1. Preis beim KfW Award Bauen 2019 – Neubau
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Gemeinsam den Hof gemacht

Engagiert und überaus kreativ erfüllten sich vier Familien im Chiemgau ihren Traum vom gemeinsamen Landleben, indem sie an einen Bauernhof anbauten. Damit gewannen sie den 1. Preis in der Kategorie Neubau beim KfW Award Bauen 2019.

1. Preis: Neubau

Bayern, Eggstätt (KfW Bankengruppe/n-tv).

Der Gabrielhof in Eggstätt-Bachham war 1914 der modernste Hof weit und breit: An das schmucke Haupthaus aus Ziegeln schloss ein langer Stall mit Scheune an. Doch trotz seiner idyllischen Lage am Ortsrand – vorn rauscht der Bach, hinten von der Weide ist oft der Watzmann zu sehen – war er zuletzt arg heruntergekommen und stand 2014 zum Verkauf.

Drei Familien aus der Gegend, die sich über die Waldorfschule ihrer Kinder kannten, erwarben das Anwesen kurz entschlossen. Beruflich reicht ihre Spanne vom Holzbildhauer über Lehrer und Richter bis zur Tierärztin und Therapeutin. Sie warben noch eine weitere Familie an und fanden in Eik Kammerl aus Pfaffing einen experimentierfreudigen Architekten. Gemeinsam überlegten sie in vielen abendlichen Treffen, wie sie auf dem Hof heimisch werden könnten. Denn dessen Zustand war gruselig: „Bei der Besichtigung fraßen uns die Flöhe fast auf“, berichten sie.

Der Landkreis Rosenheim erlaubt auf Hofstellen außerhalb von Dörfern drei zusätzliche Wohnungen. Bei einem Abriss und Neubau von Gebäuden sollten Größe und Umriss erhalten bleiben. Alles lief in diesem Fall auf eine Reihenhaus-Lösung hinaus. „Das hätte sehr rasch sehr langweilig werden können“, sagt Eik Kammerl.

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Traum vom Landleben

An einen schmucken Kopfbau schließen drei neue Holzhäuser an.

Schlicht wie eine Scheune

Also fand die Gruppe eine Form, die einem ländlichen Nutzbau nachempfunden ist: einheitlich gegliedert und komplett aus Holz, Massivholz. Loggien treten an die Stelle von Balkonen, kein Schnickschnack stört das Erscheinungsbild. Sogar die alte Auffahrt zum Heuboden blieb erhalten – das große Giebelfenster dort erinnert an das Scheunentor.

Im Kern handelt es sich aber doch um Reihenhäuser, die sogar gleich breit sind. Dann aber beginnt die Vielfalt: So verschieden die vier Familien, so unterschiedlich entwickelten sich die vier Hauseinheiten. Und obwohl alle Paare noch jugendliche Kinder haben, liegen die Eltern bis zu 16 Jahre auseinander. Ein Paar nahm zudem die rüstigen Eltern bei sich auf, sodass die 21 Bewohner heute zwischen sechs und 67 Jahre alt sind. Der Gabrielhof ist auch ein Mehrgenerationenhaus.

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Platz für Gross und Klein

Wenn es gerade kein Projekt im Freien gibt, geht Caspar Schneider seinen Interessen im Haus nach.

Vielfalt in der Einheit

Jonathan Emerson aus den USA hat mit Katja Nonnast-Emerson das erste Haus in der Reihe ausgebaut. Dabei recycelte er Balken und Türen der alten Scheune. Den Lehmputz trug er selbst auf. Wie im ganzen Ensemble sind die Materialien natürlich belassen, die Lärchenholzfenster nicht mal grundiert, der Heizestrich nur geschliffen. „Der Raum wirkt allein durch das Material, nicht durch Design“, sagt die Bauherrin. Eine Stahltreppe teilt den Grundriss in der Mitte, davor liegt ein paar Stufen tiefer der acht Meter breite Großraum, genannt „Allraum“, mit Küche und Wohnbereich, oben die Schlaf- und Kinderzimmer.

