Verena Pausder und Melanie Kehr sitzen vor ihren Notebooks
Zukunftsinterview

Zukunftsinterview

"Wir brauchen Freiheit und Kreativität"

Zwei Frauen, die die Zukunft repräsentieren, im Gespräch: Startup-Gründerin und Buchautorin Verena Pausder und Melanie Kehr, KfW-Vorständin für IT und Digitalisierung, diskutieren über die Innovationsförderung in Deutschland, die Kraft der Krise – und die Eigenschaften, die eine digitale Zukunft den Menschen abverlangt.

Verena Pausder steht freundlich lächelnd an einer Straßenecke

Verena Pausder, Gründerin und Buchautorin

Frau Pausder, die Corona-Krise und der Lockdown haben uns alle in eine Art kollektive Depression versetzt. Sie haben nun ein Buch geschrieben, in dem Sie uns alle aufrufen, an einem „Neuen Land“ zu arbeiten. Woran haben Sie dabei gedacht?

Verena Pausder: Die Zeit, in der wir eh aus der Komfortzone raus sind, ist perfekt, um etwas zu verändern. Wir dürfen nach der Krise nicht in die Haltung verfallen: „Wir verwenden jetzt all unsere Energie darauf den Zustand von vor Corona wieder herzustellen und machen weiter wie bisher“. Dass digitale Verwaltung, digitale Bildung, Unternehmertum, New Work, Klimaschutz zu einem zukunftsfähigen Deutschland gehören, ist bekannt. Ich möchte meinen Kindern später nicht erklären, warum wir so wenig getan haben, sondern lieber, wie mutig wir waren und was wir getan haben – und zwar aus der Krise heraus!

Frau Kehr, wurde die KfW auch aus der Komfortzone herausgeworfen?

Melanie Kehr: Und wie! Dabei sind wir krisenerprobt. Im Frühling 2020 brach die Wirtschaft um 9,7 Prozent ein, das gab es in der Nachkriegszeit noch nie. Die Bundesregierung hat das größte Hilfspaket seit Bestehen der Bundesrepublik geschnürt, der KfW kam dabei die Rolle zu, Unternehmen mit Liquidität zu versorgen. Die Nachfrage war riesig, der Druck enorm. Und wir haben es innerhalb eines Monats geschafft, gemeinsam mit der Bundesregierung, der Aufsicht, den Verbänden und unseren Finanzierungspartnern – wir haben ja keine Filialen – ein Corona-Sonderprogramm aufzusetzen, automatisch die ersten Zusagen zu erteilen und auszuzahlen. Mir hat gerade heute ein Unternehmer gesagt, die KfW hat so unglaublich schnell seinen Corona-Hilfskredit ausgezahlt, da habe er Gänsehaut bekommen.

KfW Stories-Talk

Video: Verena Pausder und Melanie Kehr über Zukunftstechnologien. (KfW Bankengruppe)

Und warum hat das so gut geklappt?

Kehr: Die über Jahre gewachsene Förderinfrastruktur inklusive einer digitalen Anbindung an die Finanzierungspartner war sicherlich ein Erfolgsfaktor. Auch die Tatsache, dass wir schon vor der Krise die Cloud-Technologie erprobt haben. So konnten wir schnell einen digitalen Förderassistenten entwickeln, der gerade im Lockdown sehr hilfreich war, weil die Kunden nicht überall zu ihrer Hausbank gehen konnten. Aber das Entscheidende war, dass wir sehr agil miteinander gearbeitet haben. Wir haben weder Fehler noch Schuldige gesucht – sondern wir haben einfach entschieden und weitergemacht. Und ich habe in der Mannschaft gar nicht mehr unterscheiden können, wer ist jetzt aus der IT, wer aus dem Fachbereich. Alle haben an einem Strang gezogen. Diese Kraft, die da entfaltet wurde, beeindruckt mich bis heute.

Frau Pausder, entspricht das Ihrer Idee von New Work?

Pausder: Absolut. Das Miteinander in einer digitalen Zeit basiert auf Vertrauen, die Führung auf gewolltem Kontrollverlust. Wir müssen auch Fehlerkultur fördern: Damit Mitarbeiter mutig sein können, müssen Unternehmen ihnen sagen, dass diese Fähigkeit gewünscht ist. Überhaupt, der Mensch im digitalen Zeitalter ist kein roboterähnliches Wesen, sondern er ist empathischer, sozialer und verletzlicher denn je. Aus meiner Sicht sind die Lösungen von morgen nicht so klar, dass wir jetzt schon sagen können, was man tun muss, um sie zu erreichen. Deshalb müssen wir den Menschen viel Freiheit und Kreativität geben, um diese Lösungen selber zu erarbeiten. Wir müssen das Ziel vorgeben und sie den Umsetzungsweg selber wählen lassen.

