Bis zu 700.000 Patienten infizieren sich jedes Jahr während eines Klinikaufenthalts mit Keimen. Um zu überprüfen, ob Krankenhausmitarbeiter ihre Hände oft und gründlich genug desinfizieren, setzt GWA Hygiene auf künstliche Intelligenz.
Video: GWA Hygiene entwickelt intelligente Sensoren (KfW Bankengruppe/n-tv).
Ein strenger Wind pfeift von der Ostsee um das Stralsunder Innovations- und Gründerzentrum. In dem nüchternen Gebäude ist das Unternehmen GWA Hygiene knapp sechs Jahre nach seiner Gründung der größte Mieter im Gebäude, die Räume sind auf drei Stockwerke verteilt. Maik Gronau, einer der Gründer, führt seine Besucher über viele Treppen und Flure durch das Start-up mit 31 Mitarbeitern.
Im Lager im Erdgeschoss sind gerade Hunderte von runden bluetoothfähigen Sensoren angeliefert worden. Sie wurden in einer Stralsunder Behindertenwerkstatt montiert und können an die Kleidung geklemmt werden. Das Plastikteil wirkt unscheinbar. Doch in seinem Inneren versteckt sich eine hochkomplexe Monitoring-Software – künstliche Intelligenz zur Optimierung der Handhygiene. Mit ihr sieht man auf einen Blick, wo wie viel Desinfektionsmittel verbraucht wird.
Der Sensor erfasst die Daten der Desinfektionsmittelspender in Kliniken. Betätigt man den Hebel, gibt der Spender circa 1,5 Milliliter Flüssigkeit frei. Zwei bis drei Sprühstöße sollten es sein, um die Hände gründlich zu desinfizieren: Fingerkuppen, Handgelenke, die Zwischenräume der Finger. Der Sensor erkennt, ob der Griff ausreichend stark und tief gedrückt wurde – damit kann er den genauen Verbrauch errechnen.
Maik Gronau berichtet, wie er auf die Idee für diese Entwicklung kam, die das Gründerteam von GWA Hygiene "NosoEx" getauft hat: "Als Student lag ich im Krankenhaus und habe bemerkt, wie oft sich der Arzt die Hände desinfizierte. Er hat mir von den 'fünf Momenten der Händehygiene' erzählt. Sie schreiben genau vor, wie oft die Desinfektion erfolgen muss. Klar passieren da auch mal Fehler. Die blieben jedoch meist ohne Folgen. Denn das einzige Instrument zur Fehleranalyse waren bis dahin die eingekauften Desinfektionsmittel."
In den Einrichtungen wurde immer nur die Menge des eingekauften Desinfektionsmittels mit den Patiententagen verglichen. Eine etwas einfache Rechnung, fand Gronau, dessen Neugier geweckt war. Er unterhielt sich darüber mit seinem Kommilitonen und späteren Mitgründer Dirk Amtsberg. "Die Lösung erschien uns naheliegend. Es brauchte eine Analysesoftware und Sensoren am Spender, um einen Index des Desinfektionsverhaltens zu ermitteln." Die Analyse verknüpft den Desinfektionsmittelverbrauch mit der Anzahl der vorgeschriebenen Sprühstöße.
Schon mit dem ersten skizzierten Entwurf gewannen sie einen Ideenwettbewerb an ihrer Hochschule. Der Maschinenbau-Absolvent Marcel Walz las auf Facebook davon und lud Gronau und Amtsberg in seine WG ein. Am Ende des Abends stand fest: Daraus wird was! Walz wurde zum Mitgründer und später zum Kopf hinter der Hardware und zum Technologiechef bei GWA. Maik Gronau erinnert sich: "Eigentlich wollte ich schnell fertig studieren, einen Job bekommen und Geld verdienen. Über eine eigene Gründung hatte ich noch nie nachgedacht.“ Lachend fügt er hinzu: "Doch wir hatten so viel Zuspruch, wir konnten gar nicht anders!“
Ein Berater machte das Team auf das Exist-Gründerstipendium des Bundes aufmerksam, das junge Unternehmen in einer frühen Phase der Gründung stützt. Die Förderung in Höhe von 100.000 Euro sicherte das erste Forschungsjahr. Um ihre Idee zu prüfen, statteten die Gründer die gesamte Hochschule Stralsund mit Desinfektionsspendern und einer entsprechenden Sensorik aus. Mit den gesammelten Daten entwickelten sie ihre Software weiter. Gleichzeitig arbeiteten sie an einem Transponder für das Personal, damit eine Zuordnung der Händedesinfektion erfolgen kann.
