einem Abbruch.
Verliebt in Thüringen
Dann aber kamen Maike und Daniel Herz ins Spiel. Beide stammen aus der Pfalz, hatten jedoch in den Neunzigerjahren in Jena studiert, er Medizin, sie Jura. Damals lernten sie die Kulturlandschaft Thüringens kennen und lieben. „Die Dörfer und viele Städte hier sind unglaublich schön“, schwärmt Daniel Herz. „Die hatten in der Nachkriegszeit einfach nicht die Mittel, ihr Ortsbild zu verhunzen.“ Trotzdem zog der Beruf sie erst mal woandershin.
Nach Jahren im Ruhrgebiet trug man dem passionierten Kinderorthopäden eine Stelle als Oberarzt im Arnstädter Marienstift an, das nicht nur in Fachkreisen einen hervorragenden Ruf besitzt. Es fügte sich, dass er zunächst im frisch und vorbildlich sanierten Hotel Stadthaus direkt neben dem Dreiseithof unterkam. Von seinem Zimmer auf das traurige Ensemble blickend, hörte er eines Tages, dass es zum Verkauf stand.
Da brauchte das Paar nur ein Wochenende, um seine Umbaupläne zu entwerfen. Sie kauften den Hof – und stießen auf große Hilfsbereitschaft. Viele Arnstädter hingen nämlich an dem Ensemble und waren froh, dass sich endlich jemand seiner annahm. „Die Anteilnahme war rührend. Es ist wunderbar, wenn man so aufgenommen wird“, berichtet das Paar.
Vier Jahre ohne Urlaub
Handwerker, die bereits am Pfarrhof nebenan ihr Können bewiesen hatten, stießen zum Team. „Sie machten den Hof zu ihrem Projekt. Dann braucht man nicht mehr über Gestaltung zu reden“, merkten die Herzens. Der junge Architekt Christoph Schlegel, in einem Zimmereibetrieb groß geworden, war „verrückt genug, unsere Pläne mitzutragen“, berichten die Bauherren. Sie ahnten, dass viel Arbeit auf sie zukommen würde „So was kann man nur machen, wenn man sich voll reinhängt.“
Und das taten die beiden motivierten Mittvierziger dann: Umfangreiche Planungen, Abstimmungen mit der Denkmalpflege – und zwei Jahre „Bambule“ auf der Baustelle sollten folgen. Insbesondere die Bauherrin brachte dabei viel Sachverstand ein. Als Juristin verhandelte sie mit den Ämtern, half bei Ausschreibung und Vergabe, zudem wachte sie über die Bauarbeiten und packte täglich selbst mit an. 110 Tonnen Schutt schleppten sie und ihr Mann aus dem Bau, ehe sie Balken abschrubbten und einölten, Stakhölzer ins erneuerte Fachwerk flochten und Lehmputz auftrugen. „Die Fußbodenheizung, mehr als zwei Kilometer Leitungen, haben wir selbst verlegt. Das waren unsere Osterferien“, erzählt das Paar. Vier Jahre lang gab es für sie keinen Urlaub.
Erster Preis in der Kategorie „Bestand“
Das Anwesen am Arnstädter Pfarrhof in Thüringen stammt im Kern aus dem 13. Jahrhundert. Ende des 16. Jahrhunderts wurde daraus ein Speicher für die Waidpflanze – der daraus gewonnenen blauen Farbe verdankte die Region damals ihren Reichtum.
Eine Scheune wird zum Wohnhaus
Einmal vor dem Einsturz gesichert, war die Scheune für eine Nutzung als Wohnhaus immer noch denkbar ungeeignet. Der 10 Meter tiefe und etwa 20 Meter breite Baukörper brauchte mehr Öffnungen, um Licht in die Wohnräume zu bringen. Das Erdgeschoss mit seiner 4,20 Meter hohen Decke hatte wunderschöne, aber an vielen Stellen bröselnde Bruchsteinmauern. Hier würde man nicht wohnen können, das war klar.
