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Bild in dem viele Menschen über eine Straße mit Zebrastreifen laufen

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Stadtentwicklung

icon-ff Created with Sketch. Können Millionenstädte nachhaltig wachsen?

Weltweit wachsen Städte unaufhaltsam: Laut Prognosen wird es bis 2030 mehr als 500 Millionenstädte geben – also Städte mit mehr als einer Million Einwohnern. Die gigantischen Ballungsräume entstehen insbesondere in Schwellen- und Entwicklungsländern und haben mit vielfältigen Herausforderungen zu kämpfen. Ist eine nachhaltige Entwicklung dennoch möglich?

Foto von zwei Männern Klaus Gihr und Peter Hilliges

Klaus Gihr, Leiter des Kompetenzcenters Infrastruktur und Naturressourcen, und Peter Hilliges, Leiter des Kompetenzcenters Klima und Energie bei der KfW Entwicklungsbank, diskutieren über die Möglichkeiten einer nachhaltigen Entwicklung von schnell wachsenden Millionen- und Megastädten.

Urbanisierungsprozess schreitet voran

Die Menschheit zieht mehr und mehr in die Städte – die Folgen dieses häufig unkontrollierten Städtewachstums sind enorm: „Die Zahl der Menschen, die versorgt werden müssen, steigt vor allem in asiatischen und afrikanischen Städten schnell an“, erklärt Klaus Gihr. Der Leiter des Kompetenzcenters Infrastruktur und Naturressourcen bei der KfW Entwicklungsbank beschäftigt sich in seiner täglichen Arbeit schwerpunktmäßig mit den Auswirkungen des Wachstums auf Mobilität, Transport, Wasserversorgung, Abfall- und Abwasserentsorgung und Fragen der Biodiversität. „Für die Menschen muss eine funktionierende Infrastruktur bereitgestellt werden, um eine Versorgung mit Trinkwasser sowie eine Abwasser- und Abfallentsorgung zu gewährleisten.“ Auch die Bereitstellung von Wohnraum, Nahrung und Energie ist fundamental. Darüber hinaus sind ein steigender Ressourcenverbrauch und ansteigende klimaschädliche Treibhausgase Folgen der rapiden Verstädterung. „Außerdem liegen viele dieser Städte am Meer – hinsichtlich des Klimawandels sind sie besonders gefährdet“, so Gihr.

Bild einer Autobrücke über Wasser, Hochhäuser im Hintergrund

Doch neben den Herausforderungen bergen Millionenstädte auch Chancen und neue Möglichkeiten. Ihre Entwicklung und ständige Erneuerung trägt zu neuen Formen eines nachhaltigen Lebens bei – Städte sind damit Wachstumsmotoren und Zentren der Produktivität. „Urbanisierung beruht häufig auf deutlichen Wachstums- und Einkommenspotenzialen in den Städten“, erklärt Peter Hilliges. Als Leiter des Kompetenzcenters Klima und Energie bei der KfW Entwicklungsbank liegt sein Fokus auf Ansätzen zur Anpassung und Eindämmung des Klimawandels und auf der Energiewirtschaft. „In verdichteten Räumen können beispielsweise Gesundheitsversorgung und Bildung leichter zugänglich gemacht werden – dies ist in ländlichen Räumen häufig schwerer zu erreichen.“ Auch die Effizienz von Städten birgt enormes Potenzial: So ermöglichen Verdichtungen Einsparungen bei Investitionen und bei der Versorgung.

Es ist wichtig, dass man bei Urbanisierung nicht immer nur ein Problem sieht, sondern auch die Chancen betrachtet.