"Kein Datensatz kann mit einer einzelnen Person in Verbindung gebracht werden“, erläutert Maik Gronau. "Die Mitarbeiter nehmen zu Schichtbeginn einen beliebigen Transponder aus einer Box und geben ihn zum Feierabend wieder ab. Die einzige Zuordnung ist die Berufsgruppe: So tragen beispielsweise Ärztinnen und Ärzte blaue und Pflegende grüne Anhänger. Die Erfassung nach Berufsgruppen ist sinnvoll, weil sie verschiedene Aufgaben haben. Macht ein Arzt nur eine kurze Visite, hat er weniger Desinfektionsvorgänge als jemand, der einen Verband wechselt.“
Vor der Datenerhebung wird das NosoEx-System mit den individuellen Anforderungen der analysierten Einrichtung gefüttert. Hat eine Klinik beispielsweise eine Station mit 500 Betten, werden die Desinfektionsmittelspender gezählt, die Belegung der Patientenzimmer wird eingerechnet und die Anzahl der erforderlichen Desinfektionen – diese kann auf einer Intensivstation höher sein als im Kreißsaal. All dies bildet die Software ab.
Die Einrichtungen erhalten die Auswertungen auf einer leicht verständlichen Systemoberfläche. Hier sehen sie, wie viele der vorgeschriebenen Desinfektionen ordnungsgemäß durchgeführt werden. Ist der Index niedrig, wird – oft zusammen mit den GWA-Kundenberatern – überlegt, wie das Bewusstsein des Personals noch einmal geschärft werden kann. Schulungen können eine der Maßnahmen sein.
Die Finanzierung über Innovationsprogramme des Landes und die ERP-Förderung der KfW sicherte die ersten Jahre zuverlässig ab. Im zweiten Halbjahr 2018 stiegen der High-Tech Gründerfonds (HTGF) und weitere Geldgeber mit 2,5 Millionen Euro ein. "Ein Teil der Mittel des HTGF fließt in Unternehmen aus den Bereichen Med-Tech, Digital Health, Pharma und Chemie“, erklärt Marco Winzer, Partner beim HTGF. "Wir sehen uns als Plattform“, sagt er und betont, dass Start-ups beim HTGF nicht nur eine Finanzierung erhalten, sondern auch vom Know-how und von der Expertise des gesamten Netzwerks und der Fondsinvestoren profitieren können.“
Ein Schlüssel zum Erfolg war es, dass die branchenfremden Gründer ihre Lösung konsequent am Bedarf der Kunden ausgerichtet haben. Sie musste leicht in den Alltag und in bestehende Systeme integriert werden können, einfach zu handhaben und günstig sein. Heute gibt es zwei Vertriebswege: "Wir stellen unser System den Einrichtungen vor, und wir kooperieren mit den Herstellern der Desinfektionsmittel. Sie stehen in einem großen Preiswettbewerb zueinander und bieten unsere Lösung als Mehrwert beim Verkauf ihrer Produkte mit an“, erklärt Maik Gronau.
Das Team aus Entwicklern, Ingenieuren und Betriebswirten hat sein Angebot in 35 Gesundheitseinrichtungen im deutschsprachigen Raum und in elf weiteren europäischen Ländern installiert. Auch in Lateinamerika, im Nahen Osten und in Asien besteht Interesse. Gleichzeitig wird das System stetig weiterentwickelt, und neue Produkte werden patentiert: zum Beispiel ein mobiler Desinfektionsmittelspender mit integriertem Sensor. Auch die Beratung wird wichtiger. "Wir wollen zum digitalen Assistenten für Krankenhaussysteme werden und einen Beitrag zum Smart Hospital leisten“, sagt Tobias Gebhardt. Maik Gronau ergänzt: "Ich bin ja eher zufällig zum Gründer geworden. Aber so ein Start-up ist cool! Wir tun hier etwas, das wichtig ist und herausfordernd. Gemeinsam den Gesundheitsmarkt umzukrempeln, das macht uns allen unheimlich viel Spaß.“
Auf KfW Stories veröffentlicht am 19. April 2019, aktualisiert am 11. Juni 2021
Zu diesen Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen leistet das dargestellte Projekt einen Beitrag
Ziel 3: Gesundes Leben für alle
Gesundheit ist gleichzeitig Ziel, Voraussetzung und Ergebnis von nachhaltiger Entwicklung. Ihre Förderung ist ein Gebot der Menschlichkeit – sowohl in den Industrie- als auch in den Entwicklungsländern. Weltweit leben etwa 39 Prozent der Weltbevölkerung ohne Krankenversicherung, in einkommensarmen Ländern sind es sogar mehr als 90 Prozent. Immer noch sterben viele Menschen an Krankheiten, die bei richtiger Behandlung nicht tödlich verlaufen müssten oder mit Impfungen einfach zu verhindern wären. Mittels Stärkung der Gesundheitssysteme und insbesondere einer breiten Verfügbarkeit von Impfstoffen kann es uns gelingen, diese Krankheiten bis 2030 zurückzudrängen und sogar auszurotten. Quelle: www.17ziele.de
Alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen verabschiedeten im Jahr 2015 die Agenda 2030. Ihr Herzstück ist ein Katalog mit 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung, den Sustainable Development Goals (SDGs). Unsere Welt soll sich in einen Ort verwandeln, an dem Menschen ökologisch verträglich, sozial gerecht und wirtschaftlich leistungsfähig in Frieden miteinander leben können.
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