Im Kölner Stadtteil Nippes errichtete eine Baugruppe zwei skulpturale Ziegelhäuser mit 17 Wohnungen im Passivhausstandard. Dafür bekam „Energie+“ den dritten Preis in der Kategorie „Neubau“ beim KfW Award Bauen 2021.
Die Clouth-Werke waren eine Stadt in der Stadt, mitten in Nippes im Kölner Norden. Gummi wurde dort hergestellt, und das roch man auch. Als die Fabrik im Jahr 2005 aufgab, übernahm eine städtische Tochtergesellschaft die 15 Hektar belastetes Land. Clouth wurde zum „Quartier“, wo am Ende 1.200 Menschen wohnen und 500 Arbeitsplätze entstehen sollen.
Weil mittlerweile viele Städte gute Erfahrungen mit Baugemeinschaften machen, reservierten die Entwickler zehn Grundstücke für diese Zielgruppe. Unter den 25 Bewerbern war auch die Baugruppe „Energie+“. Deren treibende Kraft: der Ingenieur Markus Pfeil, profilierter Experte für ganzheitliche Energiekonzepte und Architekturprofessor an der Architekturhochschule in Münster. Mit einer Reihe von Freunden holte er Zeller Koelmel Architekten als erste Planer ins Team, da das Büro schon mehrere anspruchsvolle Projekte für Baugruppen realisiert hatte und Klaus Zeller selbst in einem von diesen wohnt. Später berieten Jost Consult und Helga Nissen das Team.
Effiziente Architektur
(Quelle: KfW/ntv)
Das Grundstück, das die Gruppe schließlich erwerben konnte, liegt an der Nordostecke des Areals und umfasst auch das denkmalgeschützte Pförtnerhaus der Fabrik, ein Kleinod aus Ziegelstein und Glas mit einem eleganten Betondach davor, das Architekten ein „Flugdach“ nennen.
Da die hier vorbeiführende Xantener Straße viel befahren ist, riegelt ein länglicher Baukörper das Quartier dorthin ab. Zum Park auf der Ostseite schrieb der Bebauungsplan indes frei stehende, würfelförmige Häuser vor. Also besteht Energie+ aus zwei unterschiedlichen Gebäuden, die jedoch auf einem gemeinsamen Kellergeschoss errichtet wurden und sich zudem mit der Nachbarbaugruppe die Tiefgarage teilen.
Der Energie-Aspekt mag namensgebend sein, wirkt aber nicht unangenehm dominant wie bei manchen Hightech-Projekten. Zur Ganzheitlichkeit des Konzepts, auf die sich die Gruppe in wöchentlichen Sitzungen einigte, gehörten auch flexible, familienfreundliche Grundrisse, ein abgestuftes Freiraumkonzept mit individuellen Balkonen und einem Gemeinschaftsgarten sowie ein städtisches Erscheinungsbild der Bauten.
Teure Rundungen
Dabei greift die Architektur Elemente der alten Fabrikbauten und des Viertels auf: Lochfassaden aus Ziegelstein, vorspringende Betondächer und vor allem: abgerundete Ecken. Rundungen sind in der modernen Architektur tatsächlich nur noch extrem selten zu finden, weil ihre Herstellung arbeitsaufwendig, also teurer ist.
Hier gelang es den Architekten, das charakteristische Eckdetail durch eine pfiffige Konstruktion vor dem Rotstift zu retten. Denn anders als im übrigen Quartier, wo die im Bebauungsplan geforderten „keramischen Oberflächen“ an den Wänden nur vorgeblendet sind, besteht Energie+ komplett aus 49 Zentimeter starkem Ziegelmauerwerk, dessen Hohlräume mit Mineralwolle ausgefüllt sind.
Diese Tragschicht ist außen mit sogenannten Klinkerriemchen verkleidet, senkrecht stehenden kleinen Ziegelplatten. Zierlich, wie die sind, machen sie jede Kurve mit. Und weil sie umgekehrt, also mit der profilierten Rückseite nach außen, verlegt sind, bekommt die Fassade sogar eine ganz aparte Struktur. „Kannelur“ nennen das die Fachleute, wie bei klassischen Säulen. Darauf muss man erst einmal kommen. Diese besondere Struktur trägt dazu bei, dass die Häuser so wirken, als hätten sie schon lange dagestanden. Wenn Stadtplaner heute von „Adressbildung“ reden, meinen sie solche Charakteristika, die unverwechselbar sind.
