Mehr als ein Hype: Digitalisierung in der Intralogistik

Ob fahrerlose Transportsysteme oder Kommissionierung per Roboter: Derzeit wird vermehrt über die Potenziale digitaler Technologien in der Intra­logistik berichtet. Was tatsächlich dahinter steckt und wie Unternehmen sich dem Thema Schritt für Schritt annähern können, erklärt der Logistik-Experte Prof. Dr. Johannes Fottner.

Portrait von Dr. Johannes Fottner
Prof. Dr. Johannes Fottner ist Inhaber des Lehrstuhls für „Fördertechnik Materialfluss Logistik“ an der Technischen Universität München. 2021 erhielt er zusammen mit Prof. Dr. Magnus Fröhling den TUM Sustainability Award für den Aufbau des interdisziplinären Forschungsverbunds CirculaTUM, der sich mit der Transformation zur Circular Economy beschäftigt.

„Wenn wir die Welt der Logistik revolutionieren wollten, bräuchte es eigentlich nur zwei Dinge: Wir müssten das Beamen erfinden und bräuchten eine gut funktionierende Kristall­kugel“, so Prof. Dr. Johannes Fottner von der TU München. Was der heutige Lehrstuhl­inhaber für „Förder­technik Materialfluss Logistik“ und ehemalige Geschäfts­führer eines Mittel­ständlers damit meint: Um die Logistik von Unternehmen in der heutigen Zeit zukunfts­fähig aufzustellen, sind vor allem zwei Aspekte von Bedeutung. Das sind auf der einen Seite schnelle und flexible Transport­wege und auf der anderen Seite eine gut prognostizierbare und leicht anzupassende Produktion.

Kaum verwunderlich daher, dass digitale Technologien – gerade in der Intra­logistik – eine zunehmend wichtige Rolle spielen. Sie können dazu beitragen, die Transparenz von Waren­flüssen zu erhöhen, die Prognose­fähigkeit zu steigern oder die Produktion anpassungs­fähiger zu gestalten. Doch bei allem Hype warnt Fottner davor, Automatisierung und Digitalisierung als Ziele per se zu definieren. Aus Sicht des Experten kommt es darauf an, übergreifende Ziel­setzungen wie höhere Effizienz oder Produktivität in den Mittel­punkt zu stellen und davon ausgehend Maßnahmen abzuleiten. „Es gibt keine Patent­lösung, die jetzt alle haben müssen“, erklärt er.

Schritt für Schritt zur digitalen Logistik

Fottner empfiehlt Unternehmen ein schritt­weises Vorgehen. Zunächst sollten sich Betriebe fragen, was der eigentliche Kern des Unternehmens ist. „Mit Blick auf die benötigten IT-Systeme, aber auch Produktions- und Logistik­prozesse macht es zum Beispiel einen großen Unterschied, ob ich mein Unternehmen als Sondermaschinen­bauer einordne – oder mich eher als Experte in der varianten­reichen Serien­fertigung sehe“, sagt der Experte. „Beide Konzepte bedingen grund­sätzlich unterschiedliche Prozesse, um zu einem optimalen Ergebnis zu kommen.“

Nach dieser Klärung rücken im nächsten Schritt die eigenen Logistik-Abläufe in den Blick. „Unternehmen brauchen nachvoll­ziehbare, funktionierende Prozesse, die wirklich gelebt werden“, so Fottner. Die Abläufe nur im Kopf zu haben, reiche dafür nicht aus. „Die Prozesse eines Unternehmens müssen für alle Mitarbeiter zugänglich, transparent, aber auch nachvoll­ziehbar sein, um diese im Arbeits­alltag leben und befolgen zu können.“

Mit dieser Selbst­analyse als Basis geht es dann in Richtung Maßnahmen- und Technologie­auswahl. Wo sollte ich mit Blick auf meine Ziele investieren? Welche Maßnahmen muss ich priorisieren? Welche Technologien können mich bei der Ziel­erreichung unterstützen – und welche nicht?

„Nehmen wir mal an, in meinem Betrieb gibt es einen Mitarbeitenden, der viele unter­schiedliche Aufgaben ausführt. Er oder sie nimmt telefonisch Aufträge entgegen, stimmt sich mit der Kund­schaft ab und nutzt zweimal am Tag einen Gabel­stapler, um Waren von A nach B zu transportieren. In ein fahrer­loses Transport­system zu investieren, um den Gabel­stapler zu ersetzen, wäre in einem solchen Fall meist unwirtschaftlich“, erläutert Fottner. Unter­mauere die Analyse jedoch den hohen Bedarf, solle die Anschaffung umgesetzt werden – selbst dann, wenn es gerade ungelegen scheint. „Das macht langfristig den Unter­schied zwischen erfolgreichen Unternehmen und solchen, die sich nicht am Markt halten können“, sagt der Experte.

