Nicolas Röhrs, Chef des IT-Unternehmens Cloud&Heat
Innovation

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Zukunftslabor Ost

Fünf junge Unternehmen entwickeln in Dresden und Leipzig innovative Lösungen – zum Energiesparen, in der Biotechnologie, fürs Wohnen. Mehr als drei Jahrzehnte nach der Wende stehen sie für den modernen Wirtschaftsstandort Sachsen, werben für ein offenes gesellschaftliches Klima – denn für beste Ideen braucht es beste Köpfe von überall. Wir stellen Ihnen die Unternehmen Cloud & Heat, Sunfire, Rhebo, c-LEcta und Asuna vor.

Serverheizung von Cloud & Heat

Cloud & Heat

Cloud & Heat beheizt Gebäude mit Server-Abwärme

Mitten in dem bunten Gebäudeensemble aus zwei Jahrhunderten fällt vor einer alten Werkshalle ein Schiffscontainer mit Schaufenster auf. Er gehört der Firma Cloud & Heat, die auf diesem Gelände in Dresden, das sich Zeitenströmung nennt, ihren Sitz hat. Bis 1918 war hier königlich-sächsisches Militär untergebracht, in der DDR wurden in einem VEB Flugzeugturbinen gebaut. Heute ist es die Adresse zahlreicher Start-ups. Kunden und Investoren aus aller Welt kommen hierher, um sich das spektakuläre Innenleben des ausgestellten Cloud & Heat-Containers zeigen zu lassen. Denn in dem begehbaren Koloss ist das Muster eines mobilen Rechenzentrums untergebracht: Geschützt vor Kälte oder heißem Wüstensand kann von hier aus ein ganzer Konzern gesteuert werden. Vorige Woche zeigte ein Kunde aus Dubai großes Interesse.

Mittlerweile arbeiten mehr als 90 Mitarbeiter bei Cloud & Heat an Hardware- und Softwarelösungen für Rechenzentren, die zwei Eigenschaften kombinieren: Energieeffizienz und Sicherheit. Auf nachhaltige Geschäftsmodelle ist auch der Fonds ETF III spezialisiert, an dem die KfW-Tochter KfW Capital beteiligt ist und mit dem Cloud & Heat kofinanziert wird. Mit dem Geld hat das 2011 gegründete Unternehmen eine Technologie entwickelt, die die Abwärme der Server zum Heizen von Gebäuden nutzt. Auf diese Weise haben die Dresdner in Frankfurt am Main das Hochhaus des ehemaligen Rechenzentrums der Europäischen Zentralbank umgestaltet. So spart der Kunde nach Angaben von Cloud & Heat jährlich bis zu 160.000 Euro Energiekosten. „Damit sind wir bei der Energieeffizienz weltweit führend“, sagt CEO Nicolas Röhrs. Die IT-Infrastruktur von Cloud & Heat wird vor allem von Kunden genutzt, die besonders rechenintensive Jobs verarbeiten und flexibel skalieren wollen. Dazu hat das Dresdner Unternehmen erst kürzlich ihr Portfolio um maßgeschneiderte Infrastrukturlösungen erweitert, die es Kunden ermöglicht, aus einem Pool unterschiedlicher Hardware zu wählen. Zudem habe man eine Softwaresicherheitslösung entwickelt. Unternehmen seien bei großen Datenmengen von Cloud-Lösungen abhängig. Dafür biete Cloud&Heat einen verschlüsselten Cloud-Zugriff an. Normalerweise seien Kunden auf ein halbes Dutzend Experten angewiesen, um eine effiziente, sparsame und sichere IT-Infrastruktur zu schaffen, so Röhrs. Bei seinem Unternehmen hingegen kämen schlüsselfertige Lösungen aus einer Hand.

Sächsische Erfolgsgeschichten wie diese gibt es nicht erst seit gestern. Schon wenige Jahre nach der Wende konnte sich Dresden dank einer gezielten Ansiedlungspolitik zu einer der erfolgreichsten Wirtschaftsregionen im Osten entwickeln. Rund um den ehemaligen Stammsitz von Robotron, des größten Computerherstellers der DDR, gab es exzellente IT-Ingenieure und damit viel Know-how. 68.000 Menschen hatten bis zur Betriebsauflösung im Juli 1990 bei Robotron gearbeitet. Mit der Ansiedlung von Siemens 1993 und dem amerikanischen Chiphersteller AMD 1998 wurde die Keimzelle für einen modernen Technologiestandort geschaffen. Heute gilt die Region als ostdeutsches Silicon Valley mit etwa 2.000 Firmen und 50.000 Beschäftigten. Diverse Hochtechnologien wie Mikroelektronik, Nanotechnologie, Maschinen- und Fahrzeugbau und Biotechnologie haben sich in der Region etabliert.

