Staudamm Sidi Saad
Tunesien

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Mehr Wasser, mehr Einkommen

Eine umfassende Modernisierung des Stauwerks von Sidi Saad soll die Bevölkerung im trockenen Zentrum Tunesiens vor plötzlichem Hochwasser schützen und die kontrollierte Wasserversorgung der umliegenden Dörfer sicherstellen. Kleinbauern, Fischer und eine Agrargenossenschaft, gegründet von Landfrauen, profitieren von dem Projekt.

Video: Das Wasserreservoir Sidi Saad sichert die Zukunft der umliegenden Bevölkerung (KfW Bankengruppe/Christian Chua und Thomas Schuch).

Von der Staumauer aus sieht man dem Reservoir Sidi Saad nicht an, dass es mit ihm ein Problem gibt. Es liegt auf dem Grund des Sees und heißt: Sediment. Über die Jahre hat sich auf dem Boden des 1982 angelegten Wasserspeichers so viel Sand angesammelt, dass der Stausee ein Drittel seines Fassungsvermögens von 210 Millionen Kubikmetern eingebüßt hat. Ausbaggern wäre zu teuer, also wird man jetzt die Staumauer sanieren und erhöhen, um längerfristig Abhilfe zu schaffen. Die Statik des 70 Meter hohen Damms lässt eine Erhöhung von bis zu fünf Metern zu. Das soll ein zusätzliches Wasservolumen zwischen 100 und 120 Millionen Kubikmeter bringen. Der Verlust wäre also mehr als ausgeglichen.

Der Sidi Saad, der zu den größten der 30 Stauseen Tunesiens zählt, wirkt wie eine Lebensader. Er hält in Phasen starken Regens Wasser zurück und schützt so vor Überschwemmungen. Auch in Dürreperioden kann er die Bevölkerung mit Wasser versorgen. Die Landwirtschaft gedeiht in dieser Region nur dank Bewässerung.

Staudamm Sidi Saad.

Der Stausee Sidi Saad hat in den vergangenen Jahrzehnten an Fassungsvermögen eingebüßt. Dem soll mithilfe einer Erhöhung des Staudamms entgegengewirkt werden.

Maßnahmen für ein kostbares Gut

Die Erhöhung der Staumauer des Sidi Saad, die die KfW im Auftrag der Bundesregierung mit bis zu 15 Millionen Euro mitfinanziert, gliedert sich damit ein in das von der tunesischen Regierung aufgelegte Programm „Entwicklung des ländlichen Raums mit integriertem Wasserressourcenmanagement“ (IWRM).

Tunesien gehört zu den wasserärmsten Staaten der Welt. In Deutschland fällt beispielsweise durchschnittlich fast dreimal so viel Regen wie in dem nordafrikanischen Land. Der verteilt sich zudem außerordentlich unterschiedlich. Während der Jahresniederschlag im Norden bei etwa 1.500 Millimetern liegt, sinkt er im wüstenreichen Süden auf 150 Millimeter. Im Zentrum des IWRM steht denn auch der Gedanke, Wasser aus dem Norden in die von Landwirtschaft geprägte Mitte des Landes zu leiten. Entsprechende Machbarkeitsstudien sind in Auftrag gegeben.

Um das wertvolle Wasser effizienter nutzen zu können, laufen parallel weitere Vorhaben. So soll die Durchflussgeschwindigkeit des stark überalterten Medjerda-Kanals, der vier Millionen Menschen mit Trinkwasser versorgt, gesteigert, der Wasserverlust im staatlichen Leitungsnetz verringert, sollen Staumauern wie die von Sidi Saad erhöht werden.

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Olivenplantage in der Nähe des Staudamm Sidi Saad, die mit dem Wasser des Sees bewässert wird.

Die Olivenplantagen in der Nähe des Stausees Sidi Saad werden mit dem Wasser des Reservoirs bewässert.

Lebensader für die Landwirtschaft

Sidi Saad liegt im Gouvernement Kairouan im Zentrum Tunesiens. Die gleichnamige Hauptstadt der Region ist ein Touristenziel, ihre Altstadt und die Moschee aus dem 9. Jahrhundert gehören zum Weltkulturerbe der UNESCO. Mit dem Stausee hat sich die ökonomische Situation der Landbevölkerung zwar spürbar verbessert, doch noch immer gehört das Gebiet um Kairouan zu den sehr armen Regionen Tunesiens.

4.600 Hektar werden aus dem Sidi Saad bewässert, dessen Fassungsvermögen etwa dem des hessischen Edersees entspricht. Auf etwas mehr als der Hälfte der bewässerten Agrarflächen betreibt der Staat mit 600 Beschäftigten Landwirtschaft. Den privaten Boden teilen sich 440 Bauern, 80 Prozent von ihnen bewirtschaften weniger als fünf Hektar.