Potenziale in der Logistik ausschöpfen

Blaue Lagerhalle

Die Potenziale der digitalen Transformation in der Logistik zu heben, kann vieles bedeuten. Eine niedrig­schwellige Option ist beispiels­weise die Optimierung des eingesetzten ERP-Systems. „Heutzutage nutzt fast jedes Unter­nehmen eine solche Lösung. Doch nur wenige Firmen schöpfen die Möglich­keiten wirklich aus“, so Fottners Einschätzung. Optimal eingesetzt, können diese Systeme den Arbeits­alltag etlicher Mitarbeitenden durch Transparenz und Übersichtlich­keit erleichtern, zum Beispiel beim einfachen Auffinden von Lager­beständen. Der ziel­gerichtete Einsatz der Software ist darüber hinaus die Basis für viele weitere Anwendungs­fälle wie Wearables­, die Mitarbeitenden den Standort eines bestimmten Teils im Lager direkt anzeigen oder den Weg dahin vorgeben.

„In Zeiten des Fachkräfte­mangels kann es sich auch lohnen, das Waren­lager ganz oder in Teilen zu automatisieren“, erläutert Fottner. „Häufig lassen sich so nicht nur die Mitarbeitenden körperlich entlasten, sondern auch Fehler­raten senken und die Effizienz steigern.“ Bereits heute seien die Einsatz­möglichkeiten für technologische Lösungen vielver­sprechend, obgleich die Potenziale noch lange nicht ausgeschöpft sind.

Ob autonome Roboter, fahrer­lose Transport­systeme oder digitale Zwillinge – dank neuer Rahmen­parameter und Entwicklungen wie 5G, künstlicher Intelligenz oder kamera­basierter Objekt­erkennung entwickeln sich die denkbaren Anwendungs­szenarien rasant weiter. „Diese Zukunfts­technologien haben noch einen enormen Entwicklungs­bedarf“, sagt Fottner. „Dennoch sollten mittel­ständische Firmen sich frühzeitig damit auseinander­setzen.“

Nachhaltigkeit als Zukunftsthema

Vor dem Hintergrund der aktuellen Heraus­forderungen von Unternehmen im Allgemeinen und der Logistik im Besonderen sieht Fottner Nach­haltigkeit als eines der zentralen Themen. „Wir müssen uns hin zu einer Circular Economy entwickeln“, fordert der Experte. „Ohne eine Umstellung der Logistik wird das aber nicht funktionieren.“ Um den Lebens­zyklus von Produkten nach­verfolgen und aktiv steuern zu können, komme digitalen Technologien eine wichtige Bedeutung zu.

„Die Intralogistik muss dafür sorgen, dass Produktions-, Verteilungs- und Beschaffungs­prozesse innerhalb des Unternehmens effizient ablaufen“, so Fottner. „Das ist essenziell, um Ressourcen und Energie zu sparen.“ Ebenso entscheidend wird es dem Experten zufolge sein, eine Reverse-Logistik zu implementieren – also einen Prozess, mit dem Waren oder Rohstoffe an ihren Ursprungsort zurück­gelangen, um dort wieder­verwendet zu werden.

Kutschen haben ausgedient

‚Wieso sollten wir? Es läuft doch!‘ – das ist eine der Aussagen, die Fottner im Gespräch mit mittel­ständischen Unter­nehmen über die Digitalisierung der Logistik und Fragen der Nach­haltigkeit immer wieder hört. Für den Logistik-Experten kein gutes Argument. „Als Unter­nehmen sollte man danach streben, besser zu werden – denn Verbesserungs­potenziale gibt es immer“, sagt er. „Kutschen waren auch mal ausgezeichnete Fortbewegungs­mittel, aber sie finden sich heute eher selten auf Unternehmens­parkplätzen.“

Anstatt angesichts der vielfältigen Heraus­forderungen den Kopf in den Sand zu stecken, empfiehlt Fottner Unter­nehmen, sich regel­mäßig zu überdenken und kontinuierlich zu investieren. „Das ist wie ein kleines, tägliches Sport­programm – es sollte Spaß machen, aber gleich­zeitig fit halten.“

Zur passenden Förderung