2. Preis beim KfW Award Bauen 2019 – Bestand
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Strahlkraft in Stralau

Wie man ein wertvolles Industriedenkmal retten und damit wunderschöne, bezahlbare Wohnräume schaffen kann, bewies eine Berliner Baugemeinschaft. Das Projekt gewann den 2. Preis in der Kategorie Bestand beim KfW Award Bauen 2019.

2. Preis: Bauen im Bestand

Berlin, Friedrichshain-Kreuzberg (KfW Bankengruppe/n-tv).

In Berlin war die alte Flaschenfabrik am S-Bahn-Ring vielen ein Begriff. Fast 20 Jahre lang stand die „Glashütte Alt-Stralau“ leer, nur gelegentlich von inoffiziellen Partys und Konzerten belebt, von Grün umwuchert, von Graffiti überzogen. Den Investoren, die ringsum Großes planten, war der Backsteinbau nur im Weg; sie wollten ihn abreißen. Ein Umbau galt als „total unwirtschaftlich“.

Erst eine Baugemeinschaft, von der Maklerin Tanja Zieske zusammengetrommelt, traute sich die Rettung des letzten Industriebaus auf der Halbinsel Stralau zu – alle anderen sind längst abgerissen oder stark verändert. Die Architektin Anita Eyrich plante behutsam 25 Wohnungen und etwas Gewerbe in die marode, aber denkmalgeschützte Hülle, die sich im Besitz des Landes Berlin befand. Drei Jahre mühte sich die Baugemeinschaft mit Berliner Ämtern und der Politik ab, bis hinauf zum Abgeordnetenhaus, dem Landesparlament. Ende 2014 waren sie am Ziel: Sie konnten das Gebäude kaufen, mit der Auflage, auch drei Sozialwohnungen in ihr Konzept aufzunehmen und im Fall einer Weitervermietung die Miethöhe zu begrenzen.

2. Preis beim KfW Award Bauen 2019 – Bestand
Behutsam renoviert

Auf der Ostseite des gemeinschaftlichen Bauprojekts befindet sich im Erdgeschoss ein Friseursalon.

Keine schicke, glatte Kiste!

Auch Architektin Anita Eyrich wollte keinen Luxus. Für sie ging die Arbeit nun erst richtig los. Der 66 Meter lange und gut 16 Meter hohe Giebelbau war das Werkstattgebäude der Fabrik und hatte darum auf den Längsseiten fast ununterbrochene Reihen von Fenstern – und die waren überwiegend kaputt. Vernietete Stahlträger überspannten die 17 Meter breiten und bis zu fünf Meter hohen, fast stützenfreien Räume – ein Loft-Gebäude von „immenser Strahlkraft“, wie Eyrich schwärmt. „Das Gebäude war zwar schadstoffverseucht, aber im Kern tiptop. Wir wollten daraus keine schicke, glatte Kiste machen.“

Also sicherte sie Spuren, betrachtete alte Fotos und versuchte, den Charakter des Kolosses so weit wie möglich zu erhalten. Die Denkmalpflege folgte ihr darin, wohl wissend, dass nur diese Initiative und eine neue Nutzung ihren wertvollen Zeitzeugen bewahren würde. Der Wärme- und der Brandschutz erwiesen sich als das größere Problem: „Die Stahlkonstruktion war sozusagen eine einzige Wärmebrücke, durch die im Winter Energie nach draußen entwich“, erinnert sich die Architektin. Und es gab nur zwei Treppenhäuser, also weite Wege im Notfall, etwa bei einem Brand.

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2. Preis beim KfW Award Bauen 2019 – Bestand
Kreatives Duo

Die Architekten Anita Eyrich und Christian Hertweck.

Stahl neben rauen Mauern

Um außen so wenig wie möglich zu verändern, baute Eyrich mit ökologischen Materialien eine zweite Wand mit neuen Fenstern hinter die Fassade. Die nötigen Nebenräume stehen als kleine weiße „Service-Boxen“ frei im Raum und dienen als Raumteiler, auf denen aber auch Platz für weitere Dinge ist. Daneben gibt es zwischen den von giftigen Anstrichen befreiten Stahlträgern wunderbar raue Ziegelmauern und immer wieder weite Durchblicke. Geduldig ging die Planerin mit den Brandschützern den Bau durch, um die Offenheit der Struktur zu bewahren.

Zwei bröckelnde Brücken ragen vorne aus dem Bau heraus. Früher führten sie in die anderen Fabrikgebäude. Heute sind sie Eingang und Wintergarten für zwei Wohnungen. Unten im Erdgeschoss, wo früher Züge durchs Gebäude fuhren, schließt nun ein mit modernem Blech verkleideter gläserner Zubau den Gebäuderiegel. In einem der besonders hohen Räume ist ein Friseursalon eingezogen. Am anderen Ende hat sich ein Oldtimer-Fan unter den Bewohnern seinen Traum von einem offenen Showroom erfüllt, der aber auch bisweilen für musikalische Events genutzt wird – die Akustik ist vorzüglich.

Freiräume für alle

Oben aufs Dach packte Eyrich schließlich eine leichte Blechbox mit weiteren Wohnungen. Wie eine dunkle Schublade ragt sie aus dem Baukörper. Auch seitlich am Giebel drückt sich ein Balkon als Box heraus. Freiräume für alle gibt es sonst nur auf der Ostseite des Gebäudes, wo ein Grillplatz angelegt wurde. Ab und zu trifft sich die Gruppe hier zum Brunch, manche machen auch gemeinsam Yoga. Insgesamt 51 Menschen leben heute in der Glashütte, darunter acht Familien mit 13 kleinen Kindern. Etwa zehn der Bewohner gehen im Haus als Freiberufler ihrer Arbeit nach.

Ringsum hat unterdessen das Brachen-Dasein ein ziemlich abruptes Ende gefunden. Während vorn einige Reihen schlichter Stadthäuser die Halbinsel beleben, rückt hinten ein 300 Meter langer Büro-Riegel den Glashüttlern auf die Pelle. Doch wichtiger ist, dass es die Glashütte mit ihrer Strahlkraft in die neue Zeit geschafft hat. Und sie setzt ein Zeichen, dass sich Beharrlichkeit und Engagement auszahlen.

Das Projekt in Stichworten

Projekt: Umbau eines Werkstattgebäudes zu 25 Mietwohnungen und einer Gewerbeeinheit
Lage:
10245 Berlin
Baujahr: 2018
Bauherren: Baugruppe „Glashütte Alt-Stralau“
Architekten: Eyrich Hertweck Architekten, Berlin
Energieberaterin: Margot Woge, Berlin

Fläche: 2.945 Quadratmeter Wohnfläche
Grundstück: 5.145 Quadratmeter

Qualitäten für die Bewohner: Großzügiges gemeinsames Wohnen in Industrielofts
Qualitäten für die Gesellschaft: Erhalt eines ortsprägenden Industriedenkmals
Energiesparen: Lüftungsanlagen, Fernwärme, ökologische Baumaterialien, Recycling alter Bausubstanz
Barrierearmut: Großteils barrierefrei, Garten schwellenfrei

Auf KfW Stories veröffentlicht am: Freitag, 24. Mai 2019

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