Bei Cloud & Heat tüfteln IT-Spezialisten in loftartigen Büros und Werkstätten an neuen Ideen und maßgeschneiderten nachhaltigen Lösungen für Kunden aus der ganzen Welt. Hierzu gehört auch die Beteiligung an der Entwicklung eines europäischen digitalen Ökosystems unter dem Namen GAIA-X. Als Mitglied des Architecture Boards sind die Dresdner ein federführendes Mitglied des Konsortiums. Das Team kommt aus ganz Deutschland, Ost wie West, aber auch aus Syrien, Spanien, der Türkei und Finnland. Die meisten haben an der TU Dresden studiert – wo Cloud & Heat aus einem Forschungsprojekt entstand. „Wir verkörpern ein sehr agiles, buntes Dresden und versuchen, diese Positivbotschaft nach außen zu tragen“, sagt Firmenchef Röhrs.

Die überschaubare Größe der Stadt helfe dabei, von der Politik wahrgenommen zu werden. Auf dem hart umkämpften Markt der Spezialisten locke man mittlerweile auch Bewerber aus München oder Berlin an. Gleichwohl gebe es bei der Infrastruktur noch Defizite. Die Bahn könnte in der Region schneller fahren, der Flughafen seine Kapazität erweitern. Doch obwohl man soeben ein Büro in Frankfurt eröffnet hat und eine Mitarbeiterin in Dubai das Geschäft in den Vereinten Arabischen Emiraten voranbringt, soll Dresden die Zentrale bleiben. Mit seiner Arbeit will das Unternehmen dazu beitragen, dass digitale Infrastrukturen in der Region auch wirtschaftlich attraktiv werden.

Mitarbeiter der Rhebo GmbH im Büro

Rhebo

Rhebo sorgt für Cybersicherheit

Mitarbeiter der Firma Rhebo

Teamwork im Open Space: Beim Leipziger Softwareentwickler Rhebo tüfteln täglich 25 Mitarbeiter an Lösungen für industrielle IT-Sicherheit und Prozessstabilität.

So leicht wie in Dresden haben es die Leipziger nicht gehabt. Nach der Wende fielen dort Zehntausende Industriearbeitsplätze weg. Leipzig gelang es aber, sich schnell als Messestandort zu behaupten und aufgrund seiner günstigen Lage in der Mitte Europas einige große Investoren wie BMW, Porsche und DHL anzusiedeln. Mit ihrer Wirtschaftsförderung setzt die Stadt seit Jahren auf Kernbranchen: Automobilhersteller und Zulieferer, Gesundheits- und Biotechnologie und Logistik. Was aber auch Start-ups aus dem IT-Bereich nicht hindert, sich in Leipzig niederzulassen.

Wie Rhebo, das in Halle 6 in der alten Leipziger Baumwollspinnerei sitzt, wo auch Malerstar Neo Rauch seine opulenten Kunstwerke schafft. In einer offenen Fabriketage verfeinern die Softwareentwickler unter den 25 Mitarbeitern ein Produkt, das die Steuerungstechnik von Energie-, Wasser- und Industrieunternehmen mit vernetzter Produktion schützen soll. In der modernen Industrieproduktion, aber auch bei öffentlichen Versorgungsunternehmen werden immer mehr Komponenten miteinander verbunden. Das macht die informationstechnische Infrastruktur anfällig für Störungen aller Art. In vielen Branchen ist das Risikobewusstsein noch schwach ausgeprägt, Know-how zur industriellen Cybersicherheit oft nicht vorhanden. „Wir bieten eine Art Brandmeldesystem“, erklärt Kristin Preßler, CEO bei Rhebo. Dort, wo sich in Netzwerken die Kommunikation bündelt, platziert Rhebo Analysemodule, um dann in Echtzeit ein Lagebild zu erstellen. Ziel ist es, Anomalien, also unbekannte Abweichungen, in der Kommunikation zu entdecken. „Wichtig ist, unbekannte Vorgänge erst einmal zu erkennen. Wir melden sofort, wenn wir im übertragenen Sinn Rauch in der Steuerungstechnik detektieren“, erklärt Preßler. „Der Rauch kann dabei ein Konfigurationsfehler an einer Anlagensteuerung sein oder Kommunikation zu einem Command-and-Control-Server eines Hackers. Die Bewertung ergibt sich dann aus den Vorfallinformationen, die detailliert dokumentiert werden. Das Monitoring schafft dadurch sowohl Cybersicherheit als auch Stabilität.“