Ein Besuch in dem Weiler El Khol, einer Ansammlung verstreut liegender kleiner Höfe, zeigt, wie abhängig die Landwirte vom Wasser sind. In den steinigen, trockenen, ockerfarbenen Hügeln fallen die bewässerten Parzellen durch ihr sattes Grün auf. Kartoffeln bauen die Kleinbauern an und Bohnen. Kleine Aprikosenbäume stehen dazwischen. Und Oliven wachsen hier wie in vielen Teilen des Landes. Tunesien gehört zu den fünf größten Olivenölexporteuren der Welt. Bewässerte Olivenbäume, sagen sie in El Khol, tragen fünfmal so viel wie nicht bewässerte. Mit fünf anderen Dörfern in Zentraltunesien gehört El Khol zu einem Projekt, das die Situation der ländlichen Bevölkerung verbessern soll. 12 der 17 Millionen Euro, die das Vorhaben kostet, hat die KfW aus Mitteln der deutschen Bundesregierung zur Verfügung gestellt. Damit werden die nur vom Regen gespeisten Kleinstwasserspeicher der Orte saniert, Pisten befestigt, Flächen aufgeforstet. Geld fließt aber auch in Schulen und Gesundheitsstationen.

Video: Im Auftrag der Bundesregierung unterstützt die KfW Tunesien bei verschiedenen Projekten (KfW Bankengruppe/Christian Chua und Thomas Schuch).

Vom Wasser des Sidi Saad profitiert auch die Frauengenossenschaft Tahadi, die landwirtschaftliche Erzeugnisse verarbeitet. Ihre Sprecherin, Najoua Dhiflaoui, erklärt die wichtigsten Produkte: Olivenöl, Oliventrester (er geht als Heizmaterial nach Skandinavien), Rosmarinpulver und vor allem: Harissa. Die unter dem Markennamen „Errim“ (kleine Gazelle) vertriebene rote Gewürzpaste aus getrockneten Chilis und Olivenöl ist das bekannteste Erzeugnis von Tahadi. Die Genossenschaft beliefert 80 Läden allein in Tunis. Gläser mit Errim-Harissa finden sich sogar im Sortiment europäischer Händler. Ihren Absatzmarkt möchten die Frauen weiter ausbauen, „wir wünschen uns mehr Unterstützung beim Export“, sagt Dhiflaoui.

2013 haben Landfrauen aus dem Gouvernement Kairouan die Agrargenossenschaft gegründet. „Der Anfang war etwas holprig“, sagt Dhiflaoui, „heute sind die Frauen mehr von dem Projekt überzeugt.“ 164 Frauen zählen zu der Genossenschaft. Sie verdienen auf diese Weise ihr eigenes Geld und das in einer Region mit einer Frauenarbeitslosigkeit von 35 Prozent.

Auf ein durchschnittliches Jahreseinkommen von umgerechnet 8.000 Euro kommt ein Kleinbauer in der Region Kairouan dank der Bewässerung aus dem Sidi-Saad-Stausee. Damit verdient er mehr als ein Fischer, der es auf 6.000 Euro bringt. Fischer? In Kairouan? Tatsächlich hat man im Stausee eine Fischzucht aufgezogen. 110 Männer können vom Fischfang leben, sagt Moruf Chatbouri, Vorsitzender der Fischervereinigung von Sidi Saad. Vor ihrem Berufswechsel haben einige von ihnen als Tagelöhner gearbeitet, sagt er. 520 Tonnen Fisch haben sie zuletzt im Jahr aus dem See geholt, Karpfen, Barsche und vor allem Barben. Die Ware wird auf den zwei bis drei Autostunden entfernten Märkten von Tunis, Sfax und Sousse verkauft.

Die Erhöhung des Damms wird die materielle Lage der armen Menschen in der Region Kairouan verbessern. Dazu macht Fischer Chatbouri für seine Zunft, leicht schmunzelnd, eine einfache Rechnung auf: „Mehr Wasser gibt mehr Fische.“

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Alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen verabschiedeten im Jahr 2015 die Agenda 2030. Ihr Herzstück ist ein Katalog mit 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung, den Sustainable Development Goals (SDGs). Unsere Welt soll sich in einen Ort verwandeln, an dem Menschen ökologisch verträglich, sozial gerecht und wirtschaftlich leistungsfähig in Frieden miteinander leben können.

Auf KfW Stories veröffentlicht am 16. März 2020.