Die Wände wurden durch punktuelle „Injektionen“ stabilisiert und von einem neuen Ringanker aus Beton zusammengehalten, die historischen Kappendecken im nördlichen Teil durch ein Gerüst aus Stahlträgern gestützt. Der südliche Teil mit dem großen, nun waidblau gestrichenen Tor blieb komplett offen. Hier fanden schon Theateraufführungen und Ausstellungen statt. „Der Raum ist im Sommer angenehm kühl“, weiß Maike Herz die glücklich ist über diese Wiederbelebung der Scheune: „Wir sind in der Stadt sehr präsent.“
Das hölzerne Obergeschoss wird zum Hof hin vom knorrigen, dunklen Laubengang geprägt. Durch den Dachüberstand geschützt, ist er zu schmal als Balkon oder Sitzplatz. Darum entschied man sich, einen Teil der Fachwerkwand des Hauses freizulegen und dahinter eine Loggia anzulegen. Von Osten kommt so mehr Morgensonne in die Gästewohnung, welche die Südhälfte des Obergeschosses einnimmt. Nördlich des neuen Treppenaufgangs liegt eine weitere Wohnung, die aber bislang als Büro genutzt wird.
Das Dachgeschoss als Zentrum
Die Tageslichtfrage stellte sich erst recht im riesigen Dachgeschoss, das die Herzens für sich selbst ausbauen wollten. Seit dem Barock gab es dort vier kleine Gauben und winzige Giebelfenster, mehr nicht. Die Denkmalpfleger mögen bekanntlich ungenutzte Dachstühle ohne störende Fensterflächen. Die aus Bewohnersicht praktischen Dachfenster lehnen sie teilweise kategorisch als moderne Erfindung ab.
Nachdem im Südgiebel eine Öffnung als „Dachlaube“ für Licht und Luft gefunden war, begann also ein „harter Kampf“, so Daniel Herz, um die Dachfenster zum Hinterhof auf der Westseite. Nachdem diese Frage aber der einzige Streitpunkt mit der Denkmalpflege blieb und dafür keinerlei Eingriffe in die Bausubstanz nötig waren, setzten sich die Herzens am Ende durch – beharrlich und motiviert, wie sie nun mal sind.
So entstand ein offener, heller Großraum mit einer Galerie oben im Firstgebälk, alles belegt mit breiten Douglasiendielen. Der historische Lastenaufzug als drehend gelagerte dicke Stütze steht mitten im Raum und trennt die Sitzecke von der geräumigen Küche. Die Herzens kochen gern und bewirten hier Gäste an einem langen Tisch, der aus den Baubohlen gefertigt wurde, als sie nicht mehr benötigt wurden. Auf der Nordseite liegen das schlichte Bad und der Schlafraum.
Das krumme, durchhängende Dachgebälk blieb weitgehend erkennbar. Die Zimmerer verstanden es, die dicken Weichfaserplatten der Dämmung so zwischen die alten Sparren einzufügen, dass zumindest ein Teil aller Balken innen sichtbar ist und das Dach außen nicht störend angehoben werden musste.
Als Relikt der alten Nutzung überlebt im Dach sogar die alte Winde für die Waidpflanzen, ein stacheliger Zylinder aus Holz, vermutlich der letzte seiner Art.
Doppeltes Fachwerk
Ein guter Wärmeschutz und biologische Materialien waren den Bauherren wichtig. So wurde das gesamte Fachwerk der Außenwände aufgedoppelt und der Zwischenraum mit Blähton ausgefüllt. Die alten Fenster wurden in der zierlichen, einfach verglasten Form nachgebaut und durch einen zweiten Flügel auf der Innenseite zu Kastenfenstern ergänzt.
Die gesamte Konstruktion ist frei von Folien und Bauschäumen. „Wenn das mal zusammenfällt, bleibt nur ein Häuflein Erde übrig“, sagt Maike Herz, die von der „grauen Energie“ spricht, also dem Aufwand, der in die Baustoffe bei ihrer Herstellung gesteckt wird. Insofern ist dieses Haus-Recycling ein Musterbeispiel für ökologisches Bauen. Die Herzens erwogen sogar, das Dach mit alten Ziegeln zu decken, doch davon rieten ihnen die Fachleute am Ende ab. Aber viele der alten Mauerziegel zogen die beiden aus Abbruchhalden und klopften sie „wie die Mauerspechte“ frei, damit sie wiederverwendet werden konnten.