Kapital für Zukunftstechnologien

KfW Capital investiert in europäische Venture Capital-Fonds, die sich an technologieorientierten Unternehmen in der Wachstumsphase in Deutschland beteiligen und dadurch deren Kapitalbasis stärken.

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Noch rekrutiert Rhebo – unter anderem finanziert von dem deutschen VC-Fonds eCapital IV, in den KfW Capital investiert hat – sein Personal aus der Region. Perspektivisch sei man in dem umkämpften Markt der Entwickler aber auch darauf angewiesen, internationale Mitarbeiter zu gewinnen. Das Team biete eine gute Unternehmenskultur und herausfordernde Aufgaben, so Kristin Preßler, doch gehöre dazu auch ein passendes politisches Umfeld. Bei den Montags meetings von Rhebo sei die Sorge des Teams vor einem weiteren Rechtsruck in der Region spürbar. Es sei Konsens unter den Mitarbeitern, dass in diesem Fall ein Verlust der Lebensqualität zu befürchten wäre, sagt Preßler: „Ich halte es für selbstverständlich, in einer offenen Gesellschaft zu leben. Der Fachkräftemangel ist evident. Dass auch andere Kulturen in Sachsen ihren Platz haben sollten, steht für mich außer Frage. Ich hoffe, dass das in der Politik angekommen ist.“

Sunfire

Sunfire

Sunfire entwickelt Kraftstoff auf Wasserstoffbasis

Für diese Botschaft steht auch Sunfire in Dresden, 2016 als eines der zehn innovativsten Energieunternehmen weltweit ausgezeichnet. Geschäftsidee: die Entwicklung synthetischen, nachhaltigen Kraftstoffs auf Wasserstoffbasis. Damit können Flugzeuge, Schiffe und Schwertransporter angetrieben werden. Ein kreativer Akteur also, der daran mitarbeitet, den Energiebedarf der Zukunft zu sichern. „ Sunfire positioniert sich eindeutig für Offenheit und Toleranz und lebt diese Kultur auch“, erklärt Firmenchef Carl Berninghausen. Das Unternehmen ist Mitglied im Verband „Wirtschaft für ein weltoffenes Sachsen“. Dort lassen sich Mitarbeiter zum Thema Diversität coachen, um ihr Wissen dann intern weiterzugeben. Ähnlich wie Cloud & Heat findet Sunfire, das binnen weniger Jahre auf 170 Mitarbeiter angewachsen ist, sehr qualifizierte Mitarbeiter unter den Absolventen der TU Dresden, darunter Elektro- und Verfahrenstechniker, Ingenieure, Mechatroniker sowie Personal für die Finanzverwaltung. Zu Hochzeiten von Pegida habe man in Personalgesprächen gleichwohl große Vorbehalte gegen den Standort gespürt, so Berninghausen. Daher das Engagement für Toleranz.

c-LEcta Leipzig

c-LEcta

c-LEcta stellt natürlichen Süßstoff her

Als Technologiestandort bietet Sachsen durchaus Vorteile, auch für das Leipziger Biotech-Unternehmen c-LEcta. Über den ERP-Startfonds ist die KfW daran beteiligt, das Startkapital stammte aus einem Beteiligungsfonds der Stadt Leipzig. „Letztlich war es regionale Wirtschaftsförderung, die unseren Start ermöglicht hat“, sagt CEO Marc Struhalla. Er führt durch ein Labor, wo eine Mitarbeiterin im weißen Kittel an Petrischalen arbeitet. Nebenan stehen Schüttelkolben und Fermenter, das ganze biotechnologische Arsenal. „Wir verändern Mikroorganismen so, dass sie machen, was wir wollen“, erklärt Struhalla. So konnte c-LEcta einen natürlichen Süßstoff herstellen. „Wir haben ein Verfahren entwickelt und auf den Markt gebracht, das den Süßstoff der Steviapflanze so verwandelt, dass er ein besseres Geschmacksprofil hat.“ Neben der Lebensmittelindustrie ist die Pharmaindustrie das zweite, stark wachsende Marktsegment, das c-LEcta bedient – und das weltweit.

