In Chemnitz bewahrten zwei Architekten und ihr Partner ein seit 30 Jahren leer stehendes Mietshaus vor dem weiteren Verfall und machten daraus originelle, trendige Lofts. Für diese Pioniertat bekamen sie den dritten Preis in der Kategorie „Bestand“ beim KfW Award Bauen 2021.
(Quelle: KfW/ntv)
„Ich habe noch nie erlebt, dass ein Stadtteil von außen derart anders wahrgenommen wird als von der Bevölkerung selbst“, sagt Christian Bodensteiner, Architekt in München. Tatsächlich galt der Sonnenberg in Chemnitz lange Zeit als heruntergekommener Arbeiterkiez. Noch heute stolpert man in den Straßen bisweilen über Spuren der Verwahrlosung. Doch Fachleute erkennen: Zentral hinterm Hauptbahnhof gelegen, bietet das Viertel eine zwar noch nicht komplett sanierte, aber fast geschlossen erhaltene Gründerzeitbebauung.
„Dieses Viertel hat Zukunft“, ist Bodensteiner überzeugt. Auch die Denkmalpflege stufte den Kiez mittlerweile als schützenswert ein. Als sich bei einer Zwangsversteigerung die Gelegenheit bot, ein schmales Mietshaus in einem der großen Blöcke auf dem Sonnenberg für wenig Geld zu erwerben, griff Bodensteiner zu. Mit seiner Büropartnerin Annette Fest und dem befreundeten Politologen Daniel Stroux trat der Architekt, der bislang nur für andere geplant hatte, erstmals selbst als Investor auf.
Zwar hatten die drei Partner lange nach einem noch unsanierten Gebäude gesucht, das weitestgehend im Originalzustand erhalten war, doch beim Anblick des seit 30 Jahren verfallenden Objekts war dann doch eine ausgeprägte Vorstellungskraft vonnöten: Das Dach löchrig, die Dielenböden lückenhaft, mit Bäumen auf Gesimsen und Moos an den Wänden, fiel das vierstöckige Gebäude nur wegen seines steinernen Treppenhauses nicht zusammen – und weil rechts und links noch solidere Nachbarn standen. „Für uns war das total neu“, sagt Bodensteiner heute. Es war indes gerade der ruinöse Zustand der Immobilie, der die Gestalter zu einem Experiment inspirierte: der „Casa Rossa“.
Flair des Unperfekten
Das 1910 errichtete Haus bestand nämlich aus bis zu 60 Zentimeter starken, massiven Ziegelwänden, hellrot und im sogenannten „Reichsformat“. Diese Struktur legten die Planer frei und machten sie zum Thema der Sanierung. In einer immer glatter und aseptischer werdenden Konsumwelt versprechen raue, „ehrliche“ Oberflächen tatsächlich Aufmerksamkeit. Trendsetter haben das längst erkannt und setzen die Patina alter Gemäuer in Szene. In einem Mietshaus galt das indes als gewagt, zumal in einem Kiez, der immer noch genügend echte Ruinen kennt und lange auf der Kippe stand. Die Architekten blieben allerdings bei dem Konzept und verstehen sich darin durchaus als Pioniere.
„In der Rohbauphase kommen einem auch mal Zweifel, wie weit man da gehen kann“, gesteht Bodensteiner zwar. „Wenn dann aber das Parkett liegt, ist der Kontrast wohltuend, und die Ziegelwand hat nichts von ihrer Kraft eingebüßt. Den Wohnungen gibt dieses Flair des Unperfekten eine Note, die es nur im Altbau geben kann.“
Neuer Dachstuhl
Nachdem die Ruine entkernt und Stück für Stück mit neuen Ziegeleinhangdecken, aber alter Deckenhöhe von drei Metern wieder aufgebaut war, befreite man die Wände vom bröselnden Putz und legte in den Obergeschossen je zwei Wohnungen zusammen. Hatte das Haus bis dahin Aborte auf halber Treppe, so schlug man diese Räume beim Neubau der Decken als schmale Bäder den Wohnungen zu. Aus der Badewanne geht der Blick nun in die Krone eines Ahornbaumes im Hof.
Unter dem neuen, angehobenen Dachstuhl entstand eine Maisonette-Wohnung mit Balkon und Dachterrasse, und im Parterre gibt es zwei kleine Wohnungen. Von 46 bis 168 Quadratmetern reicht damit das Angebot, und jede Wohnung ist anders. In der ersten Etage baute man alle original erhaltenen Türen wieder ein. Sorgsam aufgearbeitet, geben sie der Wohnung das Thema „Es war einmal“. Im dritten Stock entstand ein spektakuläres „Brick Loft“ mit einem 55 Quadratmeter großen Wohnraum, dessen rohe Ziegelwand sich über die gesamte Hausbreite erstreckt.
