Eine Mutter trägt ihr Baby auf dem Rücken
Gesundheit

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Als Kind zur Heirat gezwungen

In Niger gibt es weltweit die höchste Zahl an Kinderehen. 28 Prozent der Mädchen werden schon vor dem 15. Lebensjahr verheiratet. Sie können nicht mehr zur Schule gehen, verlieren die Chance auf Bildung. Häufig werden sie noch als Kinder schwanger. Dadurch steigen die Risiken bei der Geburt.

Junge Mütter mit ihren Babys auf dem Rücken
Kinderbräute

Niger hat die höchste Rate an Kinderehen weltweit. Mehr als Dreiviertel der unter 18-Jährigen sind verheiratet.

In einem bunten Kleid sitzt Fatimata auf dem lehmigen Boden. Sie schaut traurig und findet deutliche Worte: „Die Hochzeit ekelt mich an“, sagt sie laut. Die Zwölfjährige will lieber weiterhin in die Schule gehen. Aber darüber darf sie nicht entscheiden, über ihr Schicksal bestimmt ihr Vater. „Die Schule verdirbt die Mädchen“, sagt der Tuareg, dessen Kopf in einen Turban gehüllt ist. Deshalb soll sie ihren 30-jährigen Cousin heiraten. Diese frühe Heirat sei in Niger Tradition und richtig, sagt der Vater.

In dem Film der UNFPA, dem Fonds der Vereinten Nationen zur Finanzierung von Bevölkerungsprogrammen, sitzt die Mutter teilnahmslos neben ihrem Mann. Später, alleine, sagt sie in die Kamera: „Ich weiß, wie wichtig Schule ist – aber ich kann nicht bestimmen.“ Sie sei früher selber einmal Opfer einer Zwangsverheiratung geworden.

Niger in Westafrika hat die höchste Rate an Kinderehen weltweit. 76 Prozent der unter 18-Jährigen sind bereits verheiratet, 28 Prozent der Mädchen werden bereits vor ihrem 15. Lebensjahr verheiratet. Einer der Gründe für die hohe Zahl von Kinderehen in Niger ist Armut: Rund 50 Prozent der etwa 20 Millionen Einwohner leben von weniger als einem Euro am Tag, auf dem UN-Index für menschliche Entwicklung landet das Land auf dem vorletzten Platz. Manche armen Familien wollen mit der frühen Heirat die Zukunft ihrer Tochter absichern. Oft ist auch die Angst groß, dass die Mädchen schwanger werden, ohne verheiratet zu sein – das bedeutet Schande für die Familie. Mit Kinderehen werden mitunter auch Streitigkeiten geschlichtet, Schulden beglichen oder Einkommen durch den Brautpreis erzielt.

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Der Geschäftsbereich KfW Entwicklungsbank fördert zahlreiche Projekte im Gesundheitssektor in derzeit 34 Ländern.

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Den gesundheitlichen Preis für diese Praxis zahlen die Mädchen. „Wenn sie in jungen Jahren schwanger werden, ist das Risiko bei der Geburt hoch“, sagt KfW-Projektmanager Julien Morel. Komplikationen bei der Geburt sind in diesem Alter keine Seltenheit. Die Mädchen sind selber noch Kinder und körperlich noch nicht reif für eine Schwangerschaft bzw. die Strapazen einer Geburt. Sie liegen mitunter tagelang in den Wehen, und erliegen nicht selten ihren schweren Verletzungen bei der Geburt. Kinderschwangerschaften sind ein Grund dafür, dass die Müttersterblichkeit in Niger eine der höchsten der Welt ist: Bei 100.000 Geburten starben 2015 nach UN-Angaben mehr als 550 Mütter.

Eine Mutter trägt ihr Baby auf dem Rücken
Junge Mütter

In Niger sind viele Mütter selbst noch Kinder. Dadurch steigen die Geburtsrisiken und ihre Bildungschancen sinken.

Die frühe Heirat hat nicht nur gesundheitliche Folgen – auch die Bildungsmöglichkeiten für Mädchen sinken. In Niger besuchen nur 15 Prozent der Mädchen weiterführende Schulen. Doch nur mithilfe von Bildung kann es gelingen, später einen Beruf zu erlernen und Arbeit zu finden, auch wenn dies wegen der hohen Jugendarbeitslosigkeit weiterhin eine Herausforderung bleibt.

Ein von der KfW gefördertes Projekt zur Familienplanung in Niger setzt sich daher auch besonders gegen die Kinderehe ein und warnt vor den gesundheitlichen und den sozialen Folgen. Es wird von der nichtstaatlichen lokalen Social-Marketing-Agentur Animas-Sutura umgesetzt. Sie organisiert Aufklärungskampagnen in Schulen und Dörfern oder setzt Radio- und TV-Spots ein. Darin wird an die Eltern, insbesondere die Väter, appelliert, ihre Töchter nicht zu früh zu verheiraten. Die Spots und Kampagnen machen deutlich, dass Kinderehen die Gesundheit der Mädchen gefährden. Die Familien profitieren langfristig finanziell, wenn die Töchter zur Schule gehen, statt früh zu heiraten.

Kinderehen

Man spricht von einer Kinderehe, wenn mindestens einer der Partner das 18. Lebensjahr noch nicht erreicht hat. Das kann Mädchen und Jungen betreffen. Nach Angaben von UNICEF werden in 80 Prozent der Fälle Mädchen verheiratet. Die Zahl der jährlich geschlossenen Kinderehen, Jungen und Mädchen, liegt derzeit insgesamt bei 15 Millionen.

Die Kampagne in Niger lehnt sich dabei an die globalen Nachhaltigkeitszielen der internationalen Gemeinschaft, die „Sustainable Development Goals“, an. Darin hat sich die Weltgemeinschaft vorgenommen, die Praxis der Kinderehe bis zum Jahr 2030 zu beenden. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg: Nach Angaben des UN-Kinderhilfswerks UNICEF werden weltweit nach wie vor zwölf Millionen Mädchen und drei Millionen Jungen als Minderjährige verheiratet.

Schon 2006 verabschiedete die nigrische Regierung ein Gesetz, dass die Frauenrechte stärken sollte. Es erlaubt den Frauen, sich offiziell gegen arrangierte Ehen zu wehren. In der Bevölkerung wird dieses Recht aber bislang nur wenig wahrgenommen. Es hat auch Fatimata nicht geholfen. Sie wurde, wie es in dem UN-Film heißt, zum Brautpreis von einem weißen Kamel und einem schwarzen Kamelkalb mit ihrem Cousin verheiratet.

Auf KfW Stories veröffentlicht am: Dienstag, 8. Mai 2018

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Alle Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen verabschiedeten im Jahr 2015 die Agenda 2030. Ihr Herzstück ist ein Katalog mit 17 Zielen für nachhaltige Entwicklung, den Sustainable Development Goals (SDGs). Unsere Welt soll sich in einen Ort verwandeln, an dem Menschen ökologisch verträglich, sozial gerecht und wirtschaftlich leistungsfähig in Frieden miteinander leben können.