Das Kreuzfahrtschiff „Spirit of Adventure“ in der Meyer Werft
Kreuzfahrtschiffe

Kreuzfahrtschiffe

Eine Branche in Seenot

Damit die heimische Meyer Werft und weitere europäische Kreuzfahrtschiffbauer die Corona-Krise gut überstehen, stundet die KfW IPEX-Bank die Tilgung ihrer Kredite. Die Initiative der Bundesregierung verschafft Luft für ein Jahr und rettet Arbeitsplätze.

Thilo Bollenbach in seinem Büro in Papenburg

Thilo Bollenbach, Finanzchef der Meyer Werft, in seinem Büro in Papenburg. Von seinem Fenster aus blickt er auf die „Spirit of Adventure“.

Das Meer ist der Sehnsuchtsort schlechthin. Auf schönen Schiffen exotische Häfen und fremde Küsten zu entdecken und an Bord einen Hauch von Luxus zu erleben, fasziniert Menschen auf der ganzen Welt. Rund 400 Schiffe weltweit bieten genau dieses Erlebnis. 30 Millionen Passagiere machten es sich im vergangenen Jahr an Deck bequem. Die Reiselust bescherte der Traumschiffbranche zuletzt jährliche Wachstumsraten zwischen vier und sechs Prozent. Unter den Deutschen entbrannte sogar ein Hype, ausgelöst von Anbietern wie Aida oder TUI Cruises, die das betuliche Image der Kreuzfahrten mit frischen Konzepten über Bord fegten.

Und dann kam das Corona-Frühjahr 2020 und sorgte innerhalb weniger Wochen für einen Stillstand der gesamten Flotte. Die Meldungen von mit Infizierten festsitzenden Schiffen schockte die Reisebranche. Mit Volldampf auf Grund, ohne Vorwarnung. Alle Schiffe lagen vor Anker oder vertäut in den Häfen.

Thilo Bollenbach steht in seinem Büro im vierten Stock des Verwaltungsgebäudes der Papenburger Meyer Werft und blickt über das Werftgelände hinweg zur „Spirit of Adventure“, die drei Tage zuvor ausgedockt worden ist. „Normalerweise arbeiten hier am Tag bis zu 10.000 Menschen, über 3.600 aus der Kernbelegschaft und dann noch unzählige Zulieferer und externe Spezialisten“, sagt der Finanzchef der Meyer Werft. Derzeit jedoch herrscht weitgehend Stillstand. Auf dem Areal sind nur wenige Arbeiter unterwegs, die meisten davon scheinen vor allem die Aufgabe zu haben, die strengen Zugangsbeschränkungen zu kontrollieren, die die Werft wegen der Corona-Pandemie erlassen hat. Womit gleichzeitig der Grund benannt ist, warum der 59-Jährige gerade keine rechte Freude beim Anblick des jüngsten Meyer-Schiffes vor seinem Fenster empfinden kann. Der coronabedingte Zusammenbruch des Kreuzfahrttourismus trifft das Unternehmen ins Mark. Auch hier: mit Volldampf in ein Wellental, in dem selbst ein traditionsreiches, 225 Jahre altes und grundsolides Unternehmen wie Meyer quasi über Nacht gelandet ist.

Smart Ships aus europäischer Fertigung

Die Meyer Werft in Papenburg ist das Flaggschiff der deutschen Werftindustrie. Gemeinsam mit ihrer Schwesterwerft in Rostock – es gibt einen dritten Standort im finnischen Turku – ist sie für 75 Prozent des Umsatzes des deutschen Schiffbaus verantwortlich. Allein in und um Papenburg hängen 24.000 Arbeitsplätze direkt und indirekt am Unternehmen, das sich voll und ganz auf den Bau von Kreuzfahrtschiffen konzentriert hat. Neben ein paar Superjachten, Spezialschiffen oder Marinebauten sind die schwimmenden Hotels die letzten Schiffe, die noch in Europa vom Stapel laufen. Die Containerfrachter und Tankerflotten, die auf den Weltmeeren das Rückgrat der Globalisierung bilden, werden überwiegend in Asien zusammengeschweißt.

Porträt vom Finanzchef der Meyer Werft Thilo Bollenbach
„Das ganze Netzwerk rund um die Schiffe ist europäisch, auch wenn die chinesischen Werften drängen.“

Thilo Bollenbach, Finanzchef der Meyer Werft

Dafür schlägt sich Europa in der Rolle des maritimen Spezialisten sehr gut. Außer in der Mitsubishi-Werft in Japan werden die technologisch immer besser ausgestatteten und damit ressourcenschonender fahrenden Smart Ships ausschließlich in europäischen Werften gefertigt. „Das ganze Netzwerk rund um die Schiffe ist noch europäisch, auch wenn die chinesischen Werften drängen“, betont Bollenbach. Die Ansprüche an ein Kreuzfahrtschiff seien so hoch, dass es auch eine sehr hohe Eintrittshürde in diesem Markt gebe. „Eine Profiküche auf einem Schiff, die auch noch der U. S. Public Health Regulation entspricht, kann nicht jeder bauen.“ Der Einkauf der Werft finde zu 98 Prozent in Europa statt. Einer Handvoll Kreuzfahrtschiffwerften steht auf Reederseite eine Gruppe internationaler Unternehmen wie Carnival oder die Royal Caribbean Group gegenüber, auf die sich das Gros der Bettenkapazitäten der Branche verteilt. Kommt es zu einer massiven Störung wie im Fall der weltweiten Corona-Pandemie, steht das gesamte Cluster rund um diesen industriellen Kern auf dem Spiel.

