Gewächshaus von Selecta Kenya
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Wachstumstreiber aus Kenia

Am Rande von Stuttgart wachsen Stecklinge aus Kenia zu Jungpflanzen heran. Dass auch die schwäbische Gartenbaufirma Selecta one gedeiht, liegt vor allem an ihrem Brückenschlag zum afrikanischen Kontinent.

Viele Unternehmen wachsen – der deutschen Wirtschaft geht es erfreulich gut. „Aber wenn wir wachsen, ist das wörtlich zu begreifen“, sagt Per Klemm. Als Geschäftsführer des Gartenbaubetriebs Selecta one hat er täglich mit Pflanzen zu tun. „Und je mehr davon wachsen sollen, desto mehr muss auch die Fläche zunehmen, auf der wir produzieren.“ Wer den Stammsitz des Familienunternehmens in Stuttgart besucht, muss deshalb der Innenstadt den Rücken kehren: Im Stadtteil Mühlhausen ist genug Platz für die Gewächshäuser, Außenflächen und Verwaltungsgebäude des Unternehmens.

Per Klemm führt das Unternehmen gemeinsam mit seinem Zwillingsbruder Nils Klemm und mit Ulrich Sander. Der Mittelständler produziert Beet- und Balkonpflanzen, Stauden, Gräser und Schnittblumen – aber längst nicht nur in Deutschland. 2.500 Mitarbeiter sind an elf Standorten weltweit für die Unternehmensgruppe tätig. Im warmen Klima von Kenia, Uganda und Teneriffa ziehen sie Stecklinge, also unbewurzelte Jungpflanzen, die später in Stuttgart bewurzelt und anschließend an mehrere Tausend Gärtnereien und Großhandelskunden weltweit geliefert werden. Dieses Vorgehen mache auch für die Umwelt Sinn, denn, so Per Klemm: „Untersuchungen der Hochschule Weihenstephan-Triesdorf zeigen, dass die Jungpflanzenphase den geringsten Anteil am gesamten „Kohlendioxid Fußabdruck“ für unsere Produkte ausmacht. Eine Produktion der Stecklinge unter deutschen Klimabedingungen würde deutlich mehr Energie verbrauchen.“

Außengelände von Selecta Kenya
Blütenmeer

Am Stuttgarter Stammsitz werden aus den Stecklingen prachtvolle Pflanzen.

Bevor aus den Stecklingen prachtvolle Pflanzen wie Nelken oder Adventssterne werden, müssen sie in Stuttgart durch die Qualitätskontrolle. In einem der 100 Meter langen Gewächshäuser sind die zarten Pflänzchen deshalb auf nicht enden wollenden Tischen aufgereiht. 135.000 Stecklinge finden auf jedem dieser Tische Platz. Zu jeder Charge gehört ein gelbes Etikett, das darüber informiert, woher die Stecklinge kommen und wer sie geerntet hat. Eines der Etiketten zeigt, dass die Stecklinge, aus denen später Geranien werden sollen, einen weiten Weg hinter sich haben: Sie stammen aus Kenia, wo Selecta 1999 einen Produktionsstandort in der Nähe der Hauptstadt Nairobi eröffnet hat. Bis zu 1.300 Mitarbeiter bewirtschaften Produktionsflächen, die im Laufe der vergangenen Jahre auf insgesamt 18,5 Hektar angewachsen sind.

Dass Selecta beim Ausbau der Produktionsstätten in Afrika mit der KfW-Tochter DEG – Deutsche Investitions- und Entwicklungsgesellschaft mbH zusammenarbeitet, sei glücklichen Umständen zu verdanken, erzählt Per Klemm. Er erinnert sich, dass er im Flugzeug mit einem kenianischen Kunden ins Gespräch kam, der von der DEG erzählte. Er empfahl Klemm, mit Eric Kaleja zu sprechen, dem damaligen Leiter des DEG-Außenbüros in Nairobi. Dazu ergab sich bald die Gelegenheit und so begann eine Zusammenarbeit, die die Verbindung der deutschen Firma mit ihrem kenianischen Standort weiter stärken sollte. Üblicherweise sind die Darlehen der DEG größer als bei Selecta, aber „in unserem Fall hat sie gern drei Millionen Euro bereitgestellt“, erzählt der Geschäftsführer. Selecta habe als deutsches Unternehmen, das schon in der afrikanischen Landwirtschaft aktiv war, optimal in den Fokus gepasst. Das Darlehen, das die DEG dem Gartenbauunternehmen 2014 gewährte, nutzte Selecta für die Erweiterung der Flächen, die Modernisierung von Gewächshäusern und Anlagen sowie für Maßnahmen, die die Arbeit für die Angestellten vereinfachen und die Produktion nachhaltiger gestalten. Eine neue Maschine entfernt beispielsweise Restbestände von Pflanzenschutzmitteln aus dem Wasser, das dann wiederverwendet werden kann.