Die Ziegelwände, großteils original erhalten, teils auch aus den Abbruchziegeln neu hochgemauert, sind durch eine helle Lasur geschützt, an der Fassade zusätzlich hydrophobiert, also mit einem wasserabweisenden Überzug versehen. Dennoch lassen sich die Spuren aus 110 Jahren Benutzung noch an vielen Stellen gut ablesen.
Gut versteckter Wärmeschutz
Patina gut und schön, doch wo bleibt der Wärmeschutz, mag mancher fragen. Tatsächlich gelang es den Architekten, durch hochgedämmte Fenster samt neuen, eleganten Umrahmungen und Laibungen sowie die zusätzlich isolierte und verputzte Rückwand am Hof den Wärmeschutz so zu verbessern, dass die Konstruktion dem KfW-100-Standard genügt. Ins neue Dach wurden zu diesem Zweck zudem dick Zelluloseflocken eingeblasen. Die Schlaufen der Fußbodenheizung sind enger als üblich verlegt. Die von Solarkollektoren auf dem Dach unterstützte Gasheizung kann darum mit niedriger Vorlauftemperatur arbeiten – auch eine Energieersparnis.
Die Mieter jedenfalls, durchgängig junge Leute, sind sehr zufrieden mit dem trendigen Ambiente. Rick Podszuweit bewohnt das Brick Loft und meint: „Das Haus fällt hier im Quartier schon ziemlich aus dem Rahmen.“ Nach zahlreichen Führungen kann er die Eigenheiten des Hauses schon wie ein Profi erklären.
Mithilfe eines fähigen Bauleiters vor Ort haben die Architekten das Projekt nicht nur durch alle Leistungsphasen betreut, sondern fungieren weiterhin als Vermieter. Mit ihrer Prognose, dass der Sonnenberg Zukunft hat, liegen sie offensichtlich richtig: Ringsum wird rege gebaut. Das Viertel ist im Umbruch.
Das Projekt in Stichworten
Projekt: Sicherung und Sanierung eines Gründerzeithauses mit sechs Wohnungen
Lage: 09130 Chemnitz
Baujahr: 1910/2020
Bauherren: Christian Bodensteiner, Annette Fest, Daniel Stroux
Architekten: bodensteiner-fest, München
Energieberater: Wolfram Kundisch, Chemnitz
Wohnfläche: 578 Quadratmeter
Grundstück: 290 Quadratmeter
Qualitäten für die Bewohner: besondere Mietwohnungen im zentrumsnahen Gründerzeitviertel
Qualitäten für die Gesellschaft: Bewahrung einer urbanen Nachbarschaft
Energiesparen: kein Abriss, sondern Wiederverwendung alter Substanz, was selbstbewusst gezeigt wird
Auf KfW Stories veröffentlicht am 21. Oktober 2021.
Zu diesen Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen leistet das dargestellte Projekt einen Beitrag
Ziel 11: Nachhaltige Städte und Siedlungen
Schon heute lebt mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten. Doch Städte heizen die Erderwärmung an. Sie sind für jeweils rund 70 Prozent des Energieverbrauchs und der energiebezogenen Treibhausgasemissionen verantwortlich. Dichter Verkehr, intensive Bautätigkeit bei gleichzeitig starker Zersiedelung, hoher Energiebedarf und enorme Mengen an Müll und Abwässern: In den Städten trifft alles aufeinander. Ihre große Dichte macht Städte aber auch zum idealen Ansatzpunkt beim Kampf gegen den Klimawandel. Denn sie können in großem Maßstab Ressourcen schonen und Nachhaltigkeit vorleben, etwa dank flächensparender und kompakter Stadtstrukturen, emissionsarmer Verkehrssysteme, energieeffizienter Gebäude und einer geregelten Abfallentsorgung. Quelle: www.17ziele.de
Alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen verabschiedeten im Jahr 2015 die Agenda 2030. Ihr Herzstück ist ein Katalog mit 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung, den Sustainable Development Goals (SDGs). Unsere Welt soll sich in einen Ort verwandeln, an dem Menschen ökologisch verträglich, sozial gerecht und wirtschaftlich leistungsfähig in Frieden miteinander leben können.
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