Die drei Gründerinnen vor einem Regal
Gründen

Gründen

Raffinierte Kosmetik

In fast allen herkömmlichen Kosmetikartikeln verstecken sich Stoffe auf der Basis von Erdöl. Die günstigen Zusätze machen die Haut weich und Cremes haltbar. Doch sie sind weder gesund noch umweltfreundlich. Das Hamburger Technologie-Startup LignoPure hat eine Alternative mit großem Potenzial entwickelt – aus dem nachwachsenden Rohstoff Lignin.

LignoPure

Landessieger Hamburg beim KfW Award Gründen 2021 (Quelle: KfW/n-tv)

In der nüchternen Halle am Rand von Buxtehude sind große weiße Säcke voller Lignin eingetroffen. Es erinnert an gepressten Kaffeesatz und riecht ein wenig nach feuchtem Holz. Ein unscheinbarer Stoff. Doch er kann vielen Produkten zu mehr Nachhaltigkeit verhelfen.

Woher Lignin stammt und was es kann, erklärt LignoPure-Gründerin Joana Gil: „Nach der Zellulose ist Lignin das häufigste Biopolymer auf der Erde. Es kommt in unterschiedlicher Zusammensetzung in allen Pflanzen vor. Bäume bestehen bis zu einem Drittel aus Lignin. Es ist der natürliche Klebstoff, der die Pflanzenstruktur zusammenhält, deshalb können sie sehr hoch werden. Es sorgt auch dafür, dass sie vor UV-Strahlung und vor Bakterien geschützt sind, fängt freie Radikale und macht sie widerstandsfähig gegen Umwelteinflüsse. Wunderbare Eigenschaften also, die wir nutzen sollten!“

Sack mit braunem Pulver
Pulversack

Das fertige Lignin erinnert an feines Kakaopulver, ist aber geruch- und geschmacklos.

Gewonnen wird Lignin in Bioraffinieren. Diese verarbeiten Holz, Stroh oder andere Pflanzen und entziehen ihnen die Zellulose, um daraus Bio-Ethanol herzustellen. Übrig bleibt das Lignin. Da die Raffinerien dieses jedoch nicht benötigen, verwerten sie es thermisch – das bedeutet, es wird verbrannt. Eine wertvolle Ressource geht damit verloren, obwohl der günstige, nachwachsende Rohstoff für viele Bereiche hochinteressant ist. So kann Lignin zu Bioplastik verarbeitet werden, im Straßenbau den aus Erdöl hergestellten Teer ersetzen oder als Dämmmaterial verwendet werden.

Die Crème de la Crème

Reagenzgläser mit braunem Pulver
Ligninpulver

So unterschiedlich wie ihr Ursprung sind auch die Schattierungen – so hat das Lignin von Laubbäumen einen anderen Ton als Lignin von Nadelbäumen.

Unschlagbar ist Lignin auch als innovativer Zusatz in Kosmetikprodukten: Es ist von Natur aus antibakteriell und antioxidativ, wirkt damit gegen Hautschäden und Falten. Die natürlichen Brauntöne in unterschiedlichen Schattierungen und Farbtemperaturen eignen sich besonders für getönte Cremes und MakeUps. Der UV-Schutz macht das Produkt auch für Sonnencremes hochinteressant. Denn hier kann Lignin statt der herkömmlichen Filter, die im Verdacht stehen, krebserregend zu sein oder den Hormonhaushalt zu beeinflussen, beste Dienste leisten. Mehr noch: Gelangt die Creme beim Baden ins Wasser, sinken die für den Sonnenschutz verantwortlichen Ligninpartikel ab und richten auch in den Ozeanen keinen Schaden an.

Gruppenbild in der Fabrik
Buxtehude

Ein Teil der zwölf Mitarbeitenden am Produktionsstandort in Buxtehude.

Diese besonderen Eigenschaften haben die Biotechnik-Ingenieurinnen Joana Gil und Wienke Reynolds an der TU Hamburg intensiv erforscht. Zusammen mit Daniela Arango gründeten sie 2019 LignoPure. Unterstützt wurde ihr Vorhaben vom Hamburger Programm InnoRampUp. Seitdem konzentriert sich das auf 12 Personen angewachsene Team zunächst auf die möglichen Anwendungen von Lignin in Kosmetika.

„Lignin ist ein toller Rohstoff, doch er ist nicht gerade ready to use“, sagt Daniela Arango. „Es gibt verschiedenes Ausgangsmaterial und es muss entsprechend aufbereitet werden. Die Mikropartikel benötigen in ihrer Größe, Struktur und Form ein bestimmtes Design, damit sie sich für Kosmetik eignen. Hinzu kommen die hohen regulatorischen Anforderungen für Zusätze in Cremes und anderen Produkten.“

Patentiertes Erfolgsgeheimnis

Eine braune Paste wird auf einer Oberfläche verstrichen
UV-Schutz

Lignin, das mit Sonnenschutzcreme vermischt wird, fügt sich harmonisch in die Textur ein, den UV-Schutz bringt es bereits mit.

In beiden Bereichen liegt LignoPure vorn. Ihr gebrauchsfertiges Lignin, das aus einem Kessel in großen Tüten abgefüllt wird, sieht wie feines Kakaopulver aus. Auf die anspruchsvolle Partikelformulierung wie auf das Herstellungsverfahren haben die Gründerinnen bereits Patente in Europa und in weiteren Ländern. Langfristig möchten sie die Technologie für die Bioraffinieren lizensieren, damit ihr Produkt dort hergestellt werden kann, wo es entsteht. Das vermeidet Transportwege und macht die Erzeugung dadurch umweltfreundlicher.

KfW Award Gründen

Der KfW Award Gründen zeichnet in jedem Jahr 16 Landessieger und einen Bundessieger für ihre Geschäftsideen aus.

Mehr erfahren

Doch nicht nur Lignin-Pulver kann das Startup liefern, auch „LignoPearls“, Lignin in Mini-Kügelchen, sind geplant. Sie fungieren als hautpflegender Ersatz für Mikroplastik, das vor allem in Peelings eingesetzt wird oder können in Produkten weitere Komponenten wie z. B. Aromen „transportieren.“ Einige Hersteller verzichten freiwillig auf Mikroplastik, viele Initiativen fordern ein gesetzliches Verbot. Wenn es dazu kommt, wird LignoPure der Industrie bereits ein fertig entwickeltes Produkt anbieten können.

Die Segel sind also gesetzt und nun sichert eine Seed-Finanzierung von 2,2 Mio. Euro die weitere Skalierung. Etablierte Konzerne lassen von LignoPure mögliche Anwendungen prüfen oder maßgeschneiderte Prototypen entwickeln. Und bei der Kosmetik soll längst nicht Schluss sein – es gibt viele weitere Anwendungsfelder im Food- und Pharmabereich, die die Gründerinnen in den kommenden Jahren in den Fokus nehmen werden. Die frisch eröffnete Produktion in Buxtehude dürfte also erst der Anfang zu mehr Lignin in unserem täglichen Leben sein.

Auf KfW Stories veröffentlicht am 2. Mai 2022.