Auf der indonesischen Insel Sumatra leitet Dr. Peter Pratje von der Zoologischen Gesellschaft Frankfurt (ZGF) seit mehr als 20 Jahren das Bukit-Tigapuluh-Schutzprogramm. .Im Mittelpunkt des Projekts stehen die Wiederansiedlung von Orang-Utans und der Schutz von Lebensraum für die besondere Tier- und Pflanzenwelt. Die KfW unterstützt diese Arbeit
So gelingt Transformation in Indonesien
(Quelle: KfW / Christian Chua / Thomas Schuch)
Alda ist 23 Jahre alt, sie ist schwanger, sie ist hungrig und sie weiß nicht recht wohin. Der Dschungel von Bukit Tigapuluh ist ihr immer noch fremd, das Leben als freier Orang-Utan offenbar nicht ihr Ding. Bei Menschen würde man wahrscheinlich von posttraumatischer Belastungsstörung sprechen.
Aldas Lebensgeschichte ist traurig: 19 Jahre lang war sie ein Haustier, lebte in einer kleinen Stadt in einem kleinen Käfig, bis zu dem Tag, an dem ihr Halter starb. Da dessen Sohn mit Alda nichts anzufangen wusste, öffnete er die Käfigtür. Sie kam heraus, verließ das Haus und kletterte auf die nächstbeste Kokosnusspalme. Dort blieb die Orang-Utan-Dame vier Tage lang sitzen, bis jemand die Wildtierbehörde verständigte.
Alda wurde abgeholt und in die Quarantänestation nach Medan in Nordsumatra gebracht. Seit knapp zwei Jahren ist Alda nun frei und lebt in Bukit Tigapuluh. Sie war der 162. Orang-Utan, der im Rahmen des Bukit-Tigapuluh-Schutzprogramms im Regenwald freigelassen wurde.
Ziel dieses seit nunmehr 16 Jahren bestehenden Programms ist es, eine selbständig lebensfähige Population an Sumatra-Orang-Utans in Bukit Tigapuluh zu etablieren und so dazu beizutragen, die Art Pongo abelii vor dem Aussterben zu bewahren. Die Tiere für die Wiederansiedlung sind entweder konfiszierte Tiere aus illegaler Haltung, so wie Alda, oder Orang-Utans, die bei der Abholzung von Sumatras Wäldern heimatlos wurden. Auch einzelne Zootiere sind unter den Neubürgern in Bukit Tigapuluh. Das zweite große Ziel des Programms ist es, möglichst großflächig den Lebensraum der Orang-Utans zu schützen.
Der Sumatra-Orang-Utan ist eine hoch bedrohte Art. Schätzungen zufolge leben heute nur noch etwa 14.600 Tiere auf der indonesischen Insel. Besonders schwer zu schaffen macht ihnen der Lebensraumverlust. Die Abholzungsrate in Indonesien und speziell auf Sumatra ist riesig, nirgendwo sonst verschwindet Tropenwald in vergleichbarem Tempo. So wurden allein zwischen 1985 und 2007 rund 12 Millionen Hektar Wald gerodet. Das heißt, innerhalb von nur 22 Jahren wurden knapp 50 Prozent der gesamten Waldfläche von Sumatra vernichtet.
Aus den gefällten Bäumen wird Papier gemacht. Die frei gewordenen Flächen werden vor allem mit Ölpalmen aufgeforstet. Über Hunderte von Kilometern stehen sie in Reih und Glied, eine neben der anderen, wie mit dem Lineal gezogen. Indonesien ist das Hauptproduktionsland für Palmöl, das in einer unglaublichen Vielzahl von Lebensmitteln, Kosmetika sowie als Biodiesel Verwendung findet. Für die Fauna Sumatras, die auf intakte Regenwälder angewiesen ist, ist das eine existenzielle Bedrohung.
Der Bukit-Tigapuluh-Nationalpark ist 145.000 Hektar groß und liegt in den Provinzen Jambi und Riau in Zentralsumatra. Dort finden wir die letzten Tieflandregenwälder der Insel und neben Tigern, Elefanten und Tapiren seit einigen Jahren auch wieder Orang-Utans. Ende 2002 kamen die ersten fünf konfiszierten Orang-Utans in die damals gerade fertig gebaute Auswilderungsstation im Bukit-Tigapuluh-Ökosystem: Waikiki, Madu, Roma, Santi und Ricki. Vorangegangen waren jahrelange Vorbereitungsarbeiten, ausführliche Machbarkeitsstudien und eine intensive Suche nach einem geeigneten Standort für eine Auswilderungsstation.
