Ob fahrerlose Transportsysteme oder Kommissionierung per Roboter: Derzeit wird vermehrt über die Potenziale digitaler Technologien in der Intralogistik berichtet. Was tatsächlich dahinter steckt und wie Unternehmen sich dem Thema Schritt für Schritt annähern können, erklärt der Logistik-Experte Prof. Dr. Johannes Fottner.
„Wenn wir die Welt der Logistik revolutionieren wollten, bräuchte es eigentlich nur zwei Dinge: Wir müssten das Beamen erfinden und bräuchten eine gut funktionierende Kristallkugel“, so Prof. Dr. Johannes Fottner von der TU München. Was der heutige Lehrstuhlinhaber für „Fördertechnik Materialfluss Logistik“ und ehemalige Geschäftsführer eines Mittelständlers damit meint: Um die Logistik von Unternehmen in der heutigen Zeit zukunftsfähig aufzustellen, sind vor allem zwei Aspekte von Bedeutung. Das sind auf der einen Seite schnelle und flexible Transportwege und auf der anderen Seite eine gut prognostizierbare und leicht anzupassende Produktion.
Kaum verwunderlich daher, dass digitale Technologien – gerade in der Intralogistik – eine zunehmend wichtige Rolle spielen. Sie können dazu beitragen, die Transparenz von Warenflüssen zu erhöhen, die Prognosefähigkeit zu steigern oder die Produktion anpassungsfähiger zu gestalten. Doch bei allem Hype warnt Fottner davor, Automatisierung und Digitalisierung als Ziele per se zu definieren. Aus Sicht des Experten kommt es darauf an, übergreifende Zielsetzungen wie höhere Effizienz oder Produktivität in den Mittelpunkt zu stellen und davon ausgehend Maßnahmen abzuleiten. „Es gibt keine Patentlösung, die jetzt alle haben müssen“, erklärt er.
Fottner empfiehlt Unternehmen ein schrittweises Vorgehen. Zunächst sollten sich Betriebe fragen, was der eigentliche Kern des Unternehmens ist. „Mit Blick auf die benötigten IT-Systeme, aber auch Produktions- und Logistikprozesse macht es zum Beispiel einen großen Unterschied, ob ich mein Unternehmen als Sondermaschinenbauer einordne – oder mich eher als Experte in der variantenreichen Serienfertigung sehe“, sagt der Experte. „Beide Konzepte bedingen grundsätzlich unterschiedliche Prozesse, um zu einem optimalen Ergebnis zu kommen.“
Nach dieser Klärung rücken im nächsten Schritt die eigenen Logistik-Abläufe in den Blick. „Unternehmen brauchen nachvollziehbare, funktionierende Prozesse, die wirklich gelebt werden“, so Fottner. Die Abläufe nur im Kopf zu haben, reiche dafür nicht aus. „Die Prozesse eines Unternehmens müssen für alle Mitarbeiter zugänglich, transparent, aber auch nachvollziehbar sein, um diese im Arbeitsalltag leben und befolgen zu können.“
Mit dieser Selbstanalyse als Basis geht es dann in Richtung Maßnahmen- und Technologieauswahl. Wo sollte ich mit Blick auf meine Ziele investieren? Welche Maßnahmen muss ich priorisieren? Welche Technologien können mich bei der Zielerreichung unterstützen – und welche nicht?
„Nehmen wir mal an, in meinem Betrieb gibt es einen Mitarbeitenden, der viele unterschiedliche Aufgaben ausführt. Er oder sie nimmt telefonisch Aufträge entgegen, stimmt sich mit der Kundschaft ab und nutzt zweimal am Tag einen Gabelstapler, um Waren von A nach B zu transportieren. In ein fahrerloses Transportsystem zu investieren, um den Gabelstapler zu ersetzen, wäre in einem solchen Fall meist unwirtschaftlich“, erläutert Fottner. Untermauere die Analyse jedoch den hohen Bedarf, solle die Anschaffung umgesetzt werden – selbst dann, wenn es gerade ungelegen scheint. „Das macht langfristig den Unterschied zwischen erfolgreichen Unternehmen und solchen, die sich nicht am Markt halten können“, sagt der Experte.