Originelle Details
Im Übrigen leistete sich die Gruppe aber keinen Luxus und keinen modischen Firlefanz. Die Fenster tanzen hier nicht wild aus der Reihe wie bei manchen anderen Baugruppen. Architekt Klaus Zeller setzte durch, dass es rings um die Häuser nur zwei stehende Fensterformate gibt: ein schmales für die Nebenräume und ein breiteres für die Wohnräume, beide mit Brüstung. Die sonst so beliebten bodentiefen Fenster gibt es nur an den Balkonen, dort aber schön groß. Der Glasanteil an den Außenflächen liegt deshalb dann doch bei 22 Prozent. Diese Trennung von klassischer Lochfassade und eher verborgener Flächenverglasung unterstützt den „Retro-Look“ der zwei Gebäude, denn früher waren die Fenster generell kleiner.
Und nebenbei gelingt auf diese Weise das, was die Bauphysiker „Verlustminimierung“ nennen: Die Energie bleibt im Haus. Als Mittel gegen zu viel Sonneneinstrahlung und neugierige Blicke erinnerte sich Zeller an ein Detail, das er an Pariser Mietshäusern gesehen hatte: feine metallene Klappläden, die außen vor den Fenstern angebracht sind und Platz für die Blumenkästen lassen. So ist es in den Räumen nie ganz dunkel –und wer will, kriegt durch den Spalt noch mit, was sich im Hof abspielt. Zum nächtlichen Lüften seien die perforierten Metallklappen ideal, hört man aus der Bewohnerschaft.
Kontrollierte Lüftung
Selbstverständlich kommt ein Passivhaus nicht ohne eine kontrollierte Lüftung aus, um die Energie der verbrauchten Luft durch Wärmerückgewinnung im Haus zu halten. Doch auch hier setzten Markus Pfeil und Klaus Zeller auf einfache, dezentrale Geräte – in jeder Wohnung gibt es eines. Die Außenluftöffnungen sind unauffällig in die metallenen Fensterlaibungen der Nebenräume integriert, die Kanäle in die Betondecken eingelassen. So blieb das gesamte, angenehm hohe Deckenmaß von 2,72 Metern erhalten – auch das erinnert ein bisschen an die beliebten Altbauten der Gründerzeit.
Die wenige nötige Heizwärme bezieht die Gemeinschaft aus dem städtischen Fernwärmenetz – das war Pflicht im Clouth-Quartier. Der Strom dagegen wird zu einem guten Teil von den 237 Quadratmetern Photovoltaik-Modulen auf den Dächern generiert. Vom Hof aus werden sie von der eleganten Dachkrempe verborgen – niemand guckt ja im Stadtraum gern auf diese Glitzerplatten. Weil das Baubudget nicht für eine hauseigene Lösung reichte, verpachtete man das Dach an eine Mieterstromgenossenschaft, an der einige der Haushalte beteiligt sind.
Teilbare Wohnungen für alle Fälle
Nachhaltig im besten Sinne ist am Projekt auch die eingeplante Flexibilität. Wer wollte – und das waren einige – konnte seine Wohnung teilbar anlegen. Künftige Türdurchbrüche erübrigen sich dann, die Versorgungsleitungen sind entsprechend vorbereitet. Im Projekt wohnen ja überwiegend junge Familien, bei denen absehbar, ist, dass sich die Haushaltsgröße schon in den nächsten zehn, zwanzig Jahren ändern wird. Um einen Umzug kommt man auf diese Weise womöglich herum. Zwei kleine Wohnungen hat die Hausgemeinschaft schon heute vermietet. In einer wohnt von Anfang an ein inzwischen 80-jähriger Rentner und ist inmitten der doch überwiegend jungen Gruppe sehr zufrieden.