KfW-Vorstandsmitglied Melanie Kehr vor ihrem Tablet

Melanie Kehr, Mitglied des KfW-Vorstands

Frau Kehr, welche Herausforderungen gilt es zu bewältigen, um Deutschland zukunftsfähig zu machen?

Kehr: Wir müssen Innovationen vorantreiben, um Wachstum und Wohlstand aufrechtzuerhalten. Als Technologienation sind wir in vielen Bereichen gut aufgestellt, etwa in der Produktions- oder Kfz-Technologie. Bei Medizintechnologie flachen wir schon ab, wobei gerade in der Corona-Krise Deutschland vorgeführt hat, wozu es fähig ist. Das eigentliche Sorgenkind ist die IT-Technologie. Und das ist tatsächlich ein Problem, weil sie immer mehr zur Grundlage für andere Zukunftstechnologien wird. Ich bin aber überzeugt, dass wir von unseren Stärken ausgehen sollten: also Dinge ausbauen, die schon da sind und die wir gut können.

Frau Pausder, hat Deutschland seine Stärken gut genutzt?

Pausder: Wir sind in Deutschland auf der ersten Digitalisierungswelle, der des E-Commerce, des B2C, erfolgreich mitgeritten und haben auch große Unternehmen hervorgebracht, zum Beispiel Zalando. Aber das heißt nicht, dass wir bei der nächsten Welle, die stark auf Daten basiert, automatisch auch dabei sind. Dafür müssen wir an unsere Gesetzgebung und vor allem unser Mindset ran. Die Deutschen lieben es, ihre Daten zu schützen und übersehen, dass dabei nicht nur die Personendaten geschützt werden, sondern auch Bewegungs-, Wetter-, Mobilitätsdaten. Die sind aber großartig, wenn wir sie für autonomes Fahren oder Health-Tech-Innovationen verwenden würden. Wir leben in einer Art Zeitenwende. Von den 500 größten Familienunternehmen des Landes, die mehr als tausend Mitarbeiter und mehr als 1 Milliarde Umsatz haben, sind nur drei in den letzten 30 Jahren gegründet worden. Und gleichzeitig entwickelt sich in Berlin, in Hamburg, in Köln, in München seit Jahren eine neue Start-up-Szene...

... die auch von der Bundesregierung als Hoffnungsträger entdeckt wurde.

Kehr: Ja, gerade die Entwicklung von Deep Tech, also bahnbrechenden Technologien, wird den Start-ups zugeschrieben. Es gibt so viele Beispiele, wo junge Technologieunternehmen brillante Wissenschaftler anziehen und diese aus diesen Start-ups heraus Lösungen für die Herausforderungen der Zukunft entwickeln – Energie, Nachhaltigkeit, Ernährung, Gesundheit, Mobilität und Bildung. Wir müssen die Start-ups unterstützen und sie auf ihrem Weg begleiten: Irgendwann braucht es einfach Kapital, um eine gewisse Schlagkraft zu entwickeln, sonst geht uns Innovation verloren. Deshalb hat die Bundesregierung den Beteiligungsfonds für Zukunftstechnologien ins Leben gerufen und unsere Tochter KfW Capital mit der Umsetzung beauftragt. Diese investiert außerdem parallel in Venture-Capital-Fonds, die wiederum Start-ups finanzieren.

Zur Person
Verena Pausder sitzt lächelnd vor ihrem Notebook

VERENA PAUSDER
42, Start-up-Gründerin und Autorin des Bestsellers "Das neue Land". Für sie ist digitale Bildung ein Bürgerrecht. 2020 initiierte sie homeschooling-corona.com sowie den Hackathon #wirfürschule und wurde zur "Vordenkerin des Jahres" gewählt.

Frau Pausder, kann der Staat mit Venture Capital umgehen?

Pausder: Der Staat darf nicht zum alleinigen Investor werden – ohne die privatwirtschaftlichen Kräfte. Denn der Staat ist naturgemäß risikoavers. Wie gut es aber funktioniert, wenn Unternehmen und Staat zusammenarbeiten und investieren, sieht man zum Beispiel beim Hightech Gründerfonds, in den die KfW auch investiert ist oder beim European Investment Fund (EIF): Ob etwas überlebensfähig ist, entscheidet der Markt und dann matcht der Staat dieses Investment, damit es größer wird. Das halte ich für einen sehr guten Mechanismus.

Wo könnte der Staat noch nachbessern?

Pausder: Wir haben in Deutschland steuerlich das schlechteste Modell für Mitarbeiterbeteiligung bei Gründung und Unternehmen. Das ist ein großes Problem für schnell wachsende und junge Unternehmen, die Talente anlocken wollen. Sie können meistens nicht auf den ersten Metern das Gehalt zahlen, das angemessen wäre. Aber sie könnten durch Unternehmensanteile motivieren. Es gibt einen hervorragenden Vorschlag hierzu vom Bundesverband Deutscher Startups: #ESOPasap. Den muss die Politik nur umsetzen.