Modernste Käfiganlagen erwarteten die fünf Auswilderungskandidaten sowie Programmleiter Dr. Peter Pratje und seine Mitarbeiter, die theoretisch ausgezeichnet ausgebildet und vorbereitet waren, aber praktisch nicht ganz genau wussten, was als Nächstes geschehen würde. „Die ersten zwei Jahre lernten wir mehr von den Orang-Utans als sie von uns“, erinnert sich Peter Pratje. „Sie haben uns gezeigt, wie Auswilderung am besten durchzuführen ist, welche Früchte sie besonders gerne fressen und wie man sie am effektivsten trainiert.“
So entstand nach und nach der Lehrplan für die Dschungelschule, nach dem heute die konfiszierten Orang-Utans auf ihr Leben in der Wildnis vorbereitet werden. Die Menschenaffen lernen, wie man klettert, wie man Schlafnester baut, was man essen kann und wie man Termiten am besten aus ihren Nestern heraussaugt, kurz: alles, was man für ein selbständiges Affenleben in der Freiheit des Regenwalds braucht. Inzwischen ist das Programm das erste wissenschaftlich dokumentierte Auswilderungsprogramm von Orang-Utans und, das belegen die Daten eindeutig, das erfolgreichste seiner Art.
Neben dem Artenschutz steht in Bukit Tigapuluh heute vor allem der Lebensraumschutz im Zentrum der Arbeit von Peter Pratje und seinen Kollegen. Denn der Wald schrumpft weiter in beängstigender Geschwindigkeit. Um die wenigen noch intakten Naturwaldflächen außerhalb des Nationalparks vor der Abholzung zu bewahren, setzten sich ZGF und WWF jahrelang gemeinsam dafür ein, das Managementrecht für zwei Forstkonzessionsblöcke angrenzend an den Bukit-Tigapuluh-Nationalpark zugeteilt zu bekommen.
Als die Lizenz am 24. Juli 2015 schließlich vom indonesischen Forstministerium erteilt wurde, waren fünf Jahre zähes Ringen mit der Distriktregierung ins Land gegangen. Das Durchhaltevermögen der Projektpartner, zu denen neben der ZGF auch der WWF gehört, wurde mit 39.000 Hektar Naturschutzkonzession belohnt. Diese sogenannte Ecosystem Restoration Concession ist auf 95 Jahre ausgelegt und wird von einer extra zu diesem Zweck gegründeten Non-Profit-Firma verwaltet.
Alltag in der Urwaldschule
Äste statt Käfigstangen
Manche Affenmutter in der Auswilderungsstation weiß nach oft jahrzehntelanger Gefangenschaft nicht, was sie ihrem Baby beibringen muss. Damit sich die Affenkinder gar nicht erst an das Leben im Käfig gewöhnen, gehen sie in die Urwaldschule. Dort lernen sie von Trainern und Artgenossen, in Freiheit zu überleben.
Für das Management der Konzessionsfläche stellt das Bundesumweltministerium im Rahmen der Internationalen Klimaschutzinitiative (IKI) über die KfW Mittel zur Verfügung. „Das Vorhaben ist uns wichtig, weil damit nicht nur ein Beitrag zum Schutz des Ökosystems und damit des Lebensraums von bedrohten Arten wie dem Orang-Utan im Nationalpark Bukit Tigapuluh geleistet wird, sondern auch gleichzeitig Konzepte entwickelt werden können, mit denen langfristig Naturschutz auch finanziell nachhaltiger gestaltet werden kann“, sagt Carsten Kilian, zuständiger Projektmanager in der KfW Entwicklungsbank.
Die Ecosystem Restauration Concession ist ein großartiger Erfolg für Peter Pratje und alle beteiligten Organisationen, aber dennoch nur ein Etappenziel. „Wir wollen eine langfristige Perspektive für den Naturschutz schaffen und einen partizipativen Waldnutzungsplan entwickeln, bei dem die lokale Bevölkerung in eine nachhaltige und umweltschonende Nutzung der Wälder miteinbezogen wird“, sagt Peter Pratje.