Die geräumigen Balkone wurden nicht wie heute üblich außen an die Häuser aufgesetzt, sondern sind als halbe Loggia geschickt in die Ecken der Baukörper eingelassen. Das macht sie zu luftigen, aber auch geschützten grünen Räumen, zumal zum angrenzenden Park hin. Wo an den Fassaden die Treppenhäuser liegen, klimmt und klettert das Grün an hölzernen Rankgerüsten hinauf. Die Treppen innen wurden rationell aus Fertigteilen gefügt, aber, wie die Häuser als Ganzes, bis ins Detail einfach schön abgerundet.
Dünger für die Gruppe
Mitbewohner Johannes Böttger ist Landschaftsarchitekt und steuerte fachkundig die Gestaltung des Außenraumes. Obstbäume und heimische Stauden umkränzen die Häuser und nehmen ihnen den letzten Anflug von Strenge, die sowieso schon von den vielen Zutaten der Bewohnerschaft gedämpft wird. Es gibt hier allein über 20 Kinder. Aber auch die Erwachsenen treffen sich gern im Hof und haben dafür Bänke und Mäuerchen eingeplant. Und wenn es draußen ungemütlich ist, gibt es ja noch das Pförtnerhäuschen, zum Beispiel für Kindergeburtstage.
Spätestens zu den sogenannten „Subotniks“, unbezahlten Arbeitseinsätzen, trifft sich die Hausgemeinschaft mehrmals im Jahr. Für Architekt Klaus Zeller ist das „Dünger für die Gruppe“. Weitere „Sozialmotoren“, wie der erfahrene Baugruppen-Planer das nennt, sind die diversen Arbeitsgemeinschaften, die aus der Planungszeit überdauert haben und eine externe Hausverwaltung erübrigen. Schließlich sind wir in Köln – da gibt es stets irgendeinen Anlass für eine freundlich-lässige Geselligkeit.
Das Projekt in Stichworten
Projekt: Zwei Baugemeinschaftshäuser auf ehemaligem Industriegelände
Lage: 50733 Köln
Baujahr: 2018
Bauherr: Energie+ Baugemeinschaft
Architekt: Klaus Zeller, ZellerKoelmel Architekten, Köln; David Runkel, MarinBöttcheru. a.n
Projekt Website: www.zeller-koelmel.eu
Energiekonzept: Markus Pfeil, PKi Pfeil & Koch ingenieurgesellschaft, Köln
Freiflächengestaltung: Urbane Gestalt, Köln
Projektsteuerung: Jost Consult, Münster
Rechtsberatung: Helga Nissen, Hilden
Wohnfläche: 1.790 Quadratmeter
Grundstück: 2.105 Quadratmeter
Qualitäten für die Bewohner: Urbanes, nachhaltiges Wohnen in verlässlicher Gemeinschaft direkt am Park
Qualitäten für die Gesellschaft: Wiedernutzbarmachen ehemaliger Industrieflächen als urbanes Wohngebiet
Energiesparen: reine Ziegelbauweise, effiziente Lüftung, Passivhausstandard, Photovoltaik-Anlage
Auf KfW Stories veröffentlicht am 26. Oktober 2021.
Zu diesen Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen leistet das dargestellte Projekt einen Beitrag
Ziel 11: Nachhaltige Städte und Siedlungen
Schon heute lebt mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten. Doch Städte heizen die Erderwärmung an. Sie sind für jeweils rund 70 Prozent des Energieverbrauchs und der energiebezogenen Treibhausgasemissionen verantwortlich. Dichter Verkehr, intensive Bautätigkeit bei gleichzeitig starker Zersiedelung, hoher Energiebedarf und enorme Mengen an Müll und Abwässern: In den Städten trifft alles aufeinander. Ihre große Dichte macht Städte aber auch zum idealen Ansatzpunkt beim Kampf gegen den Klimawandel. Denn sie können in großem Maßstab Ressourcen schonen und Nachhaltigkeit vorleben, etwa dank flächensparender und kompakter Stadtstrukturen, emissionsarmer Verkehrssysteme, energieeffizienter Gebäude und einer geregelten Abfallentsorgung. Quelle: www.17ziele.de
Alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen verabschiedeten im Jahr 2015 die Agenda 2030. Ihr Herzstück ist ein Katalog mit 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung, den Sustainable Development Goals (SDGs). Unsere Welt soll sich in einen Ort verwandeln, an dem Menschen ökologisch verträglich, sozial gerecht und wirtschaftlich leistungsfähig in Frieden miteinander leben können.
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