„Baubiologisch ist das Projekt high end“, schwärmt der Architekt. „Da mussten wir bei den Handwerkern manch alten Zopf abschneiden.“ Der Glasschaumschotter unter der Bodenplatte zum Beispiel war am Ende günstiger als eine konventionelle Dämmung. Zwischen die tragende Holztafelkonstruktion und die Lärchenbretter der Fassade blies man Zellulose ein – so blieb die Hitze im vorigen Sommer draußen. Nur: Weil die Gruppe strikt keine chemischen Zusätze im Beton der Ziegeltrennwände wollte, blieben die eben ein Jahr lang feucht. Heizwärme bezieht die Gruppe übrigens von einem Bauern in der Nachbarschaft, der ein Hackschnitzelkraftwerk betreibt – auch eine ökologische Lösung. Solaranlagen für Strom und Wasser kommen hinzu.

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Pfiffige Raumgestaltung

Bei Familie Oßwald-Dietz ist der Flur rund, die Windrose weist den Weg.

„Du weißt, dass für dich gesorgt ist“

Das nächste Haus von Lukas und Corinna Schneider ist ganz anders. Sie teilten ihr Haus im Erdgeschoss: Eine zweite Tür führt in die Einliegerwohnung der Eltern. Die Treppe liegt platzsparend an der Seite, die Küche unten, das Wohnzimmer oben.

Bei Günther Oßwald und Verena Dietz im Endhaus führt die von Birkenstämmen flankierte Wendeltreppe in einen urigen Rundraum unterm Dach. Wo einst das Scheunentor war, schweift der Blick ins Grüne, und Badewanne und Betten öffnen sich über Dachfenster zum Firmament.

Den Altbau vorn restaurierte Hubert Janson, der Holzbildhauer, weitgehend selbst. 1.200 Meter Heizschlangen verlegte er, passte Stahlträger und Holzböden ein, baute Treppen und schnitzte zuletzt jedem sein Sternzeichen in die Tür. Seine Frau Brigitte ging dem Lehmputzer zur Hand und pflegt den Bauerngarten vorm Haus. Ihr 15-jähriger Sohn Kilian hilft tüchtig mit: Als Jahresarbeit in der Schule baute er sich einen Schreibtisch, mit den anderen einen Schäferwagen für die kleine Herde des Hofs; im Winter räumte er mit dem Traktor den Schnee.

„Die Jungs beteiligen sich besonders rege am Gemeinschaftsleben. Das tut denen unheimlich gut“, sagt Corinna Schneider. „Die Kinder lernen, wie wir miteinander umgehen“, ergänzt ihr Mann Lukas. „In unserer Ellbogengesellschaft ist das hier eine Abrüstung der Kommunikation. Du weißt, dass für dich gesorgt ist“, meint Brigitte Janson. Die Chemie stimmt einfach zwischen den vier Familien.

Gerade haben alle im Hof ihren Gemeinschaftsbaum gepflanzt, eine Esskastanie. Im Hintergrund kräht der Hahn, der Bach rauscht, die Kinder flitzen herum. Wie es aussieht, ist der Gabrielhof wieder ein moderner Ort geworden – ein Ort, der in die Zukunft weist.

Das Projekt in Stichworten

Projekt: Erweiterung eines Bauernhauses in Holzmassivbauweise
Lage:
83125 Eggstädt
Baujahr: 2017
Bauherren: Hubert und Brigitte Janson, Jonathan Emerson und Katja Nonnast-Emerson, Lukas und Corinna Schneider, Günther Oßwald und Verena Dietz
Architekten: Kammerl und Kollegen, Pfaffing
Energieberater: Wolfgang Hilz, Zwiesel

Wohnfläche: 773 Quadratmeter
Grundstück: 6.350 Quadratmeter

Qualitäten für die Bewohner: Ländliches Wohnen in Gemeinschaft
Qualitäten für die Gesellschaft: kein neuer Flächenverbrauch, Erhalt der Kulturlandschaft
Energiesparen: Kompakter Anbau aus Massivholz, Hackschnitzel- und Solarheizung, biologische Baustoffe
Barrierearmut: Erdgeschoss in Teilen barrierefrei, Hof schwellenfrei

Auf KfW Stories veröffentlicht am: Freitag, 24. Mai 2019

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