Peter Hilliges, Leiter des Kompetenzcenters Klima und Energie bei der KfW Entwicklungsbank
Bild eines Zugs auf einer Brücke, Landschaft und Stromleitungen im Hintergrund
Mehrere Menschen sitzend und stehend in einem Zugabteil

Ausdehnung kontrolliert steuern

Die Experten sind sich einig: Insbesondere mit Blick auf die Effizienz der Verstädterung und die sich ergebenden Chancen ist das Potenzial einer nachhaltigen Entwicklung gegeben. Jedoch ist es dafür notwendig, die Urbanisierung stärker zu planen. „Dabei muss die Konzentration auf einer klimaschonenden und nachhaltigen Ausgestaltung liegen“, so Klaus Gihr. „Das sehe ich genauso – denn das Problem liegt nicht im Städtewachstum an sich, sondern vielmehr darin, dass es ungesteuert geschieht. Wenn man hier ansetzt, sehen wir definitiv Potenzial für eine nachhaltige Entwicklung“, erwidert Peter Hilliges. Mehr als in ländlichen Regionen bieten urbane Räume die Möglichkeit, umzusteuern und klimaschonende Maßnahmen durchzusetzen. So ist der Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs eine Option, um Städte nachhaltiger zu gestalten.

Ich bin Optimist. Städte können klimaschonender und nachhaltiger werden – dafür ist aber eine gezielte Planung notwendig.

Klaus Gihr, Leiter des Kompetenzcenters Infrastruktur und Naturressourcen bei der KfW Entwicklungsbank

Trotz der theoretisch vorhandenen Möglichkeiten einer nachhaltigen Stadtentwicklung läuft die praktische Umsetzung derzeit eher schleppend. „Für ein geplantes und strukturiertes Wachstum mit dem Fokus auf Nachhaltigkeit sind Akteure notwendig, die in der Lage sind, Entscheidungen zu treffen. Und genau diese Gestaltungskraft existiert in vielen Kommunen so nicht“, erklärt Peter Hilliges. „Das Potenzial ist vorhanden, jedoch hapert es an der Umsetzung.“

Eine nachhaltige Entwicklung fördern

Die Herausforderungen der Millionenstädte sind bekannt und das Potenzial zur Verbesserung ist vorhanden – welche Faktoren müssen bei einer nachhaltigen Entwicklung berücksichtigt werden? Hier spielt der Mensch eine herausragende Rolle: Er sollte bei allen Entscheidungen im Mittelpunkt stehen. „Die Städte stehen in der Pflicht, ihren Einwohnern einen lebenswerten und damit auch nachhaltigen Lebensraum bereitzustellen“, erläutert Peter Hilliges. „Die Bewohner müssen mitgenommen werden und die Notwendigkeit der Maßnahmen verstehen. Gleichzeitig sollten ihre Bedürfnisse berücksichtigt werden.“ Auf der anderen Seite kann eine starke Zivilgesellschaft auch Treiber für die Bekämpfung der Luftverschmutzung oder des Müllproblems sein – mit ihrer Durchsetzungsmacht kann die Bevölkerung Druck auf die Regierung ausüben und auch selbstständig an einer Verbesserung arbeiten.

Kommunen als bedeutende Akteure

Für eine nachhaltige Stadtentwicklung müssen konkrete Entscheidungen getroffen und Maßnahmen gezielt umgesetzt werden. Die Städte selbst haben ein vitales Eigeninteresse daran, ihre Ansiedlungen nachhaltiger zu gestalten – ich bin überzeugt, dass das Problembewusstsein in den Kommunen vorhanden ist. Jedoch stellt sich die Frage, inwieweit sie Infrastrukturmaßnahmen in der Praxis eigenständig durchführen können. In vielen Fällen fehlt es in den Stadtverwaltungen von Entwicklungs- und Schwellenländern sowohl an planerischen Kapazitäten als auch an der Steuerung. In meinen Augen ist eine Regierung notwendig, die einen klaren Kurs verfolgt und den Städten Anreize für eine nachhaltige Entwicklung bietet.“

Auch technologische Innovationen können die Entwicklung unterstützen – insbesondere bei der Verfügbarkeit von Lösungen: „Die Digitalisierung schafft Lösungsansätze für eine Vielzahl von Problemen. Dazu zählt beispielsweise die reibungslose Gestaltung des öffentlichen Nahverkehrs mithilfe von appbasierten Systemen“, so Klaus Gihr. „Oder beim Beispiel Verkehrsleitsysteme: Neue Techniken können dafür sorgen, Verkehrsströme deutlich effizienter und wirksamer zu leiten“, ergänzt Peter Hilliges. Auch der Energieverbrauch kann durch digitale Maßnahmen gesteuert werden – beispielsweise durch Smart-Metering-Systeme.