Die Potenziale der digitalen Transformation in der Logistik zu heben, kann vieles bedeuten. Eine niedrigschwellige Option ist beispielsweise die Optimierung des eingesetzten ERP-Systems. „Heutzutage nutzt fast jedes Unternehmen eine solche Lösung. Doch nur wenige Firmen schöpfen die Möglichkeiten wirklich aus“, so Fottners Einschätzung. Optimal eingesetzt, können diese Systeme den Arbeitsalltag etlicher Mitarbeitenden durch Transparenz und Übersichtlichkeit erleichtern, zum Beispiel beim einfachen Auffinden von Lagerbeständen. Der zielgerichtete Einsatz der Software ist darüber hinaus die Basis für viele weitere Anwendungsfälle wie Wearables, die Mitarbeitenden den Standort eines bestimmten Teils im Lager direkt anzeigen oder den Weg dahin vorgeben.
„In Zeiten des Fachkräftemangels kann es sich auch lohnen, das Warenlager ganz oder in Teilen zu automatisieren“, erläutert Fottner. „Häufig lassen sich so nicht nur die Mitarbeitenden körperlich entlasten, sondern auch Fehlerraten senken und die Effizienz steigern.“ Bereits heute seien die Einsatzmöglichkeiten für technologische Lösungen vielversprechend, obgleich die Potenziale noch lange nicht ausgeschöpft sind.
Ob autonome Roboter, fahrerlose Transportsysteme oder digitale Zwillinge – dank neuer Rahmenparameter und Entwicklungen wie 5G, künstlicher Intelligenz oder kamerabasierter Objekterkennung entwickeln sich die denkbaren Anwendungsszenarien rasant weiter. „Diese Zukunftstechnologien haben noch einen enormen Entwicklungsbedarf“, sagt Fottner. „Dennoch sollten mittelständische Firmen sich frühzeitig damit auseinandersetzen.“
Vor dem Hintergrund der aktuellen Herausforderungen von Unternehmen im Allgemeinen und der Logistik im Besonderen sieht Fottner Nachhaltigkeit als eines der zentralen Themen. „Wir müssen uns hin zu einer Circular Economy entwickeln“, fordert der Experte. „Ohne eine Umstellung der Logistik wird das aber nicht funktionieren.“ Um den Lebenszyklus von Produkten nachverfolgen und aktiv steuern zu können, komme digitalen Technologien eine wichtige Bedeutung zu.
„Die Intralogistik muss dafür sorgen, dass Produktions-, Verteilungs- und Beschaffungsprozesse innerhalb des Unternehmens effizient ablaufen“, so Fottner. „Das ist essenziell, um Ressourcen und Energie zu sparen.“ Ebenso entscheidend wird es dem Experten zufolge sein, eine Reverse-Logistik zu implementieren – also einen Prozess, mit dem Waren oder Rohstoffe an ihren Ursprungsort zurückgelangen, um dort wiederverwendet zu werden.
‚Wieso sollten wir? Es läuft doch!‘ – das ist eine der Aussagen, die Fottner im Gespräch mit mittelständischen Unternehmen über die Digitalisierung der Logistik und Fragen der Nachhaltigkeit immer wieder hört. Für den Logistik-Experten kein gutes Argument. „Als Unternehmen sollte man danach streben, besser zu werden – denn Verbesserungspotenziale gibt es immer“, sagt er. „Kutschen waren auch mal ausgezeichnete Fortbewegungsmittel, aber sie finden sich heute eher selten auf Unternehmensparkplätzen.“
Anstatt angesichts der vielfältigen Herausforderungen den Kopf in den Sand zu stecken, empfiehlt Fottner Unternehmen, sich regelmäßig zu überdenken und kontinuierlich zu investieren. „Das ist wie ein kleines, tägliches Sportprogramm – es sollte Spaß machen, aber gleichzeitig fit halten.“
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