Beheizt wird das 306 Quadratmeter große Haus mit einer Gasbrennwerttherme, welche die Fußbodenheizung im Dach und die im Lehmputz verlegte Wandheizung im Obergeschoss speist.
Geistliche Musik im Gebälk
Wer heute auf den Pfarrhof blickt, fühlt sich in eine andere Zeit versetzt. „Das ist ja wie im Film“, meinten Freunde der Herzens aus dem Ruhrgebiet. Tatsächlich gelang hier ein sehr stimmiges Ensemble. In der Kirche gegenüber war Heinrich Bach, Großonkel von Johann Sebastian Bach, das halbe 17. Jahrhundert Kantor. „Wenn die Musik von dort herüberwaberte, das haben diese Balken hier schon gehört“, sinniert Maike Herz nach vier Jahren Maloche froh. Der berühmteste Repräsentant der Musikerfamilie startete übrigens selbst seine Karriere in Arnstadt als Organist in der nahe gelegenen Neuen Kirche.
Das Vorderhaus, ein verputztes Fachwerkhaus, ist ebenfalls Teil des Dreiseithofes. Irgendwann werden die Herzens sich auch daran machen – doch im Moment haben sie bei allem Tatendrang eine Pause verdient.
Das Projekt in Stichworten
Projekt: Umbau eines historischen Dreiseithofes im Stadtzentrum
Lage: 99310 Arnstadt
Baujahr: 1592/2019
Bauherren: Maike und Daniel Herz
Architekt: Christoph Schlegel, Architekturbüro Feuerpfeil, Saalfeld
Energieberater: Statiker: Jörg-Ullrich Gutheil, Ingenieurbüro Fronzek + Gutheil, Saalfeld
Wohnfläche: 306 Quadratmeter
Grundstück: 700 Quadratmeter
Qualitäten für die Bewohner: stimmiges Wohnen im historischen Ambiente, Integration in die Bürgergesellschaft
Qualitäten für die Gesellschaft: Rettung eines prägenden Ensembles in der Altstadt, Gewinn eines Veranstaltungsortes
Energiesparen: rein biologische Baustoffe, Aufarbeitung alter Bauteile, sehr guter Dämmstandard, lokale Handwerker
Auf KfW Stories veröffentlicht am 21. Oktober 2021
Zu diesen Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen leistet das dargestellte Projekt einen Beitrag
Ziel 11: Nachhaltige Städte und Siedlungen
Schon heute lebt mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten. Doch Städte heizen die Erderwärmung an. Sie sind für jeweils rund 70 Prozent des Energieverbrauchs und der energiebezogenen Treibhausgasemissionen verantwortlich. Dichter Verkehr, intensive Bautätigkeit bei gleichzeitig starker Zersiedelung, hoher Energiebedarf und enorme Mengen an Müll und Abwässern: In den Städten trifft alles aufeinander. Ihre große Dichte macht Städte aber auch zum idealen Ansatzpunkt beim Kampf gegen den Klimawandel. Denn sie können in großem Maßstab Ressourcen schonen und Nachhaltigkeit vorleben, etwa dank flächensparender und kompakter Stadtstrukturen, emissionsarmer Verkehrssysteme, energieeffizienter Gebäude und einer geregelten Abfallentsorgung. Quelle: www.17ziele.de
Alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen verabschiedeten im Jahr 2015 die Agenda 2030. Ihr Herzstück ist ein Katalog mit 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung, den Sustainable Development Goals (SDGs). Unsere Welt soll sich in einen Ort verwandeln, an dem Menschen ökologisch verträglich, sozial gerecht und wirtschaftlich leistungsfähig in Frieden miteinander leben können.
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