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Die DEG bietet Unternehmen mehr als nur die Finanzierung von Investitionen. Zusätzlich fördert sie flankierende Maßnahmen, um die entwicklungspolitischen Effekte der Investitionen zu erhöhen, und berät die Unternehmen im Rahmen ihrer Business Support Services beispielsweise zu Themen wie Ressourcen- oder Energieeffizienz. Bei Selecta hat die DEG eine Machbarkeitsstudie mitfinanziert. Diese sollte untersuchen, ob es möglich ist, die Energieversorgung der Farm durch Solarkraft zu unterstützen. Ein erstes Modul mit einer Leistung von 50 Kilowatt ist bereits installiert. Das lohne sich allein schon deshalb, weil sich der Stromtarif in Kenia nach dem Spitzenbedarf richtet. Die Anlage reduziert diesen Bedarf und senkt so die Grundkosten.

„Wesentlich für uns ist auch, dass wir jetzt ein Monitoring darüber haben, wo wir wie viel Energie verbrauchen“, sagt Klemm. Ein Audit hat gezeigt, an welchen Stellen das Unternehmen noch mehr Energie sparen kann. Einige der Vorschläge sind bereits umgesetzt, etwa die Einführung einer LED-Notbeleuchtung. „Jeder kleine Beitrag zur Energieeinsparung hilft“, so Klemm. Außerdem hat die DEG dabei unterstützt, auf der Farm das ‚HER-Project‘ der National Organization of Peer Educators umzusetzen. Die Nichtregierungsorganisation bietet in Ostafrika Gesundheits- und Sozialprogramme für Schulen und Unternehmen an. Bei Selecta werden speziell Frauen beraten. Zipporah Ndunge Suva etwa hat gelernt, wie Krankheiten entstehen, wie man sie erkennt und richtig damit umgeht. Aber auch Familienplanung und Ernährung standen auf dem Lehrplan. „Die Gesundheit unserer Familien hat sich verbessert. Und weil unsere Kinder glücklich sind, sind wir es auch“, sagt die junge Frau, die als Peer Educator das Wissen nun an Kolleginnen weitergibt.

Per Klemm ist Geschäftsführer der Selecta One
„Im Alltag haben wir gelernt, mit Instabilität umzugehen."

Per Klemm, Geschäftsführer Selecta one

Neben dem von der DEG geförderten Projekt bietet Selecta Kenya für alle Mitarbeiter Schulungen zu Technik-, Sicherheits- und Gesundheitsthemen an. Denn viele Arbeiter, die auf der Farm anfangen, bringen zwar ein Grundverständnis für Landwirtschaft mit, haben aber sonst nur wenig Vorbildung. Wichtige Kenntnisse für den Gartenbau erwerben neue Mitarbeiter direkt im Job. Da die Schulungen mündlich erfolgen, profitieren davon auch jene Arbeiter, die nicht lesen und schreiben können. So öffnet das Unternehmen Kenianern mit und ohne Schulbildung die Tore zur Arbeitswelt.

Quelle
Cover Chancen Brücken

Dieser Artikel ist erschienen in CHANCEN Herbst/Winter 2015 "Brücken".

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Voraussetzung für die Arbeit auf der Farm ist ein Mindestalter von 18 Jahren. Je nach Dauer der Betriebszugehörigkeit verdienen die Mitarbeiter im Schnitt 10.000 Kenia-Schilling – 25 Prozent mehr, als gesetzlich für Arbeiter in der Landwirtschaft vorgeschrieben ist. Hinzu kommt eine Reihe von Sozialleistungen wie warme Mahlzeiten oder die Möglichkeit, sich in einer Krankenstation auf der Farm behandeln zu lassen. Ein Bus-Shuttle bringt die Mitarbeiter außerdem sicher vom knapp sieben Kilometer entfernten Highway zur Farm. Sonst müssten sie den Weg zu Fuß zurücklegen oder Geld für ein Fahrrad- oder Motorradtaxi ausgeben. Politisch und sozial gebe es große Unterschiede zu anderen Standorten, so Per Klemm, der alle acht Wochen vor Ort ist. Vor Wahlen seien die Menschen oft unsicher und angespannt. Zudem müsse er wegen der hohen Kriminalitätsrate im Land auch höhere Anforderungen an Sicherheits- und Kontrollsysteme stellen als anderswo.

„Im Alltag haben wir aber gelernt, mit Instabilität umzugehen.“ Und auch mit den Gegensätzen, die das Land ausmachen. Er freut sich, seinen Mitarbeitern in Kenia eine Perspektive bieten zu können und weiß, was er seinen Mitarbeitern verdankt: „Die Möglichkeiten, die wir in Afrika haben, sind eine wesentliche Grundlage für das weitere Wachstum unseres Unternehmens.“

Auf KfW Stories veröffentlicht am: Mittwoch, 19. April 2017

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Alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen verabschiedeten im Jahr 2015 die Agenda 2030. Ihr Herzstück ist ein Katalog mit 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung, den Sustainable Development Goals (SDGs). Unsere Welt soll sich in einen Ort verwandeln, an dem Menschen ökologisch verträglich, sozial gerecht und wirtschaftlich leistungsfähig in Frieden miteinander leben können.