Dr. Kati Ernst und Kristine Zeller vom Unternehmen ooia
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Revolution von unten

Dr. Kati Ernst und Kristine Zeller haben Periodenslips entwickelt und krempeln damit einen Markt um, der oft ohne Innovationen bleibt – weil die Entscheider Männer sind. Die Gründerinnen setzen sich für Female Empowerment ein und stellen Frauen und ihre Bedürfnisse konsequent in den Mittelpunkt. Ihr Unternehmen ooia wurde Bundessieger beim KfW Award Gründen.

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Bundessiegerinnen beim KfW Award Gründen 2020 (Quelle: KfW/n-tv).

Wenn im Werbefernsehen blaue Flüssigkeit auf eine Slipeinlage gekippt wird, können Kati Ernst (im Bild oben rechts) und Kristine Zeller nur den Kopf schütteln. Die Menstruation ist noch so tabubehaftet, dass nicht einmal ihre natürliche Farbe gezeigt wird. Das wollen sie ändern und gleichzeitig das Leben für Frauen einfacher und nachhaltiger machen. In ihrem hellen Büro erzählen die beiden von ihrem Weg dorthin.

„In unseren anspruchsvollen Jobs haben wir uns wohlgefühlt. Aber in den gesellschaftlichen Themen, über die wir sprachen, steckte ein Funke, der uns nicht losgelassen hat. Was können wir anfassen, um die Welt ein Stück besser zu machen? Und dann hat das Produkt uns gefunden!“, sagt Ernst.

Auslöser war ein Abendessen. Eine Frau erzählte hinter vorgehaltener Hand, dass sie während ihrer Tage spezielle amerikanische Slips mit einer eingearbeiteten Einlage benutzt. Viele Fragen stürmten auf sie ein. Funktioniert das? Wie fühlt es sich an? Neugierig geworden, wollte Ernst diese Wäsche einmal testen. Doch „Period Pants“ gab es in Europa nicht, obwohl auch viele andere Frauen auf der Suche danach waren. Ihr wurde klar, wie viel Potenzial in diesem Bereich steckt und dass sie genau hier gründen möchte. Sie sprach ihre Freundin Kristine an, die Textilbetriebswirtschaft studiert hat und den Einkauf der Unterwäscheabteilung bei Zalando leitete. Kati Ernst arbeitete als Unternehmensberaterin für Mode- und Konsumgüterfirmen. Mit diesem Hintergrund bildeten sie das perfekte Team.

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Vom Dummy zur Marke

Die bestellte Unterwäsche aus den USA war ernüchternd. Im Intimbereich gab es zu viele chemische Fasern, der Schnitt war nicht modisch und die Herstellungsprozesse fraglich. Die erste Idee der Lizenzierung eines bestehenden Produkts war damit vom Tisch. Nun beschäftigten sich die beiden Frauen eingehend mit Spezialstoffen, banden Zellers Professor aus dem Studium ein und trafen sich mit Gynäkologinnen. Viele Abende verbrachten sie inmitten eines Berges von Stoffproben. Immer genauer fanden sie heraus, welche Eigenschaften ein Slip haben muss, um Blut aufzusaugen, ohne sich dabei wie ein nasser Badeanzug anzufühlen.

Nach unzähligen Tests hatten sie eine zufriedenstellende Kombination gefunden. Sie sprachen mit einer Agentur für Produktionsentwicklung, die auf nachhaltige Waren spezialisiert ist. Ein Prototyp wurde entworfen. Um faire Arbeitsbedingungen und eine besonders hohe Qualität zu gewährleisten, sorgten sie selbst für die Stoffe und fanden eine Näherei in Portugal für die Produktion. Parallel entwickelten sie die Marke. Wofür steht unser Unternehmen? Was soll die Wäsche uns und den Kundinnen bedeuten? Wie ist der Auftritt, die Sprache? All das konnten die Gründerinnen beantworten, bevor die Produktion begann.

Die Gründerinnen von ooia, Dr. Kati Ernst und Kristine Zeller

Kristine Zeller (links) und Dr. Kati Ernst möchten mit ihrem Unternehmen ooia die Bedürfnisse von Frauen in den Mittelpunkt rücken, die tabuisierte Periode ist dafür ein guter Anfang.

Erschwerte Finanzierung für Frauen

Unter dem Namen ooshi, der später zu ooia wurde, starteten sie. „Es war ein Vorteil, dass wir nicht in einem sehr jungen Alter gegründet haben. Die GmbH konnten wir mit Erspartem finanzieren, und da wir beide aus Doppelverdiener-Haushalten kommen, waren wir nicht sofort auf ein Gehalt angewiesen. Für die erste Linie aber brauchten wir einen Vorschuss. Dazu haben wir die zukünftigen Käuferinnen eingebunden und eine Crowdfunding-Kampagne gestartet. 10.000 Euro wollten wir in einem Monat einwerben. Bereits am ersten Tag kamen 15.000 Euro zusammen – und da wussten wir, dass wir an etwas Großem dran sind“, schildert Kristine Zeller.