Zur Person
KfW-Vorstandsmitglied Melanie Kehr vor ihrem Tablet

MELANIE KEHR
46, ist eine der wenigen IT-Vorständinnen Deutschlands. Wegen der KfW-Corona-Hilfskredite wurde ihr Bereich über Nacht systemrelevant. Den Erfolg sieht sie unter anderem in den agilen Arbeitsmethoden.

Frau Kehr, wo kann denn die KfW als Institution ein Beispiel für andere sein?

Kehr: Wir glauben, dass wir als Bank im Umfeld Nachhaltigkeit als Vorreiter unterwegs sind. Im vergangenen Jahr hat die KfW selbst das Verfahren „SDG Mapping“ entwickelt und ihr ganzes Geschäft den 17 Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen zugeordnet. Bildung, Armutsvermeidung, eine funktionierende Wirtschaft, was ja die Grundlage für unseren Wohlstand auch ist: Sie finden sich dort alle wieder. Wir priorisieren diese Ziele gemeinsam mit dem Bund. Und wir werden verstärkt die Wirkung unserer Geschäftstätigkeit messen und können dann Impulse setzen – und zum Beispiel Programme aufsetzen, für die wir mit geringstem Ressourceneinsatz größte Wirkung erzielen.

Was heißt das genau?

Kehr: 2020 hatten wir zum Beispiel einen Rekordwert bei der Finanzierung von Energieeffizienz an Gebäuden erreicht, mehr als 26 Milliarden Euro. Das ist sehr erfreulich für das Geschäft. Wenn wir aber sagen, wir wollen sinnhaft arbeiten, dann müssen wir das übersetzen in: Wie viel CO2 haben wir damit eigentlich eingespart? Und das wollen wir jetzt verstärkt tun. Daneben haben wir uns das Ziel gesetzt, im Jahr 2050 ein treibhausgasneutrales Portfolio zu haben. Das bedeutet ganz einfach, dass wir im Zweifel auf ein Geschäft verzichten werden, das ökonomisch vielleicht attraktiv ist, aber unserem Ziel widerspricht.

Frau Pausder, nicht alle finden solche Aussichten gut. Wie schaffen wir es denn, möglichst alle in das „Neue Land“ mitzunehmen?

Pausder: Ich habe in meinem Leben gelernt, dass die beste Antwort auf Unsicherheit, Risiko oder Gefahr Bildung ist. Deswegen dürfen wir Bildung nicht nur in den Schulen denken, sondern im Sinne vom lebenslangen Lernen so verankern, dass sie auch von denen angenommen wird, die vielleicht Sorge haben, dass eine neue, digitale Welt sie nicht mehr in dem Maße braucht. Und da habe ich mir immer vorgestellt: Was wäre eigentlich, wenn wir eine digitale Volkshochschule in Deutschland hätten? Grundkurse in Digitalisierung wären Bürger- und Bürgerinnenrecht. Nach dem Durchlaufend des Grundkurses kann man sich entscheiden, was man aufbauend noch lernen kann und bekommt dafür Gutscheine vom Staat.

Frau Kehr, wäre das ein neues Förderprogramm für die KfW?

Kehr: Bildung ist der richtige Ansatz, den wir auch verfolgen. So haben wir mit dem TUMO-Lernzentrum in Berlin einen sehr inspirierenden Ort für Schüler geschaffen, an dem sie sich nach der Schule kostenlos digital bilden können. Und wir möchten das gerne auch in andere Kommunen tragen. Um Fortschritt voranzutreiben, braucht es Know-how im Umgang mit IT-Technologie.

Frau Pausder, und wie kommen wir aus der kollektiven Depression wieder heraus?

Pausder: Immer, wenn ich das Gefühl habe, es liegen ganz viele Probleme auf der Straße und keiner fasst sie an, dann ist mein erster Impuls: Dann gründe ich da doch was. Oder schaffe eine neue Initiative. Das gibt einem ein Gefühl der Selbstwirksamkeit, wenn man merkt, jetzt bewegt sich was. Das ist aus meiner Sicht der beste Weg aus der Krise. Und wenn man das dann noch paart mit Umsetzungsstolz, der sich einstellt, wenn Dinge wirklich entstehen, die es gestern noch nicht gab, dann gibt es eigentlich nichts Motivierenderes als ein eigenes Unternehmen zu gründen. Und das macht auch ein Stück süchtig. Vielleicht wage ich es ja bald noch einmal.

Auf KfW Stories veröffentlicht am 17. Mai 2021