Saskia Melches fährt mit ihrem Rollstuhl durch eine Straße
Gründen

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Nicken und losfahren

Einen Rollstuhl nur mit dem Kopf steuern? Das Startup munevo macht es möglich und so den Alltag von Menschen mit starken Bewegungseinschränkungen leichter. Für diese Innovation wurde das Münchner Unternehmen mit dem KfW Award Gründen ausgezeichnet.

Konstantin Madaus und Aashish Trivedi

Das EXIST-Gründerstipendium gab dem Team vor der Gründung finanzielle Sicherheit, um die Technologie weiterzuentwickeln.

Saskia Melches ist Rollstuhlfahrerin und lebt mit einer chronischen Krankheit, die ihre Muskelkraft schwinden lässt. Es fällt ihr dadurch schwer, den Joystick zu bedienen, mit dem sie ihren elektrischen Rollstuhl steuert. So wie ihr geht es auch vielen anderen, die beispielsweise durch eine hohe Querschnittslähmung, Multiple Sklerose (MS) oder Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) eingeschränkt sind. Doch seit einiger Zeit trägt Melches eine besondere Brille – und fährt damit sicher durch den Alltag.

Konstantin Madaus ist Mitgründer von munevo und erklärt die Innovation: „Wir haben eine Software für Datenbrillen entwickelt. Sie kann Bewegungen des Kopfes erfassen und in Steuerungssignale für einen elektrischen Rollstuhl umwandeln. Ein Nicken startet die Anwendung. Durch ein leichtes Anheben des Kopfes fährt er vorwärts, wird er zur Seite geneigt, folgt der Rollstuhl dieser Richtung. Die Hände sind also nicht nötig, um selbst fahren zu können.“

Portrait von Saskia Melches mit Smartglasses

Das System aus Datenbrille und Steuerungssoftware wird direkt am Kopf getragen, leichte Bewegungen werden in Fahrsignale für den Rollstuhl umgewandelt.

Das System wird bereits von über 200 Menschen genutzt. Und auch im Unternehmen selbst gibt es Mitarbeitende, die ihren Rollstuhl mit munevo DRIVE steuern – Saskia Melches ist eine davon. Das Feedback der Nutzerinnen und Nutzer ist enorm wichtig, damit alle Funktionen auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten werden können. Bereits in der Entwicklung wurde die Zielgruppe daher eingebunden.

Wer eine solche Datenbrille verwenden möchte, bekommt zunächst Besuch von munevo: „Wir stellen das Produkt vor und begleiten bei ersten Probefahrten. Ich habe dabei Menschen kennen gelernt, die seit Monaten nicht mehr allein draußen waren und auch im Haus immer Hilfe brauchten, um von einem Zimmer ins andere zu kommen. Selbst zu fahren, wann und wohin man will, statt dorthin geschoben zu werden, macht aber einen großen Unterschied. Dieses Stück Selbstbestimmung können wir mit der Technik zurückgeben“, sagt Konstantin Madaus.

Hand hält Google glasses

munevo entwickelte eine ausgeklügelte Steuerungssoftware für Elektro-Rollstühle. Dabei kommen Google Glasses zum Einsatz.

Nicht nur das Lenken wird mit der Datenbrille einfach, es können auch weitere Hilfsmittel verknüpft werden. Das kann beispielsweise ein am Rollstuhl angebrachter Roboterarm sein, der beim Greifen oder Essen hilft. Auch ein Sprachcomputer oder ein Telefon sind mögliche Elemente.

Die vielen Vorteile liegen auf der Hand, doch müssen Versicherte oft lange warten, bis sie die Brille erhalten. Die Kosten für das Medizinprodukt werden von den Krankenkassen übernommen – und ihre Budgets sind knapp. Die Ausgabe von ca. 13.000 Euro wird selten sofort bewilligt. munevo unterstützt die Versicherten sowie die Kostenträger und bereitet alle Unterlagen oder Stellungnahmen vor, damit das Verfahren beschleunigt wird. Denn: Bei vielen schreitet die Erkrankung in der Zwischenzeit fort, so dass sie immer mehr Fähigkeiten einbüßen.

KfW Award Gründen

Der KfW Award Gründen zeichnet in jedem Jahr 16 Landessieger und einen Bundessieger für ihre Geschäftsideen aus.

Mehr erfahren

Seit dem Start im Jahr 2018 ist munevo stetig gewachsen, 24 Mitarbeitende gehören nun zum Team. Sie prüfen auch die Chancen der boomenden Smarthome-Technologien, die eine sinnvolle Ergänzung für die Software sein können. Denn mit der Datenbrille, die sich per Bluetooth verbindet, ist die Regulierung von Heizung oder Licht und das Öffnen von Türen problemlos möglich. Dem Ziel, Menschen wie Saskia Melches noch umfassender zu unterstützen, kommt das Unternehmen damit näher. Sie ist gern unterwegs – ob auf Reisen oder als Markenbotschafterin des Unternehmens und damit selbst der beste Beweis: Um mobil zu sein, braucht es gar nicht so viele Muskeln.

Auf KfW Stories veröffentlicht am 1. März 2023