Wachsende Millionenstädte in Indien

Indien ist mit 1,3 Mrd. Menschen eines der bevölkerungsreichsten Länder der Welt. Der Anstieg der Urbanisierung ist enorm: Nach Prognosen werden in den nächsten 20 Jahren mehrere Hundert Millionen Menschen in die Städte ziehen.

Was ist das Besondere an Indien mit Blick auf die Stadtentwicklung?

Das Land weist schon über viele Jahre ein konstantes Wirtschaftswachstum auf – einhergehend mit steigenden Einnahmen und einer steigenden Kaufkraft. Diese Tatsache ermöglicht Investitionen und damit Veränderung. Indien verzeichnet derzeit eine starke Dynamik. Insgesamt bieten die Bedingungen in diesem global bedeutenden Staat gute Chancen einer klimaverträglichen und nachhaltigen Stadtentwicklung.

Welche Probleme sind in einer indischen Metropole wie Delhi zentral?

Die Versorgung mit städtischen Dienstleistungen, also der Zugang zu Gesundheit, Bildung und auch zu Transportmöglichkeiten, ist knapp – das erlebt insbesondere der einkommensschwache Teil der Bevölkerung jeden Tag aufs Neue. Hinzu kommt, dass die Einwohnerinnen und Einwohner einer schlechten Luftqualität ausgesetzt sind. Ein weiterer Punkt sind die extrem heißen Temperaturen im Sommer. Diese werden durch die starke Bebauung der Stadt akzentuiert: Beton und Straßen speichern die Hitze.

Eine Straße mit Menschen und vielen stehenden Rikschas, seitlich Häuser und Stromleitungen

Welche Fortschritte können Sie in Delhi beobachten?

Die Stadt ist bemüht, systematische Lösungen zu finden. So hat Delhi in den letzten 20 Jahren ein Metro-Netzwerk von rund 300 Kilometern aufgebaut. Das halte ich für einen massiven Transformationsprozess für die Stadt. Auch auf die steigende Stromnachfrage wurde reagiert, indem die Erzeugung von Solarenergie in der Stadt vorangetrieben wird. Ein Problem, das Delhi aus meiner Sicht noch nicht in den Griff bekommen hat, ist das Müllmanagement. Insgesamt kann ich mit meinem Erfahrungshintergrund aber sagen: In den letzten 30 Jahren hat sich viel getan.

Wirksame Veränderungen hervorrufen

Die Betrachtung einzelner Fallbeispiele wie die Entwicklungen in Delhi macht Mut und die Einschätzungen der KfW-Experten zeigen: Die Herausforderungen sind immens und die Anforderungen komplex, jedoch kann ihnen mit einer gezielten Strategie begegnet werden. Im Zentrum steht die Befähigung der Kommunen, Lösungsmaßnahmen zu entwickeln und diese wirksam und ganzheitlich umzusetzen. Gleichzeitig muss eine nachhaltige Stadtentwicklung als Gemeinschaftsvorhaben verstanden werden: Auch das Engagement der Zivilgesellschaft, die Leistungen der lokalen Wirtschaft und die Unterstützung externer Akteure tragen zum Erfolg bei. Die KfW arbeitet mit vielfältigen Lösungsansätzen für die Mobilität, für saubere Luft und im Bereich Wasser- und Abwassermanagement sowie durch Klimaanpassungen daran, Verbesserungen zu erwirken und die Städte nachhaltiger und damit zukunftsfähiger wachsen zu lassen.

Weitere Informationen zu den Herausforderungen der Urbanisierung: „Mehr Megastädte“.