Marc Struhalla fühlt sich in Leipzig sehr gut positioniert. Zwar gebe es hier eine relevante Biotechnologiebranche, aber als wachsendes Unternehmen gehe man nicht in einer Vielzahl von Wettbewerbern unter wie an großen Standorten. Anfangs habe man in Bewerbungsgesprächen noch viel Überzeugungsarbeit leisten müssen, um Talente in den Osten zu locken. „Inzwischen überzeugen wir mit einem Mix“, so Struhalla. Einerseits sei c-LEcta innovativer Aufsteiger in einer spannenden Branche. „Andererseits sitzen wir in einer Stadt mit enormer Lebensqualität und sehr viel Kultur, die sehr attraktiv für unsere jungen Mitarbeiter ist.“

Auch Struhalla betont, wie wichtig der gesellschaftliche Rahmen für weiteres Wachstum ist. c-LEcta sei bereits jetzt darauf angewiesen, Expertise aus anderen Ländern zu holen. „Das wird sich weiter verschärfen“, sagt er. „Ich bin davon überzeugt: Wir müssen uns zu einem echten Einwanderungsland entwickeln.“ Es gehe gar nicht darum, nur jemanden ins Land zu lassen: „Wir müssen darum werben, dass gut ausgebildete Fachkräfte zu uns kommen.“ Dabei hilft dem Biotech-Aufsteiger sowohl die eigene Geschichte mit spannender Produktentwicklung als auch die von Leipzig, das zunehmend als weltoffene Kulturstadt wahrgenommen wird – und vielerorts Nischen für Visionäre bietet.

Energieeffizienzhaus aus Holz in der Felsenkellerstraße 1 in Leipzig

Asuna

Asuna aus Leipzig steht für nachhaltige Architektur

Visionäre wie Dirk Stenzel, der seinen Ein-Mann-Betrieb Asuna nennt: Atelier für strategische und nachhaltige Architektur. Seine Mission ist es, zu einem modernen, ökologischen Stadtbild beizutragen. Stenzel steht vor einem Haus, das sich wie ein schmaler abgerundeter Keil zwischen zwei Straßen schiebt und dessen markante Form von der auffälligen Holzfassade betont wird. „Leipzig ist offen für buntes Leben, bunte Menschen und auch für buntes Bauen“, sagt Stenzel, der selbst aus der Region stammt und den Freigeist seiner Heimatstadt schätzt. „Das Gebäude ist ein Statement dafür, wie man auf schwierigem Terrain nachhaltig bauen kann.“ Mindestens 100 Jahre soll das Geschäfts- und Wohngebäude aus Holz – nur Treppenhausturm und Brandwandbereich zur Nachbarbebauung wurden aus Stahlbeton errichtet – stehen. Bei der Planung bewegte sich Stenzel außerhalb der Bauordnung. In einem intensiven Abstimmungsprozess mit dem Bauordnungsamt habe man schließlich die strengen Brandschutzauflagen erreicht. Anderthalb Stunden lang muss nämlich im Katastrophenfall ein Gebäude den Flammen trotzen. Die Stadt erlebte der Architekt bei seiner Pionierarbeit an dem KfW-Effizienzhaus als sehr aufgeschlossen. Es ging nicht darum, sein Pilotprojekt zu verhindern, sondern Wege zu finden, es zu ermöglichen.

Der Architekt führt durch das Holzhaus, zeigt die zweigeschossige Gewerbefläche und einige der vier Wohnungen. Keine ist wie die andere, jeder Grundriss ist anders. Durch die gebogenen Fensterscheiben der abgerundeten Spitze liegt dem Bewohner das urbane Leipzig zu Füßen. Auf der Dachterrasse schafft sich die Hausgemeinschaft gerade neben Sonnenkollektoren eine Ruhezone über den Dächern der Stadt. Stenzel plant derzeit zwei weitere Projekte in Leipzig. Wieder aus Holz, wieder für Bauherrengemeinschaften, die das individuelle Wohnen wünschen. „Denen möchte ich auch die größtmögliche Freiheit lassen“, sagt Stenzel. So wie Leipzig ihm die Freiheit für seine Ideen lässt.

Auf KfW Stories veröffentlicht am 1. Oktober 2019, aktualisiert am 1. Dezember 2022.