Um weiter zu wachsen, brauchte ooia jedoch mehr Kapital. Hier half der GründungsBONUS der Investitionsbank Berlin (IBB). Ein externer Investor ist eine weitere Möglichkeit. Doch wie stark die Entscheidung dafür vom Geschlecht beeinflusst ist, erfuhren die Unternehmerinnen bei ihrem Auftritt in der Start-up-Show „Höhle der Löwen“. Hier wurde ihnen geraten, weibliche Investoren zu suchen, da es um Produkte für Frauen gehe. Eine Aussage, die Kati Ernst noch immer stört. „Wir machen innovative und fair hergestellte Produkte für die Hälfte der Weltbevölkerung, da gibt es eine Nachfrage, und da stecken Gewinne drin. Es ist aber schwierig, das auf die Tagesordnung zu bringen und einem Konzernchef zu erklären, warum die Themen Menstruation, weibliche Libido und Menopause jetzt das neue Ding sind. Es interessiert Männer schlicht weniger, wenn es ihr persönliches Leben nicht berührt. Das muss sich ändern.“

Männer sind nicht nur als Investoren, sondern auch als Gründer überrepräsentiert. Nur etwas mehr als ein Drittel der Unternehmen werden von Frauen gegründet, wie der KfW Gründungsmonitor feststellt. An den skalierbaren digital orientierten Start-ups beträgt ihr Anteil laut Female Founders Monitor lediglich knapp 16 Prozent. Außerdem kommen Frauen schwer an Geld. Das bestätigt auch Kristine Zeller und erzählt, wie sie ooia als Türöffner nutzen, um darüber zu sprechen: „Wir stellen unser Unternehmen oft auf Veranstaltungen vor, wo wir darauf hinweisen, dass für Gründerinnen der Zugang zu Unternehmensfinanzierungen der öffentlichen Hand erschwert ist. Zudem erhalten sie weniger Risikokapital, und auch Business Angels investieren nur zögerlich. Es wird so viel über die Frauenquote in Führungsetagen diskutiert, wo bleibt die Verpflichtung, ihnen auch einen gerechten Anteil am Venture Capital zu geben?“

KfW Award Gründen

Der KfW Award Gründen zeichnet in jedem Jahr 16 Landessieger und einen Bundessieger für ihre Geschäftsideen aus.

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In drei Schichten zum Erfolg

ooia hat es ohne Investoren geschafft. Seit 2018 ist die Unterwäsche auf dem Markt. Es gibt sie in den Größen XS bis XL, in unterschiedlichen Schnitten in schwarz und rot, mit Spitze oder Leopardenmuster. Schnell kam auch eine Edition für Teenager hinzu. Bei allen Artikeln ist eine dünne, dreilagige Membran im Schrittbereich eingearbeitet. Zuerst saugt weiche Merinowolle die Flüssigkeit vom Körper weg, die zweite Schicht nimmt sie auf, und die dritte verhindert ein Auslaufen. Slips für die normale Periode speichern so viel Blut wie drei Tampons, die saugstärkeren Modelle nehmen fast die doppelte Blutmenge auf. Sie sind einfach zu waschen, lange haltbar und vermeiden damit jede Menge Müll, der durch herkömmliche Hygieneprodukte entsteht.

Für alle Materialien und ihre Herstellung gelten strengste ökologische und ethische Kriterien, das renommierte Hohenstein Institut hat die bakterienhemmende Wirkung bescheinigt. Mehr als alle Siegel jedoch sind die Kundinnen ein Gradmesser. „Wir haben vor einem Jahr mit zitternden Händen eine unabhängige Bewertungsplattform in den Onlineshop eingebunden. Die Bewertungen sind super. Frauen berichten oft, wie viel freier und natürlicher sie sich während ihrer Menstruation fühlen. Genau das möchten wir erreichen!“, freut sich Kristine Zeller. Auf allen Kanälen informiert ooia nicht nur über die Produkte und die Periode, der Auftritt wird auch für Themen rund um Female Empowerment genutzt. Das ist auch sichtbar, indem die Models nicht mit Idealmaßen trumpfen.

Zuwachs im Portfolio

Die Gründerinnen führen heute ein Unternehmen, in dem alle 16 Mitarbeiterinnen orts- und zeitunabhängig arbeiten können. Auch das ist Teil ihrer Mission. Sie möchten Arbeitsplätze schaffen, die sich dem Leben anpassen – nicht umgekehrt.

Kürzlich hat ooia einen Still-BH mit einer für die Slips entwickelten Technologie auf den Markt gebracht. Er nimmt überschüssige Milch auf und ersetzt damit Stilleinlagen. Eine weitere Marke ist entstanden: Unter dem Namen „Ida’s Place“ wird modische Unterwäsche für Frauen mit Blasenschwäche angeboten. „Mindestens jede zehnte Frau ist von Inkontinenz betroffen. Zeit, auch darüber zu reden und bessere Lösungen zu haben“, sagt Kati Ernst.

Auf KfW Stories veröffentlicht am 25. November 2020.