Lesen Sie unter der Bildergalerie weiter.

Die KfW IPEX-Bank stundet die Tilgung der Kredite für ein Jahr

„Wir müssen gemeinsam mit unseren Kunden und den staatlichen Kreditversicherern alles tun, um einen Strömungsabriss in der Branche zu verhindern“, sagt Holger Apel, Leiter der Abteilung Maritime Industrie bei der KfW IPEX-Bank. Apel ist Spezialist für die Kreuzfahrtindustrie und kennt die Besonderheiten dieses Marktes genau. Deshalb steht er auch voll hinter der Initiative der Bundesregierung, den Reedereien als Corona-Nothilfe für ein Jahr die Tilgung ihrer Schulden bei ihren Banken zu stunden. Nur die Zinsen müssen weiterhin beglichen werden. Die Regierung hatte dieses Konzept gemeinsam mit der KfW IPEX-Bank und anderen Marktexperten entwickelt und dann in Form einer europäischen Initiative umgesetzt. Das Ziel: der Branche finanziell Luft zu verschaffen und dafür zu sorgen, dass die aktuellen Bestellungen von Neubauten nicht storniert werden. Denn mit rund 25 Milliarden Euro an Exportfinanzierungen unterstützen der Bund und die KfW IPEX-Bank gemeinsam mit ihren deutschen und internationalen Konsortialbanken die Branche. Geld, mit dem die Investitionen in neue Schiffe abgesichert werden. Ohne eine festgezurrte Finanzierung würde zum Beispiel auf der Meyer Werft kein einziges Schweißgerät zum Einsatz kommen können. Und die KfW IPEX-Bank ist in dieser sensiblen Angelegenheit ein Partner der Wahl.

Wir finanzieren

Die KfW IPEX-Bank ist einer der weltweit größten Finanzierer der maritimen Industrie.

Mehr erfahren

„Die KfW IPEX-Bank ist für uns ganz wichtig“, sagt Frank Kuhlmann, Finanzchef von TUI Cruises. Sechs Schiffsneubauten hat das in Hamburg ansässige Unternehmen mit der Marke „Mein Schiff“ bei der Meyer Werft im finnischen Turku in den vergangenen Jahren bauen lassen, drei weitere Orders für Schiffsneubauten sind bei Werften platziert. Pro Schiff kostet das zwischen 500 und 700 Millionen Euro. Solche Volumina benötigen ein stabiles Umfeld mit guten wirtschaftlichen Aussichten. Mit der Corona-Krise musste jedoch auch TUI Cruises in einen Notmodus schalten, dessen Umfang nicht vorhersehbar war. „Eine Pandemie, die gleichzeitig an allen Destinationen rund um die Welt ausbricht, war für uns nicht vorstellbar“, gesteht Kuhlmann. Doch Notmodus hin oder her: Schiffe, die auf Reede liegen, kosten weiterhin Geld. Bei TUI Cruises und der kürzlich übernommenen Hapag-Lloyd sind das Kosten, die im niedrigen zweistelligen Millionenbereich liegen, bei fehlenden Einnahmen. „Die Aussetzung der Tilgung war ein wesentlicher Baustein in unseren Liquiditätsmaßnahmen.“

Quelle
Titelbild des CHANCEN-Magazins Herbst/Winter 2020

Dieser Artikel ist erschienen in CHANCEN Herbst/Winter 2020 „Jäger des Virus“.

Zur Ausgabe

Und die Initiative der Bundesregierung zeigt Wirkung. „Das Orderbuch lebt, bislang ist es zu keinen Stornierungen gekommen“, weiß Finanzierungsexperte Apel. Reedereien und Werften sind übereingekommen, die bestehenden Aufträge zu strecken. Denn zusätzliche Bestellungen sind in der derzeitigen Situation zunächst nicht zu erwarten. „Statt pro Jahr zwei große und ein kleineres Schiff zu bauen, werden wir in nächster Zeit nur ein großes und ein kleines bauen“, erläutert Meyer-Finanzchef Bollenbach. So soll die nähere Zukunft der Werft mit ihren vielen Arbeitsplätzen sowie ihrer überwiegend mittelständisch geprägten Zulieferindustrie gesichert werden. Und auf neue Schiffe will eigentlich keine Reederei verzichten, denn erstens wird jedes neue Schiff besser, effizienter, nachhaltiger, zweitens bietet es Kunden andere Anreize, eine Traumreise zu buchen. „Für uns sind Neubauten ein wichtiger Baustein unserer Expansion“, bestätigt Frank Kuhlmann.

Alle gehen davon aus, dass die Ozeane und die darauf schwimmenden Hotels ihre Faszination auch weiterhin behalten werden. Ab Sommer 2021 rechnet der TUI-Cruises-CFO mit der Normalisierung des Geschäfts, und Thilo Bollenbach hofft, ab Mitte der Zwanzigerjahre in Papenburg normal produzieren zu können.

null

Alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen verabschiedeten im Jahr 2015 die Agenda 2030. Ihr Herzstück ist ein Katalog mit 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung, den Sustainable Development Goals (SDGs). Unsere Welt soll sich in einen Ort verwandeln, an dem Menschen ökologisch verträglich, sozial gerecht und wirtschaftlich leistungsfähig in Frieden miteinander leben können.

Auf KfW Stories veröffentlicht am 21. Oktober 2020.