Neben einer neuen Orang-Utan-Heimat ist die Konzessionsfläche auch ein wichtiger Lebensraum für die hochgradig bedrohten Sumatra-Tiger und Sumatra-Elefanten. Auch um den Fortbestand dieser Art kümmert sich das Bukit-Tigapuluh-Schutzprogramm.
Im Rahmen des Sumatra-Elefantenschutzprojekts werden seit 2012 Sumatra-Elefanten mit Sendehalsbändern ausgestattet. So können zum einen wichtige Daten zum Verhalten der Elefanten gesammelt werden, zum anderen können die Projektmitarbeiter die Tiere auch im dichten Regenwald orten und Dorfbewohner warnen, wenn sich die Elefanten in Richtung ihrer Dörfer bewegen. Konflikten zwischen den hungrigen Elefanten einerseits und Bauern, die ihre Felder schützen andererseits, kann so effektiv vorgebeugt werden.
„Als ich damals mit dem Orang-Utan-Auswilderungsprojekt begonnen habe, hätte ich nicht gedacht, dass sich das Anforderungsprofil meiner Arbeit so verändern würde“, gibt Peter Pratje zu. „Aus einem reinen Artenschutzprojekt ist ein ambitioniertes Landschaftsschutzprogramm geworden, mit allem was dazugehört.“
Wie in allen ZGF-Projektgebieten findet auch in Bukit Tigapuluh und in der Naturschutzkonzession ökologisches Monitoring statt. Mithilfe von 58 Kamerafallen konnten bereits mehr als 30 Säugetierarten im Ökosystem nachgewiesen werden.
Die Kollegen konzipieren Umweltbildungsprogramme für Kinder und Jugendliche im Umfeld des Nationalparks und seit Kurzem gibt es am Parkrand die erste landwirtschaftliche Berufsschule für Jugendliche, in der diese lernen können, wie sie auch wenig Land modern, ertragreich und nachhaltig bewirtschaften. Gut ausgebildete Rangereinheiten gehen im Nationalpark auf Patrouille und in Zusammenarbeit mit den Behörden gegen illegale Aktivitäten vor. Alle Maßnahmen sind darauf ausgelegt, natürliche Ressourcen möglichst nachhaltig zu nutzen und auf diese Weise möglichst viel Lebensraum zu erhalten.
Seit Projektbeginn im Jahr 2002 ist viel Zeit vergangen, die Orang-Utan-Population in Bukit Tigapuluh wächst und das nicht mehr nur durch weitere Auswilderungen. Auch Nachwuchs stellt sich in der Population inzwischen regelmäßig ein. Das erste Dschungelbaby wurde schon 2004 geboren. Santi, die noch zwei Jahre vorher zu den ersten Dschungelschülern gehört hatte, brachte im Wald ihre Tochter Suci zur Welt.
Vor knapp anderthalb Jahren war Vanilla das bis dahin letzte wilde Baby. Mit ihrer Mutter Violett lässt sie sich alle paar Monate in der Auswilderungsstation sehen. Auch Aldas Baby hat inzwischen das Licht der Welt erblickt, Anfang 2018 kam es zur Welt, in Freiheit im Bukit Tigapuluh Nationalpark in Sumatra.
Auf KfW Stories veröffentlicht am 8. März 2018, aktualisiert am 4. November 2023.
Zu diesen Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen leistet das dargestellte Projekt einen Beitrag
Ziel 15: Landökosysteme schützen, wiederherstellen und nachhaltig nutzen
Der Verlust der biologischen Vielfalt nimmt zu, dabei ist sie Grundlage unseres Lebens – und diese wird gerade in rasantem Tempo zerstört. Schätzungen zufolge haben sich 60 Prozent der weltweiten Ökosysteme verschlechtert oder werden nicht nachhaltig genutzt. 75 Prozent der genetischen Vielfalt landwirtschaftlicher Kulturen gingen seit 1990 verloren. Mehr als die Hälfte der Regenwälder wurde für die Palmöl-, Agrartreibstoff-, Futtermittel- und Fleischproduktion bereits vernichtet. Quelle: www.17ziele.de
Alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen verabschiedeten im Jahr 2015 die Agenda 2030. Ihr Herzstück ist ein Katalog mit 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung, den Sustainable Development Goals (SDGs). Unsere Welt soll sich in einen Ort verwandeln, an dem Menschen ökologisch verträglich, sozial gerecht und wirtschaftlich leistungsfähig in Frieden miteinander leben können.
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